Weltwirtschaftsforum in Davos: Die überraschenden Gemeinsamkeiten zwischen Thunberg und Trump
In Davos sind Greta Thunberg und Donald Trump die Mega-Stars. Denn beide verkörpern einen Geist der Zeit: Es darf nicht so weitergehen. Ein Kommentar.
Wer in Deutschland bei disparaten Phänomenen nach Ähnlichkeiten sucht, muss sich den Vorwurf anhören, Äpfel mit Birnen zu vergleichen. Dabei ist der Vergleich von Äpfeln und Birnen keineswegs abwegig. In beiden Fällen handelt es sich um Obst. Miteinander vergleichen kann man nur, was verschieden ist. Gleiches miteinander zu vergleichen, wäre nicht nur langweilig, sondern auch kaum erkenntnisfördernd.
Beim Weltwirtschaftsforum in Davos sind Donald Trump und Greta Thunberg die Mega-Stars. Medien sprechen von einem Hype, einem Duell der Giganten, einem Aufeinanderprallen zweier Menschen, die unterschiedlicher nicht sein könnten. Das stimmt, jedenfalls auf den ersten Blick.
Hier die 17 Jahre junge Umwelt-Aktivistin aus Schweden, die unermüdlich an die Verantwortung der Menschheit appelliert, eine Klimakatastrophe abzuwenden; dort der 73 Jahre alte US-Präsident, der den menschenverursachten Klimawandel für eine unbewiesene Behauptung hält und sich selbst dafür preist, sein Land zum weltgrößten Produzenten von fossilen Brennstoffen gemacht zu haben. Sie appelliert ans Kollektiv, er vertraut auf die Kraft jedes Einzelnen.
Trump will eine Milliarde Bäume pflanzen lassen
„Ich weiß, ihr wollt darüber nicht reden und nicht berichten“, sagt Greta Thunberg am Morgen bei einer Podiumsdiskussion, nimmt einen Zettel und liest dramatische Zahlen aus dem Bericht des Weltklimarats vor. „Aber ich versichere euch, ich werde diese Zahlen wiederholen, bis ihr es tut!“
Ein Jahr zuvor hatte sie, ebenfalls in Davos, der Weltwirtschaftselite entgegengehalten: „Ich will, dass ihr in Panik geratet!“ Alle sollten die Angst spüren, die sie selbst jeden Tag spüre. Das gesamte Haus, Mutter Erde, stehe bereits in Flammen.
Auftritt Trump, auch bei ihm ist der Saal voll. Der Kontrast indes könnte kaum krasser sein. Er propagiert Steuersenkungen, eine möglichst ungebremste Entfaltung aller wirtschaftlichen Kräfte, starke Nationalstaaten, er empfiehlt Europäern, amerikanisches Frackinggas zu importieren, kein Wort zum Klima, zur Notwendigkeit einer Zusammenarbeit auf globaler Ebene, stattdessen wendet er sich gegen "Pessimisten", die Endzeitvisionen verbreiten und nicht auf Fortschritte der Wissenschaft zur Lösung der Probleme vertrauen. Etwas überraschend kommt sein Versprechen, sich dem UN-Programm anzuschließen, eine Billion Bäume pflanzen lassen zu wollen, denn er sagt nicht, warum.
Greta Thunberg und Donald Trump: Vielleicht lohnt, trotz substanzieller Verschiedenheit, auch eine Betrachtung darüber, was sie eint. Verkörpern sie womöglich einen gemeinsamen Geist der Zeit? Beide wirken extrem polarisierend, lassen niemanden kalt, teilen die Menschheit in Gegner und Bewunderer.
Ihre Sprache ist einfach und klar, die Botschaften, die sie verkünden, klingen manichäisch. Es gibt die Guten und die Bösen, das Licht und die Dunkelheit, die Wahrheit und die „fake news“. Das Establishment verkennt die Zeichen der Zeit, die Elite ist abgehoben, die Medien sind ignorant.
Eine gegen alle, einer gegen alle
Der Aufstieg von Thunberg und Trump zu internationalen Mega-Stars verlief jeweils unkonventionell. Die Schwedin schwänzte die Schule und setzte sich Woche für Woche mit einem Plakat vors Parlament. Der Amerikaner kam aus dem Show-Geschäft, zog über alles und jeden her, verprellte Demokraten wie Republikaner. Ihre Attitüden freilich ähneln sich: eine gegen alle, einer gegen alle.
Da schwingen auch biblische Motive mit. Von Noah über Jesus bis Martin Luther geht von dem Topos, dass ein Einzelner mit viel Mut und edler Gesinnung, der vom Gros einer ungläubigen Masse verspottet und verachtet wird, enorm starke Attraktivität aus.
Das wirkt auf Öko-Evangelikale, die Thunberg als Erlöserin feiern, nicht minder anziehend als auf konservative Evangelikale, die in Trump den Erfüller ihrer Hoffnungen sehen, weil er Bundesrichter nominiert, die die Bibel und die Verfassung wörtlich auslegen und nicht etwa historisch-kritisch. In beiden Fällen ist der Unterschied zwischen Zustimmung und Verehrung der jeweiligen Anhänger minimal.
Steve Bannon galt einst als Einflüsterer Trumps. Sein letzter Film, den er 2016 in Hollywood produzierte, hieß „Torchbearer“ (Fackelträger). Propagiert wird darin die christliche Erneuerung Amerikas als Fundament eines freien, unregulierten Kapitalismus, gepriesen werden Märtyrer, gewarnt wird vor dem Verlust von Werten und vor Vertretern einer globalen Elite, denen „London und Berlin näher sind als die Menschen in Kansas und Colorado“.
Seine Rede in New York 2010 vor Sympathisanten der Tea Party beendete Bannon mit einem Zitat aus einem Lied von Bob Dylan: „You don’t need a weatherman to know which way the wind blows“ (Du brauchst keinen Wetteransager, um zu wissen, in welche Richtung der Wind weht).
Ein gewisses Maß an Erlösungssehnsucht
Könnte das nicht auch das Motto von Greta Thunberg sein? Sie und Trump treten als radikale Avantgardisten auf, denen von verbohrten und unverbesserlichen Widersachern ständig Knüppel zwischen die Beine gelegt werden. Dabei wissen ihre Widersacher nur nicht, in welche Richtung der Wind weht.
Und natürlich müssen Visionäre, wenn sie ernst genommen werden wollen, charakterfest sein – oder zumindest einen solchen Eindruck erwecken. Greta Thunberg appelliert an das Weltgewissen, einfach nur Wort zu halten, die Beschlüsse der Klimakonferenzen umzusetzen, die Einsichten der Wissenschaftler als Handlungsauftrag zu verstehen.
Donald Trump wiederum versucht als Präsident, jedes seiner Wahlkampfversprechen umzusetzen. Sein größter politischer Ehrgeiz besteht darin, nach vier Jahren gegenüber seiner Klientel Wort gehalten zu haben. Dafür lügt er an anderer Stelle wie gedruckt, während sich Thunberg auf die Wissenschaft beruft.
Vision, Radikalität und Avantgarde
Was verraten die Gemeinsamkeiten von Thunberg und Trump über uns, die Menschen in den Industrienationen im Jahr 2020? In dem Maße, wie beide Typen Erfolg haben, ja glorifiziert werden, manifestiert sich offenbar ein gewisses Maß an Erlösungssehnsucht. Wir wollen ge- und errettet werden. Vor dem Fluch des Klimawandels, vor der Ignoranz globaler Eliten. Wir wollen, dass es Gut und Böse gibt. Erderwärmungsbegrenzer und Klimawandelleugner einerseits, Nationalstaatsverehrer und linke Sozialisten andererseits. Wir wollen leidenschaftlich eintreten und kämpfen, ob an der Seite von Thunberg oder von Trump.
Aufbruch und Disruption, Leidenschaft und Vision, Radikalität und Avantgarde: Trotz aller Verschiedenheit deuten die Erfolge von Thunberg und Trump auf ähnliche Bedürfnisse der Menschen dieser Zeit hin. Deren Grundgefühl heißt: Es darf nicht so weitergehen. Wenn das die in Davos versammelte Wirtschaftselite verstanden hat, hätte sich die Veranstaltung gelohnt.