25 Jahre Deutsche Einheit: Die vergessenen Ost-Frauen
Die deutsch-deutsche Frauenfrage spielt 25 Jahre nach der Einheit keine große Rolle. Dabei waren die Frauen der ehemaligen DDR die größten Verliererinnen der Wende. Ein Kommentar.
Festreden, schon gar zu nationalen Jubeltagen, sind bekanntermaßen keine bevorzugten Orte für Kritisches. Aber da Deutschland auch nach dem 9. November noch praktisch ein Jahr lang Zeit zum Feiern hat – den Sturm auf die Stasi-Zentrale im Januar, die letzte Volkskammerwahl im März, die Zwei-plus-Vier- Verhandlungen im Mai, die Währungsunion im Juli –, bleibt ordentlich Zeit. Womöglich lässt sich bis zum feierlichen Abschluss, 25 Jahre deutsche Einheit am 3. Oktober, noch der eine oder andere Seitenblick riskieren.
Anregendes dazu kommt aus Amerika. Die Soziologin und Deutschlandspezialistin Myra Marx Ferree hat bereits vor zwei Jahren in ihrem Buch „Varieties of feminism“ eine Bilanz der Geschlechterpolitik in Deutschland seit 1848 aufgemacht. Es passt gut in die Zeit, dass es demnächst in der Übersetzung von Erica Fischer auf Deutsch erscheinen wird, deutscher Titel: „Feminismen“. Ein langes und gründliches Kapitel ist nämlich dem Umbruch vor 25 Jahren gewidmet.
Zwei Jahre nach der Einheit waren 40 Prozent der Stellen für Männer ausgeschrieben
Dass (ostdeutsche) Frauen die Wendeverliererinnen waren, dürfte noch vage im kollektiven Gedächtnis sein, doch die Zahlen, die Marx Ferree dazu zusammenstellt, sind ein Vierteljahrhundert später noch einmal atemberaubend: Obwohl Frauen in der DDR bis 1989 40 Prozent des Familieneinkommens erarbeiteten – die meisten in Vollzeitbeschäftigung –, waren zwei Jahre nach der Einheit 40 Prozent aller neuen Stellenangebote in Ostdeutschland ausdrücklich für Männer ausgeschrieben, elf für Frauen und nicht einmal die Hälfte geschlechterneutral. Obwohl Ost-Frauen viel häufiger in klassischen Männerberufen vertreten waren, fiel auch dort ihr Anteil rasch auf das, was der Westen für normal hielt.
Weibliche Zimmerleute mussten auf dem Arbeitsamt hören, dass „Zimmermann“ im neuen Deutschland wörtlich genommen wurde. Und die Älteren traf es besonders hart: Schon im März 1991 war die Zahl der 50- bis 60-jährigen Frauen auf dem Arbeitsmarkt um die Hälfte geschrumpft, von der verbliebenen Hälfte waren 30 Prozent arbeitslos. Die „Welle von Arbeitslosigkeit“, die die Wirtschafts- und Währungsunion der beiden Deutschlands über den östlichen Teil schickte, und der Abbau von 40 Prozent aller bisherigen Arbeitsplätze sei zwar für Männer wie Frauen traumatisch gewesen. Für Frauen aber, schreibt Marx Ferree, war von allen strukturellen Nachteilen, unter denen sie litten, dieser eine der bedeutendste: „krasse Diskriminierung“.
Das neue Abtreibungsrecht nebenbei, das 1992 im Westen die Lage für die Frauen verbesserte, demütigte die ostdeutschen Schwestern zusätzlich. Die, die sich 1989 Freiheit und Mündigkeit erkämpft hatten, erklärte die „Beratung“, die nun vor dem Abbruch vorgeschrieben war, symbolisch zu Unmündigen, die der Belehrung bedurften.
Dass die deutsch-deutsche Frauenfrage 25 Jahre danach keine Rolle im Gedenken spielt, hat vielleicht nicht nur mit Festtagsliturgie zu tun, sondern damit, dass Frauenfragen nach wie vor nicht als Menschheitsfragen gelten. Gerade die zur Wendezeit aktiven Frauen hatten sie massiver denn je so gestellt. Zum SED-Staatsfeminismus wollte keine zurück, für Neuauflagen der „Muttipolitik“, die mit Einrichtungen wie dem monatlichen Hausarbeitstag die alten Rollen nicht auflöste, sondern betonierte, war ihre wichtigste Lobby, der Unabhängige Frauenverband, nicht zu haben.
Er verschwand wenige Jahre später politisch von der Bühne und die ostdeutschen Frauen hatten offenbar zu viel damit zu tun, sich mit den neuen Verhältnissen zu arrangieren, um zu protestieren. Doch es ist viel aus jener Zeit geblieben. Die Einheit hat der Geschlechterpolitik Schub gegeben. Viele Frauen – und Männer – mit einem anderen Rollenbild, anderen Erfahrungen als dem der westdeutschen Norm, bestimmen sie seither politisch mit und haben die alten Westdebatten um die „Vereinbarkeit“ von Beruf und Familie, um Krippenbetreuung und angeblich natürliche Geschlechterordnungen womöglich stärker erschüttert als alle Forschung zum Thema. Nicht dass nicht mehr geredet würde und verhandelt werden müsste. Aber der Alltag von Millionen Ostdeutschen gibt bereits starke Antworten.
Denen, die damals grausam aussortiert wurden, hilft das alles nicht mehr. Aber es sollte an sie erinnert werden. Und sei es nur, um zu verstehen, dass die Marktkräfte, die ab 1989 im Osten wirkten, nicht gänzlich blind gewesen sein können. Geschlechterblind waren sie jedenfalls sicher nicht.