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Blumen der Trauer lagen im Juli 1992 in Palermo auf der Motorhaube des Wagens, in dem der Richter Paolo Borsellino starb.
© dpa

Italiens Kampf gegen die Mafia: Die Verbindung von Politik und Verbrechen bleibt

„Die Mafia ist nicht unbesiegbar.“ Der Satz stammt von dem Mafia-Jäger Giovanni Falcone, der 1992 von der Cosa Nostra ermordet wurde. Doch ihrem Ende ist die Mafia mehr als 20 Jahre nach Falcones Tod nicht wirklich näher.

Die Wende ist etwa dreißig Jahre alt: Damals begann ein bis dahin nicht für möglich gehaltener Kampf der italienischen Justiz und Polizei gegen die Mafia, der ihr bleibende Wunden schlug. Einem neugebildeten Pool von Staatsanwälten, die erstmals gemeinschaftlich und ausschließlich gegen die Cosa Nostra vorgingen, gelang es, hunderte Bosse und ihre Helfershelfer dingfest zu machen und schließlich vor Gericht zu stellen. Der maxiprocesso, das Megaverfahren von Palermo, im Februar 1986 begonnen, wurde der Höhepunkt dieser ersten wirklichen Gegenwehr in der Geschichte des italienischen Staats: Nicht nur, weil 460 Angeklagte sich für Mord, Drogenhandel, Erpressung oder Bildung einer kriminellen Vereinigung zu verantworten hatten, sondern weil er die Mafia mit einem Mal entzauberte: Sie waren also nicht unverwundbar, das Gesetz galt auch für sie. In Palermo standen damit nicht mehr nur die „Ehrenmänner“ der sizilianischen Cosa Nostra vor Gericht, sondern auch die kalabresische ’Ndrangheta, die Camorra in Kampanien und Neapel. Das Signal war vollends unmissverständlich, als die 19 lebenslänglichen und vielen anderen drastischen Haftstrafen, die in erster Instanz verhängt wurden, Anfang 1992 praktisch alle vom Obersten Gerichtshof bestätigt wurden.

Die Untersuchungsrichter Paolo Borsellino und Giovanni Falcone, die zentralen Figuren des Antimafi-Pools, bezahlten diesen Erfolg mit dem Leben: Die Cosa Nostra ermordete Falcone, seine Frau und drei seiner Bodyguards, am 23. Mai 1992. Acht Wochen später starb sein Freund und Kollege Borsellino mit fünf Frauen und Männern seiner Eskorte durch eine Autobombe. Doch das doppelte Massaker schadete der Mafia weiter, der zeitweise erlahmte Verfolgungsdruck nahm wieder zu, die Haftbedingungen verurteilter Mafiosi wurden verschärft, um Kontakte nach außen zu verhindern. Seit damals ist Italiens organisiertes Verbrechen nicht mehr aus dem Blick seiner Verfolger in Justiz und Behörden verschwunden, ihre Methoden und Erkenntnisse machten international Schule.

Engagierte Bürger leisten Gegenwehr

Während in den 50er Jahren Italiens höchster Richter die mafie noch als gesetzestreu und Hilfstruppe gegen die Gesetzlosigkeit rühmte, gibt es jetzt die Möglichkeit, mafiose Stadtverwaltungen aufzulösen und kriminell erworbenes Land und Geld zu beschlagnahmen. Und es gibt die Gegenwehr engagierter Bürger: „Addio Pizzo“ hilft Geschäftsleuten, die kein Schutzgeld mehr zahlen wollen, „Libera“ organisiert Initiativen, die beschlagnahmtes Mafia-Land nutzen. Die Mafia stecke seit den 80er Jahren nicht nur in einer „Legitimationskrise“, schreibt die an der Universität Leuwen lehrende Kriminologin und Mafia-Forscherin Letizia Paoli: „Tatsächlich sind einige „Familien“ in Folge von Beschlagnahme und Verurteilung praktisch bankrott gegangen.“

Doch Italiens mafie sind alles andere als besiegt. Sie sind leiser geworden, das System hat gelernt: Die Mafia mordet zwar weiter – 2007 starben in Duisburg sechs Menschen in einer ’Ndrangheta-Fehde – aber sie tut es seltener. 2008 sank die Zahl ihrer Opfer auf Sizilien auf weniger als ein Zehntel der Zahl von 1990. Und „cadaveri eccellenti“, prominente Leichen, hat sich die malavita, aus Vorsicht, seit Borsellino und Falcone praktisch nicht mehr geleistet. Den Geschäften hat das nur gutgetan: Europol bezifferte letztes Jahr die jährlichen Einkünfte allein der ´Ndrangheta auf 44 Milliarden Euro.

Der Zeithistoriker Nicola Tranfaglia ist daher nicht der Einzige, der die malavita sogar als Siegerin sieht. „Warum die Mafia gewonnen hat“ heißt das Buch, in dem er ausführlich beschreibt, wem sie – seit je – ihr Überleben und Wachsen verdankt: der Politik. Tatsächlich ist die Mafia weniger ein vormoderner Rest im modernen Staat als dessen Kind. Das Regierungen des 1861 gegründeten Königreichs Italien nutzten sie von Anfang an, um den aufsässigen Süden unter ihre Kontrolle zu bekommen und machten die lokalen Gesellschaften der Ehrenmänner dadurch erst groß. Die Christdemokraten ließen sich nach 1945 Wählerstimmen im Süden organisieren. Die Mafia-Verwicklung des jahrzehntelangen Strippenziehers der Democrazia cristiana, Giulio Andreotti, wurde in einem Prozess festgestellt. Einer Verurteilung entging er nur wegen Verjährung. Und die Mafia stand sehr wahrscheinlich Pate beim Aufstieg Silvio Berlusconis, der Italien zwanzig Jahre lang regierte, auch wenn er gerade nicht regierte. Die Quellen, aus denen er seine ersten Unternehmen finanzierte, sind trüb; wahrscheinlich spielte sein früherer „Stallmeister“ eine Rolle, ein Mafia-Mann. Berlusconis jahrelange rechte Hand Marcello Dell’Utri, wurde als Mafiahelfer letztes Jahr rechtskräftig zu sieben Jahren Haft verurteilt.

Alte Verbindungen von Mafia und Politik

Die alten Verbindungen von Mafia und Politik sind immer noch in der Lage, die Anstrengungen der Justiz zu neutralisieren. Schon in den 90er Jahren geriet der Anti-Mafia-Pool von Palermo in die Isolation – und löste sich später auf – als seine Recherchen die Verbindungen zur öffentlichen Hand berührten. In den Berlusconi-Jahrzehnten waren Italiens Richter und Staatsanwälte einer Dauerkampagne gegen „rote Roben“ und eine illegitime angebliche „Diktatur der Justiz“ ausgesetzt, durch den Premier selbst oder durch seine vielen Fernsehsender. Politiker des aktuell regierenden mitte-linken PD bliesen, wenn auch zurückhaltender im Ton, ins gleiche Horn, wenn sie dazu aufriefen, Berlusconi politisch und nicht juristisch zu bekämpfen – als seien Gesetzesverstöße kein Fall für die Gerichte und die Vorladung eines hohen Politikers eine politische Kampagne. Diese Herabsetzung hatte und hat Folgen: „Wo es die Richter und Staatsanwälte sind, die zu Angeklagten gemacht werden“, schrieb Gian Carlo Caselli, der frühere Chefankläger von Palermo, „profitiert die Kriminalität.“

In den letzten Jahren hat sich die Lesart durchgesetzt, dass Italiens mafie in erster Linie international agierende Konzerne geworden seien. Dabei ist diese politische Dimension ein wenig aus dem Blick geraten. Die Verbrechen der Mafiosi folgen nur teilweise Profitlogiken. Wesentlich, meint Letizia Paoli, sei noch immer „der Wille zur Macht, die Ausübung politischer Dominanz“. Die „unternehmerische Transformation“ der Mafia bleibe dagegen „unvollendet“ und Teil einer allgemeinen Modernisierung der Gesellschaft, in der Wohlstand immer mehr zum entscheidenden Ausweis des gesellschaftlichen Rangs wurde.

Geschäft mit öffentlichen Aufträgen

Der Drang zu den – politisch – Mächtigen zahlt sich im Übrigen nach wie vor auch finanziell aus. Was der Camorrista Pasquale Galasso 1993 vor der Antimafia-Kommission des Parlaments aussagte, dürfte bis heute gültig sein: Die öffentlichen Aufträge, so Galasso, seien immer einträglicher gewesen als der Drogenhandel. Zumal die regionale und lokale Verwurzelung von Camorra, Cosa Nostra, ’Ndrangheta und anderen Organisationen hier einen entscheidenden Standortvorteil bietet. Auf vielen anderen Geschäftsfeldern des Verbrechens dagegen hat ihnen seit dem Fall der Mauer die ausländische Konkurrenz entweder den Rang abgelaufen oder aber die Profite verkleinert. Was dagegen die öffentliche Hand zu verteilen hat, wurde gerade vor einem Monat wieder sichtbar, als in Venedig 35 Unternehmer, hohe Verwaltungsbeamte und Politiker, darunter der PD-Bürgermeister, festgenommen wurden. Sie sollen 20 Millionen Euro aus dem Staudamm-Projekt „Mose“ abgezweigt haben, das die Lagune gegen Hochwasser schützen soll.

„Die Mafia ist nicht unbesiegbar“, sagte Giovanni Falcone. „Wie alles, was Menschen machen, hat sie einen Anfang, und sie wird auch ein Ende haben.“ Doch ihrem Ende ist die Mafia mehr als 20 Jahre nach Falcones Tod nicht wirklich näher. Die Politik scheint auch nach 150 Jahren nicht bereit, eine Verbindung zu kappen, die für sie vorteilhaft, für die Demokratie aber tödlich ist. Wie die Anfänge der Mafia, liegt auch ihr Ende in den Händen derer, die Italien regieren und verwalten. Denn ohne sie, so ein Satz, den Generationen von Antimafia-Experten kennen und zitieren, „gibt es die Mafia nicht“.

Lesen Sie auch das Interview mit dem neapolitanischen Experten Benedetto De Vivo über die Verquickung von Universität und Mafia.

Andrea Dernbach

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