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Die Welt zu Gast in Bayern. Die Staats- und Regierungschefs der sieben führenden Industriestaaten treffen sich am 7. und 8. Juni auf Schloss Elmau.
© Stephan Jansen/dpa

G7-Gipfel rückt Krankheiten der Armen in den Fokus: Die Welt heilen

Armutsbekämpfung beginnt bei der Gesundheitsversorgung. Und auf die Seuche Ebola haben die Industriestaaten viel zu zögerlich reagiert. Deshalb steht beim G-7-Gipfel auf Schloss Elmau die Bedrohung durch Infektionskrankheiten ganz oben auf der Tagesordnung.

Im Wissen, dass wirtschaftliche Entwicklung nicht ohne soziale Absicherung funktioniert und dass sich Krankheitserreger nicht um Ländergrenzen kümmern, stehen beim G-7-Gipfel der führenden Industriestaaten auf Schloss Elmau am 7. und 8. Juni diesmal auch wichtige Gesundheitsthemen ganz oben auf der Agenda. Dabei geht es nicht nur um Antibiotika-Resistenzen und die viel zu zögerliche Reaktion der Weltgesundheitsorganisation (WHO) und ihrer Mitglieder auf den Ausbruch der Ebola-Seuche in Afrika. Die Teilnehmer wollen auch darüber beraten, wie sich zahlreiche andere Krankheiten wirksamer bekämpfen lassen, die in Entwicklungsländern Milliarden von Menschen bedrohen und von denen viele hierzulande oft nicht einmal die Namen kennen.

Nicht nur Aids, Malaria und TBC

Bei Aids, Malaria und Tuberkulose ist das anders. Auch deshalb gibt es für diese drei großen Geißeln der Menschheit seit 2002 bereits einen milliardenschweren globalen Fonds, der Hilfsprogramme in 140 Ländern finanziert. Doch in den tropischen und subtropischen Ländern gibt es noch weitere Infektionskrankheiten, die pro Jahr eine halbe Million Tote fordern, bei den Industriestaaten aber bislang kaum auf dem Schirm waren, weil sie fast ausschließlich in den ärmsten Ländern grassieren.

Insgesamt listet die WHO 17 „Neglected Tropical Diseases“ (NTDs) auf. Hervorgerufen durch Bakterien, Viren, Einzeller und Würmer ist ihnen nicht weniger als ein Sechstel der Erdbevölkerung in 150 Ländern ausgesetzt.

Wurmerkrankungen bedrohen mehr als zwei Milliarden Menschen

Allein von bodenübertragenen Wurmerkrankungen sind weltweit mehr als zwei Milliarden Menschen betroffen, darunter 500 Millionen in Südostasien. Als Erreger gelten Spul-, Haken- und Peitschenwürmer, deren Eier im Boden stecken und deren Larven durch die menschliche Haut dringen, den Darm befallen und den ganzen Körper in Mitleidenschaft ziehen. Die Folge sind Durchfall, Schwäche und Blutarmut. Weit verbreitet ist auch die Bilharziose, bei der Leber, Blase und Darm geschädigt werden. Sie wird ebenfalls durch Würmer übertragen, jedoch aus dem Wasser. Betroffen sind mehr als 200 Millionen Menschen in 80 Ländern, gefährdet sind 600 Millionen.

Am Dengue-Fieber, das durch Stechmücken verbreitet wird, infizieren sich pro Jahr 390 Millionen Menschen vor allem in Südostasien. Die Symptome ähneln einer Grippe, innere Blutungen kommen dazu. Gefährdet sind 3,9 Milliarden Menschen. Die ebenfalls durch Mücken übertragene Flussblindheit, bei der sich Würmer unter der Haut festsetzen, quält 37 Millionen Menschen. Sie führt bei jedem Zehnten zu Erblindung und verkürzt die Lebenserwartung um bis zu 15 Jahre.

Gefahr durch Moskitos und Sandmücken

Die durch Moskitos verbreitete Lymphatische Filariose schädigt das Lymphsystem, Nieren sowie Arme und Beine; die WHO beziffert die Zahl der Infizierten auf 120 Millionen, die der Gefährdeten auf 1,38 Milliarden. Die Leishmaniose, durch Sandmücken übertragen, endet in drei Prozent der Fälle tödlich. Sie führt zu 1,3 Millionen Neuerkrankungen im Jahr und gefährdet 350 Millionen Menschen in 98 Ländern.

Bei der Chagas-Krankheit sind es sieben bis acht Millionen Fälle, sie ist in 21 Ländern verbreitet, vor allem in Mittel- und Südamerika. Jedoch gibt es auch bis zu 123 000 Erkrankte in Europa. Gefährdet sind 25 Millionen. Unbehandelt endet die durch Wanzen übertragene Krankheit, bei der innere Organe geschädigt werden, in jedem zehnten Fall tödlich. Die Bakterienerkrankung Buruli Ulcer schließlich ist aus 33 Ländern bekannt. Sie verursacht Geschwüre und endet durch Sepsis und Wundstarrkrampf oft tödlich. Hier werden zwar nur 5000 Fälle pro Jahr gelistet, es gibt aber eine hohe Dunkelziffer.

Lepra und Schlafkrankheit - bis 2020 ausgerottet?

Hinzu kommen zwei Krankheiten, die die WHO bis 2020 ausrotten will. Die Lepra, übertragen durch Tröpfcheninfektion und Hautkontakt, ist vor allem in Indien und Brasilien verbreitet. Sie schädigt Nerven und tötet durch Sekundärinfektionen, bei sechs Prozent der Erkrankten bleiben Behinderungen. Immerhin, die Zahl der Fälle ist rückläufig. Momentan liegt sie bei etwas mehr als 200 000.

Nervenschäden bis zu Delirium und Koma verursacht auch die Schlafkrankheit, die über Tsetse-Fliegen in Zentralafrika verbreitet wird. Unbehandelt endet sie tödlich. Betroffen davon: 20 000 Menschen vor allem in der Republik Kongo. Gefährdet sind 70 Millionen.

Pharmahersteller spenden Medikamente

Erste Programme gegen all diese Krankheiten wurden vor 30 Jahren gestartet, seit zehn Jahren werden sie systematisch bekämpft. Große Pharmahersteller beteiligen sich mit Medikamentenspenden. So kam allein im Jahr 2013 Arznei für 1,35 Milliarden Behandlungen zusammen. Bis 2020 sind Spenden für 14 Milliarden Behandlungen im Wert von 19 Milliarden Euro anvisiert.

Gegen die Schlafkrankheit beispielsweise engagieren sich Bayer und Sanofi. Im Zuge des Programms „Children without worms“ spendeten Janssen und GSK Medikamente für die Präventivbehandlung ganzer Schulen. 2012 konnten so bereits 29 Prozent aller Kleinkinder und 37 Prozent aller Schulkinder in gefährdeten Gebieten behandelt werden. Die Schlafkrankheit konnte von 300 000 gemeldeten Fällen im Jahr 1995 auf 6341 Fälle dezimiert werden. Und die Flussblindheit steht in 26 der 31 betroffenen Länder kurz vor der Eliminierung.

Ärzte ohne Grenzen: Deutschland muss mehr tun

Das Problem sei nicht die Bereitstellung von Medikamenten, sagt die Hauptgeschäftsführerin des Verbands forschender Arzneimittelhersteller, Birgit Fischer. „Die große Herausforderung besteht darin, sie den Betroffenen zukommen zu lassen.“ Dafür benötige man mehr Unterstützung. Schätzungen zufolge fehlen 1,4 Milliarden Dollar. Gerechnet an der Zahl der Betroffenen kaum mehr als ein Dollar pro Person.

Deutschland müsse sich stärker engagieren, fordert Ärzte ohne Grenzen. Großbritannien stelle mehr als doppelt so viel für Forschung zur Verfügung, die USA sogar mehr als das 30-Fache, sagt der Koordinator der Arzneikampagne des Hilfswerks, Philipp Frisch. „Ein Betrag von mindestens 100 Millionen Euro über vier Jahre wäre angesichts der wirtschaftlichen Leistungskraft Deutschlands und des großen Bedarfs angemessen.“

Kriege und fehlende Koordination behindern Hilfe

Allerdings behindern Kriege und fehlende Koordination der Akteure die Hilfe vor Ort. Und nicht alle NTDs sind gleichermaßen behandelbar. Bei der Schlafkrankheit etwa sind Infusionen nötig – dazu bedarf es einer ganz anderen Infrastruktur als für die Verteilung von Tabletten. Bei der Bilharziose fehlt es an Arznei für Kleinkinder. Und beim  Dengue-Fieber gibt es noch gar keine wirksame Arznei. Allerdings wird an einem Impfstoff gearbeitet.

Wer die Armutsspirale durchbrechen will, muss bei der Gesundheitsversorgung beginnen. Wenn die führenden Industriestaaten den Kampf gegen armutsassoziierte Krankheiten forcieren, lindern sie nicht nur individuelles Leid. Sie verbessern Ausbildungschancen und Arbeitsvermögen der Menschen vor Ort, entlasten Angehörige von Pflege, entschärfen das Risiko für Folgekrankheiten. Und leisten Hilfe gegen Landflucht und Hunger.

In den 80er Jahren etwa zwang die Bodenverseuchung durch Würmer die Menschen in Burkina Faso, große Flächen fruchtbaren Ackerlandes aufzugeben und wegzuziehen. Ein Exodus, der ihnen durch Prävention, etwa in bessere Hygiene und mehr Sanitäreinrichtungen, erspart geblieben wäre.

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