Ukraine: Die Waffen schweigen
Seit der Nacht zum Sonntag gilt in der Ostukraine eine Feuerpause – die bislang eingehalten wird. Sorgen bereitet immer noch die bis zuletzt umkämpfte, strategisch wichtige Stadt Debalzewe.
Nach heftigen Kämpfen bis zum letzten Moment hat im Kriegsgebiet Ostukraine in der Nacht zum Sonntag eine Waffenruhe zwischen prorussischen Separatisten und der Armee begonnen. Der Beschuss der Militärstellungen habe aufgehört, sagte Wladislaw Selesnjow vom Generalstab in Kiew. Auch Separatistenführer Eduard Bassurin bestätigte, die Lage im Gebiet Donezk sei ruhig. Vereinzelte Gefechte gab es nach Darstellung beider Seiten jedoch um den strategisch wichtigen Ort Debalzewe.
In Kiew gab der Auftritt von Außenminister Pawlo Klimkin am Sonntagmittag einen Einblick in die Stimmungslage in der Ukraine: Die politische Führung ist hochgradig angespannt, aber entschlossen. Ob die Waffenruhe und die weiteren Vereinbarungen von Minsk eingehalten werden können, kann im Moment noch niemand mit Sicherheit sagen.
„Wir sind entschlossen, das Minsker Protokoll Punkt für Punkt umzusetzen“, bekräftigte Klimkin, dem die Anspannung der vergangenen Wochen deutlich anzusehen war. Die Kiewer Führung habe aber nicht nur die Einhaltung des Waffenstillstands im Blick, vielmehr gehe es um die komplette Umsetzung des Programms, das von Bundeskanzlerin Angela Merkel, dem französischen Präsidenten François Hollande sowie Russlands Staatschef Wladimir Putin und seinem ukrainischen Amtskollegen Petro Poroschenko vereinbart wurde. „Nicht nur die Ukraine, sondern die ganze Welt beobachtet den Prozess in der Ostukraine“, sagte Klimkin und machte deutlich, dass Präsident Poroschenko Maßnahmen ergreifen werde, sollte es zu Verletzungen der Minsker Vereinbarungen kommen.
Was damit gemeint ist, gab der Präsident nur wenige Minuten nach Inkrafttreten der Waffenruhe Sonntagnacht bekannt: „Sollten die Vereinbarungen von Minsk erneut fehlschlagen, werde ich landesweit das Kriegsrecht verhängen“, erklärte Poroschenko.
Es kommt nur vereinzelt zu Schusswechseln
In der Unruheregion selber schweigen die Waffen seit Sonntagmitternacht, nur vereinzelt komme es zu Schusswechseln, berichten ukrainische Medien, doch die Lage ist weiterhin angespannt.
Augenzeugen wie Roland Oliphant, Korrespondent der englischen Tageszeitung „The Telegraph“, berichteten aus Debalzewe jedoch, dass russische Panzer sich Richtung Innenstadt bewegen: „Sie fahren Richtung Kessel“, twitterte er.
Das mag auch der Grund dafür sein, dass der Verteidigungsminister der „Volksrepublik Donezk“, Eduard Bassurin, in einem, wie Außenminister Klimkin es nannte, „Brandbrief“ an die OSZE davor warnte, der bis Samstagnacht schwer umkämpften Stadt Debalzewe am Sonntag einen Besuch abzustatten. Die OSZE wollte sich am späteren Sonntagnachmittag selber zu dem Brief äußern.
Sollte der Waffenstillstand tatsächlich halten und ab dem heutigen Montag damit begonnen werden, die schweren Waffen abzuziehen und eine entmilitarisierte Pufferzone zu errichten, kämen als nächster Schritt Kommunalwahlen in den von den Separatisten kontrollierten Gebieten. Ein solcher Urnengang wäre nach Auskunft von Experten aber frühestens in zwei Monaten möglich. „Wir brauchen eine gewählte Vertretung in Donezk und Luhansk“, schreibt die Internetausgabe der Tageszeitung „Segodna“. Sämtlichen Beobachtern in der Ukraine ist jedoch klar, wie schwer es sein wird, in dem Rebellengebiet Wahlen nach ukrainischem Recht durchzuführen. Seit den international nicht anerkannten „Präsidentschaftswahlen“ in Donezk und Luhansk am 2. November 2014 haben die Anführer ihre eigenen Gesetze eingeführt. Sie herrschen über die von ihnen annektierten Regionen mit harter Hand. So gelten für Donezk zum Beispiel eine nächtliche Ausgangssperre und die Todesstrafe. Wer sich in den Rebellengebieten öffentlich als ukrainischer Staatsbürger bezeichnet oder sich weigert, seinen Pass gegen den Ausweis der Volksrepublik auszutauschen, riskiert langjährige Haftstrafen.
Viele Menschen im Donbass sind der Ansicht, die ukrainischen Streitkräfte hätten gezielt Wohnviertel und Krankenhäuser mit Raketen beschossen. Auch internationale Organisationen wie „Human Rights Watch“ haben der ukrainischen Armee schwere Vergehen wie den Einsatz von Streubomben gegen Zivilisten zur Last gelegt. Es wird lange dauern, das Verhältnis zwischen Kiew und Donezk wieder aufzubauen.