Obama-Rede in Hannover: "Die Welt braucht ein starkes Europa"
Bei seiner Rede unter höchsten Sicherheitsvorkehrungen lobt US-Präsident Barack Obama die Europäische Union - und wirbt um Verständnis für die Sicherheitsinteressen der USA.
Die Souveränität der Bundesrepublik scheint für einige Stunden außer Kraft gesetzt zu sein. „Wenn der US-Präsident auf Reisen ist, übernehmen die amerikanischen Sicherheitsbehörden“, meint der deutsche Kripobeamte und kann sein Kopfschütteln kaum verbergen. „Und dann gelten hier die amerikanischen Vorstellungen von Sicherheit.“ Der erfahrene Zivilpolizist, der am frühen Morgen den Shuttlebus vom weltberühmten Schützenplatz zum Messe-Gelände in Hannover begleitet, bereitet denn auch die Passagiere vorsorglich auf die extremen Kontrollen vor. „Tragen Sie Ihre Ausweise lieber so, dass der Secret Service sie auch sofort sehen kann.“
Selbst Niedersachsens Landtagspräsident Bernd Busemann (CDU), protokollarisch immerhin der höchste Repräsentant des Landes, und einige Mitglieder des rot-grünen Kabinetts müssen vor der mit Spannung erwarteten Grundsatzrede von Präsident Barack Obama die umständliche Prozedur mit Bustransfer und Leibesvisitationen über sich ergehen lassen. Justizministerin Antje Niewisch-Lennartz (Grüne) erwischt es dabei richtig heftig. Der Röntgenscanner entdeckt in ihrer Handtasche ein Näh-Etui mit kleiner Schere – ein absolutes Tabu, wenn man dem mächtigsten und am meisten gefährdeten Mann der Welt auf wenige Meter nahe kommen will. „Ich hätte nie gedacht, dass ich in meinem Amt mal ein Asservat abgeben muss“, sagt die Ressortchefin lächelnd über das kleine Missgeschick.
Mehr als 500 Gäste hörten die knapp 50-minütige Rede Obamas
Mehr als 500 geladene Gäste - die genaue Zahl nennt die US-Botschaft in Berlin „aus Sicherheitsgründen“ lieber nicht - dürfen nach den Kontrollen der knapp 50-minütigen Rede von Obama lauschen. Auch darin spielt die Angst vor Attentaten eine große Rolle. Natürlich seien auch die Amerikaner als freiheitsliebendes Volk sehr an dem Schutz der Privatsphäre interessiert. „Die Skepsis gegenüber dem Sammeln von Daten ist gesund.“ Doch angesichts der ernsten Bedrohung durch den internationalen Terrorismus dürfe man die Sicherheit nicht vernachlässigen, warnt Obama. „Unsere Nachrichtendiensten brauchen den Austausch, um Terroristen von Reisen, Grenzübertritten und dem Morden Unschuldiger abzuhalten.“
Viel Applaus der Zuhörer, die meisten von ihnen kurzfristig ausgewählte oder ausgeloste Studenten aus Niedersachsen und Berlin, gibt es an dieser Stelle nicht gerade. Auch bei Obamas erneutem Werben für einen freien Welthandel und das umstrittene Abkommen TTIP bleibt das überwiegend junge Publikum reserviert. „Die öffentliche Kritik kann helfen, die Verträge in Sachen Schiedsgerichte und Sozialstandards zu verbessern“, hofft Christian Freudlsperger, der an der Hertie School on Governance in Berlin seine Doktorarbeit über die Auswirkungen von TTIP auf das öffentliche Vergaberecht schreibt.
Regelrechte Beifallsstürme lösen dagegen Obamas Lob für die deutsche Flüchtlingspolitik und vor allem seine leidenschaftlichen Appelle für den Zusammenhalt in Europa aus. 500 Millionen Menschen friedlich unter einen Hut zu bekommen zu haben, sei einer der größten Leistungen der Weltgeschichte. „Sie können ruhig diskutieren, welcher Fußballverein besser ist oder welcher Sänger den Eurovision Song Contest gewinnen soll“, sagt der Präsident und hat die Lacher auf seiner Seite. Aber: „Die Welt braucht ein starkes und vereintes Europa.“