Neuanfang: Die Vernunft kehrt in die Islamkonferenz zurück
Wer den Islam im Land formen will, muss ihm auch Raum zusprechen. Dass das nun geschehen soll, macht Hoffnung. Ein Kommentar.
Die vierte Deutsche Islamkonferenz soll ein „Neuanfang“ sein – und sie hat tatsächlich das Zeug dazu. Es scheint, als sei Bundesinnenminister Horst Seehofer entschlossen, sich den migrations-, kultur- und religionspolitischen Schaum vor dem Mund abzuwischen, um das vergiftete Gespräch zwischen muslimischen und nicht muslimischen Deutschen wieder in Gang zu bringen und ernsthaft nach praktischen Lösungen für die multikulturelle Gesellschaft zu suchen. Das kann man gar nicht genug begrüßen. Es ist bitter nötig.
Neue religionspolitische Zielsetzung
Zum Auftakt der Islamkonferenz gestand Horst Seehofer die große Vielfalt des Islam in Deutschland zu, rügte die pauschale Kategorisierung „des Islam“ als Quelle allen gesellschaftlichen Übels und bekannte: „Die hier lebenden Muslime gehören zu Deutschland.“ Die neue religionspolitische Zielsetzung sei ein „Islam, in, aus und für Deutschland“, so der Minister. Darauf will Seehofer politisch hinarbeiten. Er will, dass Moscheegemeinden finanziell unabhängig von Zuwendungen aus dem Ausland werden und dass in Deutschland ausgebildete Imame eine Chance haben, hier auch seelsorgerisch tätig zu werden. Seehofers Heimatstaatssekretär Markus Kerber brachte auch eine Moscheesteuer in Anlehnung an die Kirchensteuer ins Spiel. Im besten Fall könnte sie Anerkennung und politischer Hebel gleichzeitig sein: ein staatlicher Service für muslimische Gemeinden und ein Förderinstrument für einen modernen Islam. Es ist ein religionspolitisches „Fördern und Fordern“, das sich da als neue Linie herausschält, und es ist so vernünftig, dass man es kaum glauben mag.
Die Freiheit liberaler Muslime muss geschützt werden
Aber darf „der Staat“ das, sich eine Religion formen, wie sie ihm passt?
Die reine staatspolitische Lehre ist das sicher nicht, doch die Alternativen sind diskreditiert. Ein Blick über die deutsch-französische Grenze reicht, um zu sehen, was ein radikaler Laizismus anrichten kann. Die französischen Kopftuch- und Burkaverbote haben dem Religionsfrieden mehr geschadet als genützt. Dass auch eine Laissez-faire-Religionspolitik keine Lösung ist, dafür reicht ein Blick in die deutsche Zeitgeschichte. Der Staat hat die Verantwortung, der durch das Ausland geförderten Radikalisierung von Muslimen entgegenzutreten. Er hat nicht zuletzt auch die Pflicht, die Freiheit liberaler Muslime wie Seyran Ates zu schützen.
Es ist ihr Recht, zu Deutschland zu gehören
Ein wichtiger Aspekt allerdings fehlt in diesem neuen, grundvernünftigen religionspolitischen Konzept: Wer den Islam in Deutschland formen will, muss ihm auch Raum zusprechen. Deutschland muss Gestaltungsansprüche gegen Freiheit und Vertrauen tauschen. Es darf nicht länger – wie mit den Neutralitätsgesetzen – jeder muslimischen Lehramtsanwärterin, die sich für ein Kopftuch entschieden hat, die religiöse Manipulation ihrer Schüler unterstellt werden. Es darf nicht länger jedem muslimischen Mann, der aus religiösen Gründen seiner Ärztin nicht die Hand schütteln möchte, der Versuch unterstellt werden, die Emanzipation auf Mittelalterstandards zurückzusetzen. Die hier lebenden Muslime gehören zu Deutschland, hat Horst Seehofer gesagt. Das tun sie, und zwar nicht von höchstinnenministerlicher Gnade wegen. Es ist schlicht ihr Recht.
Spricht da die Vernunft des Staatssekretärs?
Mit dieser Islamkonferenz ist die religionspolitische Debatte natürlich nicht beendet. Die Union schwankt weiter wild hin und her zwischen christlichen Leitkulturphantasien (Alexander Dobrindt), Forderungen nach einer Art Händeschüttelpflicht (Thomas de Maizière), der Mahnung an die Kirchen, Religiosität auf Innerlichkeit zu begrenzen und das öffentliche „Moralisieren“ zu lassen (Jens Spahn) und der Bekenntnisrhetorik („Der Islam gehört zu Deutschland“) eines Wolfgang Schäuble oder einer Angela Merkel. Das nun ausgerechnet Seehofer (oder spürt man da lediglich die Vernunft seines Staatssekretärs Markus Kerber?) einen pragmatischen und gesprächsbereiten Kurs einschlägt, ist umso erfreulicher. Man könnte auch sagen: Er hat kräftig mitgeholfen, den Karren in den Dreck zu fahren. Soll er ruhig kräftig mithelfen, ihn wieder herauszuziehen.