EU und Nato ratlos: Die Türkei stößt ihre Bündnispartner vor den Kopf
Mal paktiert die Türkei mit der Nato, mal mit Russland. Das entspricht ihrem Selbstverständnis als Regionalmacht. Ein Kommentar.
Türkische Kampfflugzeuge greifen im Irak an, türkische Soldaten besetzen Teile von Syrien, türkische Schiffe bringen Waffen nach Libyen: Die NATO habe ein „Türkei-Problem“, sagt Frankreich und fordert eine Debatte in der Allianz über das Verhalten Ankaras.
Tatsächlich kümmert sich die Türkei wenig um die Interessen anderer Bündnispartner. Auch im Nahen Osten bringt die Türkei andere Länder gegen sich auf. Diese Probleme sind die Folge des türkischen Anspruchs auf eine Rolle als eigenständige Regionalmacht. Weder die Nato noch die EU haben bisher ein Rezept, um mit diesem neuen Selbstverständnis der Türkei umzugehen.
Im Kalten Krieg und noch mehr als ein Jahrzehnt danach herrschte in Ankara und im Westen gleichermaßen die traditionelle Vorstellung von der Türkei als Außenposten der Nato an der Grenze zu Russland, Zentralasien und dem Nahen Osten.
Doch das hat sich grundlegend geändert. Unter Präsident Erdogan betrachtet sich die Türkei als eigenständiger Akteur, der mal mit der Nato und mal mit Russland zusammenarbeitet, so wie es ihm gerade ratsam erscheint.
Mit den meisten Nachbarn liegt die Türkei im Clinch
Inzwischen liegt die Türkei deshalb mit den meisten Nachbarn und vielen Verbündeten im Clinch. Tausende türkische Soldaten sind in Nord-Syrien stationiert, wo mittlerweile sogar die türkische Lira als Währung eingeführt wird, türkische Kampfjets bombardieren mutmaßliche Stellungen der kurdischen Terrororganisation PKK im Irak.
Mit den USA gibt es Krach wegen der Syrien-Politik. Im östlichen Mittelmeer streitet sich die Türkei mit Griechenland, Zypern und Ägypten um Gasvorräte unter dem Meeresboden. In Libyen unterstützt die Türkei die Einheitsregierung in Tripolis mit Waffen, Militärberatern und syrischen Kämpfern.
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Die Nato-Partner Griechenland und Frankreich meldeten in den vergangenen Tagen, sie seien von der türkischen Kriegsmarine an der Kontrolle eines türkischen Frachters gehindert worden, der offenbar weitere Rüstungsgüter nach Libyen brachte.
Im Nahen Osten hat die Türkei keine Freunde mehr - außer Katar
Die Kritiker der Türkei sind nicht frei von Heuchelei. Frankreich steht im Libyen-Krieg auf der Seite des Rebellengenerals Haftar, der gegen die Einheitsregierung in Libyen kämpft und wegen der türkischen Militärhilfe für die Gegenseite in jüngster Zeit empfindliche Niederlagen hinnehmen musste.
Die Vereinigten Arabischen Emirate (VAE), die den türkischen Militäreinsatz im Nordirak mit großer Empörung als Verletzung der Souveränität eines anderen Staates anprangern, finden nichts dabei, Waffen und Söldner aus dem Sudan für Haftar zu besorgen. Man kann türkischen Regierungspolitikern den Eindruck nicht verdenken, dass hier mit zweierlei Maß gemessen wird.
Aber das eigentliche Problem für die Türkei ist die politische Vereinsamung durch immer neue Alleingänge. Das Land hat im Nahen Osten außer Katar keine Freunde mehr. In Europa steht Ankara spätestens seit der Grenzöffnung für Flüchtlinge im März ebenfalls allein da.
Dabei braucht die Türkei nicht zuletzt wegen ihrer vom Export und Tourismus abhängigen Wirtschaft offene Märkte und gute Beziehungen mit möglichst vielen Ländern. So fordert Ankara eine Ausweitung der Zollunion mit der EU – stößt aber gleichzeitig EU-Staaten wie Griechenland, Zypern und Frankreich vor den Kopf.
Erdogan ist Pragmatiker genug, um taktische Kompromisse in der einen oder anderen Frage einzugehen. Doch an der generellen Ausrichtung der türkischen Außenpolitik mit ihrem Regionalmachtsanspruch, ihrer Bereitschaft zu militärischen Einzelaktionen und ihrem schroffen Stil wird sich so schnell nichts ändern. Das „Türkei-Problem“ für den Westen hat gerade erst begonnen.