Plant Donald Trump einen Coup?: Die USA stecken in einer Verfassungskrise
Donald Trump will sich nicht zu einer friedlichen Machtübergabe bekennen. Doch das Präsidentenamt ist nicht die einzige Institution in der Krise. Ein Kommentar.
Seit Monaten raunt er. Nun hat Donald Trump ungewöhnlich deutlich wiederholt, dass er das Ergebnis der Präsidentschaftswahl am 3. November möglicherweise nicht anerkennen wird, wenn er verliert. Auf die Frage eines Journalisten, ob er eine friedliche Übergabe der Macht an die nächste Regierung zusage, sagte er in den gewohnten Stummelsätzen: „Schafft die Briefwahl ab und ihr werdet eine sehr friedliche … Ehrlich gesagt, es wird keine Übergabe geben, es wird eine Fortsetzung geben.“
Donald Trump stellt ein zentrales Prinzip der Demokratie in Frage: die friedliche Übertragung der Macht
Die friedliche Übertragung der Macht von einer gewählten Regierung auf die nächste ist ein zentrales Merkmal der Demokratie. Donald Trump stellt dieses Prinzip infrage. Längst wird in den USA über einen „Coup“ oder einen Bürgerkrieg nach dem 3. November spekuliert. Das mag hysterisch sein, spiegelt aber eine bittere Wahrheit wider: Das Land steckt in einer Verfassungskrise. Donald Trump hat sie nicht allein herbeigeführt. Doch er hat sie verstärkt. Und nicht nur das Amt des Präsidenten ist betroffen. So ziemlich jede zentrale Institution steckt in der Legitimitätskrise.
In der Debatte um die Nachfolge der Verfassungsrichterin Ruth Bader Ginsburg wurde das offensichtlich. Formalrechtlich steht es Donald Trump zu, diesen Posten noch vor der Präsidentschaftswahl neu zu besetzen. Doch die Zweifel an der Legitimität seiner Person strahlen auf die Legitimität des Gerichts ab: Weil er so stark polarisiert, weil er in den Umfragen hinten liege, überhaupt, weil er ja nie den „Popular Vote“, die Mehrheit der Einzelstimmen, gewonnen habe, fehle ihm die Autorität, eine so weitreichende Entscheidung zu treffen, wird argumentiert.
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Im Zuge der Polarisierung geraten auch das Gremium der Wahlmänner und -frauen und der Senat in die Kritik. In beiden Gremien haben die tendenziell konservativen, bevölkerungsärmeren Staaten der Mitte überproportional viel Macht. Nur so könne eine konservative Minderheit der Bevölkerungsmehrheit der liberaleren Küstenstaaten überhaupt ihre rückwärtsgewandte Politik aufdrängen, meinen manche. Das populistische Argument der „wahren Mehrheit“ wird umgedreht. Das hat einen wahren Kern: Tatsächlich wächst durch die demografische Entwicklung die Lücke zwischen Repräsentationsmacht und der tatsächlichen Verteilung von Meinungen und Werten. Ein Verfassungsgericht, in dem sechs konservative und drei liberale Richter sitzen, spiegelt wohl kaum die gesellschaftliche Realität der USA.
Die USA stecken in einer Verfassungskrise
In der aufgeheizten Stimmung ist eine sachliche Debatte aber unmöglich. Weil sie sich durch die Institutionen nicht repräsentiert fühlen, gleichzeitig aber glauben, es gehe um alles oder nichts, spielen beide Seiten „constitutional hardball“: Sie greifen zu allen rechtlichen und politischen Mitteln, auch den unschönen. Derzeit diskutieren die Demokraten etwa, nach einem Wahlsieg das Verfassungsgericht einfach zu erweitern und Trumps Besetzung wieder unwirksam zu machen.
Was passiert ist legal - wird aber von vielen nicht mehr als legitim angesehen
So verstärken sich die Legitimitätskrisen der verschiedenen demokratischen Institutionen gegenseitig. Die Folge ist die Entkernung der amerikanischen Demokratie. Die Hülle steht noch, der Kitt aber, der das Ganze zusammenhält, bröckelt: der Glaube nicht nur an die Legalität, sondern auch die Legitimität von Institutionen, Personen und Prozessen. Und vor allem das Vertrauen in jenen Schiedsrichter, der letztgültig Streit befrieden soll: das Oberste Gericht.