Hochzeiten, Partys, Mannschaftssport: Diese Landkreise verzeichnen aktuell die meisten Neuinfektionen
Die Infektionszahlen in Deutschland steigen insgesamt stark an, drei Regionen bereiten besonders Sorgen. Was sind die Gründe? Und was unternimmt die Politik?
Zu Beginn des Wochenendes erreichte die Zahl der Neuinfektionen in Deutschland mit 2297 einen neuen Höchststand – seit knapp fünf Monaten. In nahezu ganz Deutschland steigen die Infektionszahlen.
Besonders betroffen aber sind drei Landkreise. Hier ist die Zahl der Fälle pro 100.000 Einwohner innerhalb der vergangenen sieben Tage über den kritischen Wert von 50 gestiegen. Es ist die Schwelle während der Coronavirus-Pandemie, ab der ein strikteres Beschränkungskonzept umgesetzt werden muss.
Zwei der drei Landkreise liegen in Bayern, es sind Würzburg (66,5) und München (54,2). Dazwischen liegt Cloppenburg in Niedersachsen (64,4). Das geht aus Tagesspiegel-Zahlen hervor.
Während vor zehn Tagen noch neun der zehn am stärksten betroffenen Landkreise in Deutschland in Bayern lagen, sind es inzwischen nur noch sechs – neben den genannten noch der Landkreis Würzburg, Kulmbach, Wunsiedel im Fichtelgebirge und Regensburg. Damit hat sich das Virus geographisch gesehen in den vergangenen zwei Wochen weiter ausgebreitet.
Damals hatte die bayrische Landesregierung die hohen Fallzahlen mit dem Anstieg der Testzahlen begründet. Allerdings stieg auch die Positivrate der Tests. Gleiches ist nun auch in den neuen Hotspots zu beobachten. Neben dem niedersächsischen Cloppenburg sind auch drei Landkreise aus Nordrhein-Westfalen in den Top zehn dabei: Hamm, Mülheim an der Ruhr und Gelsenkirchen.
Auf der anderen Seite gibt es aber auch acht deutsche Landkreise, die gar keine Neuinfektionen in den vergangenen sieben Tagen verzeichneten. Sie liegen, bis auf die rheinland-pfälzische Ausnahme Rhein-Lahn-Kreis, im Osten Deutschlands – in Thüringen, Brandenburg und Sachsen-Anhalt: Uckermark, Nordhausen, Eichsfeld, Jerichower Kreis, Kyffhäuserkreis, Unstrut-Hainich-Kreis und Prignitz.
Besonders überraschend ist die Corona-Situation in Cloppenburg. Mit 64,4 Fällen hat der Landkreis mit seinen rund 170.000 Einwohnern 40 Fälle mehr pro 100.000 Einwohnern zu verzeichnen als die niedersächsische Stadt mit den zweitmeisten Fällen. Das ist Osnabrück im äußersten Süden des Bundeslandes.
Allein am Freitag sind 30 neue Infektionen dazugekommen, Cloppenburg steht nun bei 145 aktiv Infizierten. „Das ist für uns sehr ungewöhnlich“, sagte Landrat Johann Wimberg am Freitag. Der Landkreis sei bis jetzt sehr gut durch die Pandemie gekommen. Bis heute gebe es keinen einzigen Todesfall zu vermelden.
Dass die Zahl der Neuinfektionen nun so rasant steige, habe mit einem laxeren Umgang mit der Pandemie in der Bevölkerung zu tun, glaubt er. Die Maskenpflicht sowie die Abstands- und Hygieneregeln würden nicht mehr so ernst genommen wie zu Beginn der Pandemie.
Cloppenburg sieht Ausbreitung im Bereich Sport und Freizeit
Entsprechend hat Cloppenburg mit zusätzlichen Einschränkungen des öffentlichen Lebens in einigen Gemeinden reagiert. In den betroffenen Teilen des Landkreises dürfen sich nun bis zum 4. Oktober privat maximal sechs Menschen treffen. Vereinen ist es untersagt, Zusammenkünfte abzuhalten, Gaststätten müssen um 22 Uhr schließen. Zuvor waren in den betroffenen Gemeinden bereits Schulen geschlossen worden.
Zudem war landkreisweit Mannschaftssport untersagt worden, weil Landrat Wimberg und seine Kollegen beobachtet hatten, dass das Virus sich besonders im Bereich Freizeit und Sport ausbreite. Von einem lokalen Shutdown wollte Wimberg nicht sprechen, sagte aber: „Wir gehen in so eine Richtung.“
[Wenn Sie die wichtigsten Nachrichten aus Berlin, Deutschland und der Welt live auf Ihr Handy haben wollen, empfehlen wir Ihnen unsere runderneuerte App, die Sie hier für Apple- und Android-Geräte herunterladen können.]
Trotz der neuen Einschränkungen gab es in der Nacht auf Sonntag laut „NDR“ zahlreiche Verstöße gegen die Corona-Regeln. Die Cloppenburger Polizei spricht in einer Mitteilung von „erschreckenden Ergebnissen“.
Eine Musikkneipe, in der rund 80 Gäste ohne Mundschutz und Abstand tanzten, wurde von der Polizei geschlossen. Auch das Servicepersonal hatte die Vorgaben ignoriert. Drei weitere Kneipen und eine Shisha-Bar in Cloppenburg bekamen Bußgeldbescheide.
Besonders bitter ist die Entwicklung am Wochenende für Fußballfans gewesen. Fußball-Bundesligist Werder Bremen hatte nämlich etwa 40 Fans aus dem Landkreis Cloppenburg keinen Zutritt zum Auftakt gegen Hertha BSC am Samstag untersagt.
„Wir werden alles dafür tun, dass wir hier weitere Heimspiele in Bremen mit Zuschauerinnen und Zuschauern durchführen können und halten diese Maßnahme in diesem Zusammenhang für richtig“, wird Werder-Präsident Hubertus Hess-Grunewald in einer Klubmitteilung vom Freitag zitiert. „Wir hoffen auf Verständnis für unsere Entscheidung und setzen darauf, dass wir unsere Fans aus dem Landkreis Cloppenburg bald wieder begrüßen dürfen.“
Nicht ganz so stark wie in Cloppenburg steigen die Zahlen in einigen Landkreisen Nordrhein-Westfalens an. Besonders betroffen ist Gelsenkirchen: Die Stadt übertraf die Vorwarnstufe, die bei einem Wert von 35 liegt, deutlich – Gelsenkirchen liegt derzeit bei rund 40 Fällen pro 100.000 Einwohnern, nachdem die sogenannte Sieben-Tages-Inzidenz in der Stadt vor einer Woche noch bei rund 11 gelegen hatte.
Am Montag wollen die Behörden entscheiden, ob sich die Menschen in Gelsenkirchen bei privaten Feiern wieder an striktere Grenzen halten müssen. Sollten die Zahlen auch in der kommenden Woche hoch bleiben, müsste der FC Schalke 04 sein erstes Heimspiel am kommenden Samstag wohl ohne Zuschauer austragen.
Wie es nun in Gelsenkirchen weitergeht, wollen die Behörden nach dem Wochenende entscheiden. „Es gab heute früh Abstimmungsgespräche mit dem Landesgesundheitsministerium, das am Montagmorgen eine verbindliche Aussage treffen wird“, sagte der Gelsenkirchener Gesundheitsdezernent Luidger Wolterhoff am Samstag nach einer Sitzung des städtischen Krisenstabs.
Gelsenkirchen glaubt an Ausbreitung auf größeren Feiern
Am Tag zuvor hatte die Stadt angekündigt, beim Überschreiten der Vorwarnstufe von 35 Fällen pro 100.000 Einwohner in sieben Tagen vor allem private Feiern stärker zu beschränken. Geplant ist eine Obergrenze von 50 Gästen für private Partys. In Wohnungen sollen den Plänen zufolge Feste „aus herausragendem Anlass nur noch mit höchstens 25 Teilnehmern möglich sein“, wie die Stadt mitteilte.
„Wir haben in den vergangenen Tagen feststellen müssen, dass vor allem größere private Feiern in Gelsenkirchen zu einer Verbreitung des Coronavirus beigetragen haben“, sagte Krisenstabsleiterin Karin Welge. Deshalb wolle die Stadt mit den Einschränkungen auch genau an dieser Stelle ansetzen.
Auch Hamm teilte mit, dass man sich am Montag zu möglichen Einschränkungen äußern werde. Dort habe vor allem eine Hochzeitsfeier zuletzt zu dem starken Anstieg geführt. In Hamm liegen die Fälle pro 100.000 Einwohnern mit rund 44,7 am höchsten.
[Behalten Sie den Überblick über die Corona-Entwicklung in Ihrem Berliner Kiez. In unseren Tagesspiegel-Bezirksnewslettern berichten wir über die Krise und die Auswirkungen auf Ihre Nachbarschaft. Kostenlos und kompakt: leute.tagesspiegel.de.]
Am Freitag wurde bekannt, dass es 18 weitere Fälle gibt, die mit einer mehrtägigen Hochzeit in Hamm zusammenhängen. Oberbürgermeister Thomas Hunsteger-Petermann schließt einen radikalen Lockdown laut „Westfälischem Anzeiger“ allerdings noch nicht in Erwägung. „Ich will die Stadt nicht dichtmachen, weil sich eine Gruppe von Menschen über die Regeln hinweggesetzt hat“, sagte er.
Hunsteger-Petermanns Büroleiter sprach von einem „Flächenbrand“. Daher wolle er „nichts schließen, was nichts mit dem Infektionsgeschehen zu tun hat“. Ein erster Schritt sei allerdings, dass die Zahl der Besucher, die sich gleichzeitig im Hammer Kirmes-Park aufhalten dürfen, von 1400 auf 999 gesenkt wird. Außerdem wurde dort ein Alkoholverbot verhängt.
Mit einem Verbot versucht auch München gegen die hohen Infektionszahlen anzukämpfen – einem Verbot des Oktoberfestes. Am Samstag sollte die „Wiesn“ starten, die Theresienwiese blieb allerdings wie angekündigt weitgehend leer. Die Zahlen aber steigen trotzdem weiter. Möglicherweise auch, weil in München als Ersatz eine „WirtshausWiesn“ gefeiert wird.
Die Veranstaltung ist umstritten, obwohl in den Gaststätten die üblichen Coronaregeln zu Abständen und Masken gelten. Die Vorgaben würden strikt eingehalten, betonten die Wirte. Zu Zwischenfällen kam es am Samstag im Tagesverlauf zunächst nicht.
[Jetzt noch mehr wissen: Mit Tagesspiegel Plus können Sie viele weitere spannende Geschichten, Service- und Hintergrundberichte lesen. 30 Tage kostenlos ausprobieren: Hier erfahren Sie mehr und hier kommen Sie direkt zu allen Artikeln.]
Wiesnchef und Wirtschaftsreferent Clemens Baumgärtner forderte die Feierwütigen im Radiosender B5 aktuell auf: „Geht nicht auf die Wiesn, feiert im Wirtshaus, das ist einfach besser!“ Oberbürgermeister Dieter Reiter appellierte eindringlich: „Sorgen Sie dafür, dass Musik wirklich immer Hintergrund-Musik bleibt und sich auch Ihre Gäste an die Regeln zum Infektionsschutz halten. Nicht nur am Anfang, sondern auch nach der zweiten Maß Wiesn-Bier.“
Die Wirte hätten es großteils selbst in der Hand, weitere Einschränkungen durch die notwendige Sensibilität und Achtsamkeit zu verhindern. Am Montag soll ein Krisenstab darüber beraten, ob weiterführende Maßnahmen zu beschließen sind. Bislang wurde nur die Maskenpflicht im Unterricht an weiterführenden Schulen in München verlängert.
Würzburg lockert Maßnahmen und beschränkt weiter
„Einen Rückgang zum eingeschränkten Blockunterricht halte ich zum derzeitigen Zeitpunkt nicht für verhältnismäßig“, entschied Oberbürgermeister Reiter. Auch Krippen und Kindertagesstätten sollten zunächst im Regelbetrieb bleiben. Doch je nachdem, wie das Wochenende in der Landeshauptstadt verläuft, könnten am Montag vor allem in anderen Bereichen weitere Beschränkungen folgen, wie Reiter ankündigte.
Neben München verzeichnet in Bayern derzeit auch die Stadt Würzburg eine kritisch hohe Infektionszahl über 50 pro 100.000 Einwohner. Und trotzdem wurden dort am Freitag die Regeln für die Gastronomie an die überarbeitete bayerische Infektionsschutzmaßnahmeverordnung angepasst.
Das bedeutet konkret: Die Gastronomie in der Würzburger Innenstadt darf ab sofort bis 23 Uhr statt 22 Uhr Alkohol ausschenken. Das Ausgeben von Speisen und Getränken ohne Alkohol ist auch danach noch möglich.
Auf der anderen Seite bestätigte das Verwaltungsgericht Würzburg allerdings in zwei Eilentscheidungen die Reduzierung der Personenzahl von 100 auf 50 bei privaten Feiern. Auch ist die Beschränkung der Gruppengröße von zehn auf fünf Personen in der Gastronomie rechtmäßig. Weiterhin gilt in Würzburg zudem das Alkoholverbot entlang des Mains ab 22 Uhr. (mit dpa)
- bbbbbb
- Brandenburg neu entdecken
- Charlottenburg-Wilmersdorf
- Content Management Systeme
- Das wird ein ganz heißes Eisen
- Deutscher Filmpreis
- Die schönsten Radtouren in Berlin und Brandenburg
- Diversity
- Friedrichshain-Kreuzberg
- Lichtenberg
- Nachhaltigkeit
- Neukölln
- Pankow
- Reinickendorf
- Schweden
- Spandau
- Steglitz-Zehlendorf
- Tempelhof-Schöneberg
- VERERBEN & STIFTEN 2022
- Zukunft der Mobilität