zum Hauptinhalt
Unbequem wollen die Grünen sein - hier Ministerpräsident Winfried Kretschmann.
© dpa

Bundesdelegiertenkonferenz: Die unbequemen Grünen - nur nicht zu sich selbst

Vermögensteuer hier, Zetsche-Auftritt dort: Der Parteitag der Grünen zeigte auch eine Angst vor Veränderungen. Die Partei ringt mit ihren Selbstzweifeln. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Cordula Eubel

Mehr als 20 Stunden Debatte haben die Grünen hinter sich, da rüttelt Cem Özdemir die Partei noch einmal wach: „Etwas mehr Rückgrat, etwas mehr Selbstbewusstsein“, ruft der Vorsitzende in die Messehalle in Münster. Mit Angst könne man keine Wahlen gewinne, und mit Angst verändere man die Republik nicht, mahnt er. Es ist ein Appell an eine Partei, die zuletzt voller Selbstzweifel war.

Mit Daimler-Chef Dieter Zetsche haben die Grünen ausgerechnet jemanden als Gastredner eingeladen, der für viele in der Partei ein Feindbild ist. Zwar folgen sie nicht dem Antrag einiger Delegierter, Zetsche wieder auszuladen. Doch schon die Aufregung darüber zeigt, wie wenig die Partei in sich selbst ruht. Und das, obwohl die Grünen verkehrspolitisch mit der Forderung nach dem Ausstieg aus dem Verbrennungsmotor bis 2030 eine klare Vision formulierten.

Der Aufstieg der AfD, der Vormarsch der Rechtspopulisten in Europa – und nicht zuletzt der Wahlerfolg von Donald Trump haben auch die Grünen verunsichert. Die Partei, die vor 36 Jahren gegründet wurden, um gleiche Rechte für Frauen und Homosexuelle in diesem Land zu erkämpfen und um dem Staat Freiheiten abzuringen, sieht sich vor der Aufgabe, ihre Politik wieder neu zu begründen.

Beruhigendes Gefühl, auf der richtigen Seite zu stehen

Die Grünen reagieren unterschiedlich darauf. Für manch einen ist es ein beruhigendes Gefühl, sich auf der richtigen Seite der Barrikade zu fühlen. Doch auf dem Parteitag sind auch nachdenkliche Töne zu hören. Den eindringlichsten Appell richtet der Leiter des Washington-Büros der Heinrich Böll Stiftung an die Delegierten: „Wir müssen raus aus der Blase“, fordert er und verlangt, die Grünen müssten auch mit „Andersgesinnten“ Kontakt suchen. Auch der Stuttgarter Regierungschef Winfried Kretschmann wirft die Frage auf, ob die Grünen immer alle genügend mitgenommen hätten.

Der Wunsch, die Menschen für die eigene Politik zu gewinnen, schlägt sich unter anderem in den Beschlüssen zum Ehegattensplitting nieder. Hier sind die Grünen nach den Erfahrungen aus dem letzten Wahlkampf vorsichtiger geworden, auch weil sie zur Kenntnis genommen haben, dass es Familien gibt, die ihre Lebensplanung nach dieser Steuersubvention ausgerichtet haben.

Reflexhafte Abwehrreaktionen auf Äußerungen Kretschmanns

Auf die Verunsicherung reagieren die Grünen zugleich mit dem Wunsch nach Selbstvergewisserung. Auch so ist zu erklären, dass die Partei ihren zermürbenden Streit über die Steuerpolitik unbedingt beilegen wollte und nun mit der Forderung nach einer Vermögensteuer in den Wahlkampf ziehen will. Zwar bleibt offen, wer zu den Superreichen gehört und ob es überhaupt ein Modell gibt, das umsetzbar ist. Doch von dem Ja zur Vermögensteuer verspricht sich die Partei ein klares Signal für mehr Gerechtigkeit.

Wir bleiben unbequem – das war das Motto. Doch ist die Partei auch bereit, unbequem gegenüber sich selbst zu sein? Zwar haben die Grünen mit Zetsche jemandem zugehört, den viele als Gegner empfinden. Doch schon wenn es darum geht, die Breite in der eigenen Partei auszuhalten, tun sie sich schwer, wie die reflexhaften Abwehrreaktionen auf jede Äußerung Kretschmanns zeigen. Der Kurs der Eigenständigkeit, den die Grünen bei der Wahl fahren wollen, erfordert Rückgrat. Natürlich wäre es einfacher, sich wieder einem politischen Lager anzuschließen. Ob es den Grünen gelingt, auch an dieser Stelle unbequem zu bleiben, muss sich noch zeigen.

Zur Startseite