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Der niederländische Regierungschef Mark Rutte (l.) gehört zu der Gruppe der „sparsamen Vier“, die als Hardliner die wollen, dass der nächste Sieben-Jahres-Haushalt nicht mehr als 1,0 Prozent der Wirtschaftsleistung der EU umfasst. Angel Merkel steht bislang an seiner Seite.
© AFP

Brüsseler Milliardenpoker um EU-Haushalt: Diese Karten spielt Deutschland an der Seite der „Sparsamen Vier“

Im kommenden EU-Haushalt ist sehr viel Geld zu verteilen. In dieser Woche wird beim Gipfel in Brüssel eine Lösung gesucht. Doch die Fronten sind verhärtet

Es ist ein Milliardenpoker, wie ihn die EU noch nicht gesehen hat. Die auf 27 Mitgliedstaaten geschrumpfte Gemeinschaft muss für die Zeit zwischen 2021 und 2027 einen Mehrjahreshaushalt aufstellen. Das wird doppelt schwierig: Einerseits wollen die 27 EU-Staaten zusätzliche Gelder für Zukunftsaufgaben wie den Klimaschutz bereitstellen. Andererseits fehlen aber in den kommenden sieben Jahren rund 75 Milliarden Euro, weil nach dem Brexit die britischen Einzahlungen in die EU-Kasse wegfallen.

Ab Donnerstag wollen die Staats- und Regierungschefs bei einem EU-Sondergipfel nach einer Lösung suchen. Es ist nicht auszuschließen, dass ein Kompromiss erst in der zweiten Jahreshälfte zu Stande kommt – unter deutscher EU-Ratspräsidentschaft.

Warum gestalten sich die Haushaltsverhandlungen so schwierig?

Vier Länder achten besonders wachsam darauf, dass das kommende EU-Budget möglichst knapp gehalten wird: Schweden, Dänemark, Österreich und die Niederlande. Sie bilden den informellen Club der „Frugal Four“ – also der „sparsamen Vier“. Gemeinsam wollen sie dafür sorgen, dass der nächste Sieben-Jahres-Haushalt nicht mehr als 1,0 Prozent der Wirtschaftsleistung der EU umfasst. Das entspricht insgesamt etwa einer Billion Euro. Die „sparsamen Vier“ bilden die Gruppe der Hardliner unter den insgesamt zehn Staaten, die mehr in die EU-Kasse einzahlen, als sie herausbekommen – den so genannten Nettozahlern.

Schweden, Dänemark, Österreich und die Niederlande stellen sich bislang auf den Standpunkt, dass das europäische Budget nach dem Austritt der Briten nicht weiter wachsen soll. Dass die „sparsamen Vier“ beim EU-Gipfel ab dem kommenden Donnerstag entschlossen auftreten wollen, machte der niederländische Regierungschef Mark Rutte am vergangenen Freitag nach einem Mittagessen in Paris deutlich, zu dem ihn Frankreichs Präsident Emmanuel Macron in den Elysée-Palast eingeladen hatte. Nach dem Treffen erklärte Rutte, dass er beim Gipfel auf eine strikte Ausgabendisziplin der Gemeinschaft achten werde.

Dass Rutte bei Macron vorstellig wurde, ist kein Zufall. Frankreichs Präsident nimmt in dem Streit um Europas Milliarden eine Mittlerposition zwischen den Haushalts-Hardlinern wie den Niederlanden und den so genannten „Freunden der Kohäsion“ ein. In diesem Club haben sich 17 ärmere EU-Länder aus dem Osten und dem Mittelmeerraum zusammengeschlossen.

Diese Staaten, darunter Ungarn, Polen und Tschechien, wollen erreichen, dass die EU-Kohäsionsfonds auch in Zukunft trotz der Brexit-Lücke möglichst üppig ausgestattet werden. Mit dem Kohäsionsfonds stellt die EU sicher, dass das Gefälle zwischen ärmeren und reicheren Regionen nicht allzu groß wird. Macron gehört zwar nicht zu den „Freunden der Kohäsion“. Aber die Haltung der „sparsamen Vier“ teilt er ebenfalls nicht.

EU-Haushalte im Vergleich.
EU-Haushalte im Vergleich.
© Tagesspiegel/Rita Böttcher

Bei der Sicherheitskonferenz in München setzte sich Frankreichs Staatschef für ein EU-Budget in Höhe von 1,06 oder 1,07 Prozent der EU-Wirtschaftsleistung ein. Das wäre immerhin auch ein Zugeständnis an die Kohäsions-Freunde: Ein Haushalt mit einer Größenordnung von 1,07 Prozent würde bedeuten, dass für die Kohäsionspolitik rund 320 Milliarden Euro in der kommenden Sieben-Jahres-Periode zur Verfügung stünden.

In München verknüpfte Macron die Forderung nach mehr Geld zudem mit einem geopolitischen Credo. Die EU müsse insgesamt wesentlich entschiedener eigene Interessen vertreten, forderte er. „Darauf muss das deutsch-französische Tandem eine Antwort finden, sonst wäre dies ein historischer Fehler“, fügte er hinzu.

Welche Position vertritt Deutschland?

Die Bundesregierung kämpft bislang ebenfalls an der Seite von Schweden, Dänemark, Österreich und den Niederlanden für einen Haushalt, der die Grenze von 1,0 Prozent der EU-Wirtschaftsleistung nicht überschreitet. Begründet wird dies damit, dass die Brexit-Lücke im Haushalt vor allem von Deutschland geschlossen wird. Mit anderen Worten: Ein weiteres Anwachsen des EU-Budgets würde vor allem für Deutschland zu einer Mehrbelastung führen.

Im Kreis der EU-Nettozahler hat Deutschland einen erheblichen Teil des Budgets zu schultern. Zwar sind die Einzahlungen in die EU-Kasse pro Kopf der Bevölkerung in anderen Ländern wie Österreich höher. Aber in absoluten Zahlen ist der negative Nettosaldo – also die Verrechnung von Ein- und Auszahlungen aus der EU-Kasse – in Deutschland am ausgeprägtesten: 2018 zahlte Deutschland mehr als 13 Milliarden Euro in den europäischen Haushalt ein, als Berlin zurückbekam. Bei einem europäischen Budget in Höhe von 1,07 Prozent der jährlichen EU-Wirtschaftsleistung würde Deutschlands Nettobeitrag im Jahr 2027 auf rund 26 Milliarden Euro anwachsen.

Hinzu kommt, dass nach der Argumentation der Bundesregierung Deutschland nach dem Brexit so oder so mehr Geld in den gemeinsamen Haushalt einzahlen wird als bisher: Bereits ein Etat in Höhe von 1,0 Prozent der Wirtschaftsleistung würde für Berlin zusätzliche jährliche Zahlungen in Höhe von zehn Milliarden Euro bedeuten.

Allerdings ist die Nettozahler-Diskussion, die vor allem im Berliner Finanzministerium befeuert wird, mit Vorsicht zu genießen. Denn in diesen Zahlen sind nicht die finanziellen Vorteile eingepreist, die Deutschland automatisch von der EU hat – etwa durch die Exportmöglichkeiten auf dem europäischen Binnenmarkt. Deshalb zeigt sich die Bundesregierung bei den Verhandlungen auch flexibler als die „sparsamen Vier“. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) würde durchaus zustimmen, dass der künftige EU-Haushalt mehr als 1,0 Prozent ausmacht – allerdings unter der Voraussetzung, dass die Ausgaben für das Agrarbudget schrumpfen und für Zukunftsaufgaben wie den Klimaschutz mehr Geld übrig bleibt.

Ist Merkels Haltung im Haushaltsstreit in Deutschland unumstritten?

Keineswegs. Trotz der Kompromiss-Signale aus dem Kanzleramt steht Merkels Europapolitik derzeit innenpolitisch von vielen Seiten unter Beschuss. Dies wurde am Wochenende bei der Münchner Sicherheitskonferenz deutlich. Da sind zum einen Oppositionspolitiker wie Grünen-Chefin Annalena Baerbock, die daran erinnerte, dass sich die Öko-Partei für ein großzügigeres EU-Budget einsetzt. Die Grünen wollen einen europäischen Haushalt in einer Größenordnung von 1,3 Prozent der EU-Wirtschaftsleistung und liegen damit auf einer Linie mit der Forderung des Europaparlaments.

Die europapolitische Sprecherin der Grünen im Bundestag, Franziska Brantner, sagte dem Tagesspiegel nach einem Treffen mit Macron am Rande der Münchner Sicherheitskonferenz: „Momentan geben wir doppelt so viel für die Verteidigung aus wie für die EU. Die Bundesregierung kann nicht weiter eine de facto Kürzung des EU-Haushalts fordern, gleichzeitig mehr für Innovation, Klima und Sicherheit wollen und nirgends kürzen wollen.“ Dies sei eine unverantwortliche Haltung.

Für den kommenden EU-Haushalt wird nach einem Ausgleich zwischen Nettozahlern und -empfängern gesucht.
Für den kommenden EU-Haushalt wird nach einem Ausgleich zwischen Nettozahlern und -empfängern gesucht.
© dpa

Aber auch koalitionsintern wächst das Unbehagen angesichts der harten deutschen Haltung. Der frühere SPD-Vorsitzende Martin Schulz appellierte an Merkel, einen höheren Beitrag Deutschlands für den EU-Haushalt der nächsten sieben Jahre bereitzustellen. „Wir haben im Koalitionsvertrag festgelegt, dass die Finanzausstattung der EU deutlich gestärkt werden muss“, sagte Schulz dem Tagesspiegel. Schulz hatte das Europa-Kapitel im Koalitionsvertrag mitverfasst. Er sorgt sich seit Monaten, dass Deutschland seiner Verantwortung in der Gemeinschaft nicht gerecht werde.

Selbst im Unionslager stößt Merkels Bündnis mit den europäischen Haushalts-Hardlinern inzwischen auf Kritik. In München vermied es der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) zwar, konkrete Forderungen im Haushaltsstreit zu aufzustellen. Dennoch positionierte sich der 58-Jährige, der zu den möglichen Bewerbern für den künftigen CDU-Vorsitz und die Kanzlerkandidatur gehört, am Sonntag ziemlich eindeutig gegen die Europapolitik der Kanzlerin. „Heute macht der französische Präsident Vorschläge, und wir brauchen relativ lange, darauf zu antworten“, stichelte Laschet.

Bahnt sich eine Konfrontation zwischen Berlin und Paris im Haushaltsstreit an?

Vor allem über das Ausmaß der EU-Agrarfonds könnte es bei den Budgetverhandlungen zum Streit zwischen Berlin und Paris kommen. Wenn Macron ein großzügigeres EU-Budget fordert, dann hängt das auch damit zusammen, dass Frankreich traditionell zu den Profiteuren der Brüsseler Agrarhilfen gehört. Auch im neuen Haushalt werden die Zuwendungen für die Landwirtschaft voraussichtlich den größten Brocken ausmachen. Allein im Jahr 2018 erhielt Frankreich neun Milliarden Euro aus den EU-Agrarfonds. Naturgemäß stößt da Merkels Forderung einer weiteren Kürzung der Agrarhilfen, die durch den Ausfall der britischen Nettozahler ohnehin schrumpfen, auf Gegenwehr in Paris.

Einen Vorgeschmack auf die kommende Auseinandersetzung lieferte am Wochenende die französische Europaabgeordnete Anne Sander. Nachdem EU-Ratschef Charles Michel einen Vorschlag präsentiert hatte, der eine Deckelung der Agrargelder bei 329 Milliarden Euro für die kommenden Sieben-Jahres-Periode vorsah, schlug die konservative Parlamentarierin Alarm. Derartige Einschnitte ins Agarbudget seien „inakzeptabel“, erklärte Sander.

Nach der Ansicht des EU-Experten Eric Maurice von der Denkfabrik Fondation Robert Schuman in Brüssel ist es im Streit ums Geld „so wichtig wie nie zuvor, dass Frankreich und Deutschland eine Lösung finden“. Allerdings hält es Maurice derzeit kaum für denkbar, dass Macron bei den Agrarausgaben noch weitere Zugeständnisse macht. Denn am kommenden Wochenende öffnet in Paris der jährliche „Salon International de l’Agriculture“, eine Leistungsschau der französischen Landwirtschaft. Dort könnte sich der Präsident bei seinem traditionellen Rundgang kaum blicken lassen, wenn er zuvor während des Gipfeltreffens mit Merkel und Co. beim Feilschen um die Agrargelder nachgegeben hätte.

Welche Rolle spielt EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen?

Die Kommission hat einen Haushalt in Höhe von 1,11 Prozent der EU-Wirtschaftsleistung vorgeschlagen. Auf den ersten Blick scheint die Differenz zum Ansatz der „sparsamen Vier“ und deren 1,0-Prozent-Forderung gering. Tatsächlich beziffert sich der Unterschied allerdings in Milliardenhöhe. Von der Leyen will beim Finale der Verhandlungen – wann immer es stattfindet – sicherstellen, dass am Ende noch genügend Geld für ihren „Green Deal“ und den Kampf gegen den Klimawandel in der Kasse ist, selbst wenn die Verfechter der traditionellen europäischen Kohäsions- und Agrarpolitik derzeit lautstark mobil machen.

Auf einen machtvollen Verbündeten kann von der Leyen bei dem Poker zählen: das Europaparlament. Denn was auch immer die Staats- und Regierungschefs am Ende beschließen – ohne eine anschließende Zustimmung der Abgeordneten in Straßburg geht gar nichts.

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