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Grenzen der Pressefreiheit in Uniform. Türkische Polizisten blockieren am Freitag eine Pressekonferenz der oppositionellen Republikanischen Volkspartei (CHP) in Istanbul.
© Ozan Kose/AFP

Nach Haftentlassung zweier Journalisten: Die Türkei sendet der EU unklare Signale

Ein türkisches Gericht entlässt zwei Regierungskritiker aus der Haft – doch die Zweifel am Reformwillen der türkischen Regierung bleiben.

Gut zwei Wochen vor dem geplanten Gipfeltreffen von EU und Türkei hat Ankara zwei prominente Regierungskritiker nach mehr als einem Jahr aus der Haft entlassen. Ein Gericht in Istanbul verfügte am Freitagabend die Freilassung des Investigativreporters Ahmet Sik und des Chefredakteurs der Oppositionszeitung „Cumhuriyet“, Murat Sabuncu. Ob die Freilassung eine Wende im Umgang der Türkei mit Andersdenkenden markiert, ist jedoch nicht klar: Fast gleichzeitig verlangte der türkische Berufungsgerichtshof bis zu 20 Jahre Haft für den nach Deutschland geflohenen Ex-Chefredakteur von „Cumhuriyet“, Can Dündar.

Bei dem Gipfel am 26. März im bulgarischen Varna will die Türkei unter anderem auf die Reisefreiheit für türkische Staatsbürger in der EU dringen. Brüssel macht eine generelle Verbesserung ihrer Beziehungen zur Türkei von einer Reform der Antiterror-Gesetze abhängig, die selbst den gewaltlosen Ausdruck von Kritik als Terrorvergehen definieren. Ohne konkrete Fortschritte auf rechtsstaatlichem Gebiet dürfte die EU kaum zu Zugeständnissen bereit sein.

An der Verhandlung im Prozess gegen insgesamt 17 Mitarbeiter von „Cumhuriyet“ in Istanbul nahmen türkische Journalisten und Parlamentsabgeordnete sowie Vertreter internationaler Presseorganisationen und Abgesandte der EU-Vertretung in der Türkei teil. Die meisten Beschuldigten waren bereits zuvor für die Dauer des Verfahrens auf freien Fuß gesetzt worden, doch Sik, Sabuncu und Geschäftsführer Akin Atalay saßen seit Ende 2016 in Untersuchungshaft. Den Oppositionsjournalisten wird eine Unterstützung des Putschversuchs vom Juli 2016 vorgeworfen, für den die Regierung von Präsident Recep Tayyip Erdogan ihren früheren Verbündeten, den Geistlichen Fethullah Gülen, verantwortlich macht. Während der Zeit des Bündnisses zwischen Erdogan und Gülen saß Sik bereits wegen Kritik an Gülen im Gefängnis.

Das Gericht setzte sich mit der Freilassungsentscheidung für Sik und Sabuncu über einen Antrag der Staatsanwaltschaft hinweg. Atalay muss mindestens bis zum nächsten Prozesstermin am 16. März im Gefängnis bleiben. Unterstützer der Journalisten begrüßten die Freilassungen, forderten jedoch die Haftentlassung aller türkischer Medienvertreter. Das Verfahren gegen Sik und die anderen „Cumhuriyet“-Journalisten ist zu einem Symbol des harten Vorgehens der türkischen Behörden gegen Kritiker geworden ist: „Cumhuriyet“ ist eine säkular geprägte Zeitung, die Erdogan schon seit Jahren kritisiert.

Erdogan: Manche Schreiber seien "Gärtner des Terrors"

Erdogan hat die Strafverfolgung von Journalisten als Teil des Kampfes gegen den Terrorismus gerechtfertigt. Manche Schreiber seien „Gärtner“ des Terrors, die Gewalttäter anstifteten, sagt der Staatspräsident. Die größtenteils auf Regierungslinie gebrachte Justiz folgt dieser Ansicht in vielen Fällen. So hob der türkische Berufungsgerichtshof in Ankara am Freitag ein Urteil gegen Can Dündar und „Cumhuriyet“-Reporter Erdem Gül auf. Sie waren wegen Geheimnisverrats zu fünf Jahren Haft verurteilt worden, weil sie über mutmaßliche Waffenlieferungen der Türkei an syrische Rebellen berichtet hatten. Nun ordneten die Berufungsrichter an, Dündar und Gül müssten wegen Spionagetätigkeit vor Gericht gestellt werden, was mit bis zu 20 Jahren Haft geahndet wird.

Erst am Donnerstag waren 25 Journalisten von Gülen-nahen Medien zu Haftstrafen von bis zu siebeneinhalb Jahren verurteilt worden. Im Februar hatte die türkische Justiz drei prominente regierungskritische Journalisten zu lebenslangen Haftstrafen verurteilt, weil sie angeblich „unterschwellige“ Botschaften zugunsten der Putschisten von 2016 ausgesandt haben sollen. In einigen Fällen wurden Entscheidungen zur Freilassung von Regierungskritikern von übergeordneten Gerichten sofort wieder kassiert; selbst Anordnungen des Verfassungsgerichtes wurden ignoriert.

Auch der Druck auf angebliche Gülen-Anhänger außerhalb der Medien hält an: Die staatliche Nachrichtenagentur Anadolu berichtete am Freitag von neuen Haftbefehlen gegen mehr als 240 Beschuldigte. Seit dem Putschversuch sind über 50 000 Menschen inhaftiert worden.

Wegen der türkischen Bemühungen um eine Wiederannäherung an die EU rückt der Umgang mit mutmaßlichen Regierungsgegnern in den Mittelpunkt politischer Überlegungen. Ankara hat auf Drängen Brüssels eine Reform der türkischen Antiterror-Gesetze versprochen, um die Meinungsfreiheit zu stärken. Die Ankündigung ist in Brüssel positiv aufgenommen worden.

Bei Erdogans geplanten Treffen mit der EU-Spitze in Varna soll über diese und andere Themen gesprochen werden. Ankara will auch die Zollunion mit der EU erweitern, was angesichts von Krisenzeichen der türkischen Wirtschaft für die Erdogan-Regierung ein wichtiger Fortschritt wäre. Bloße „Wortspielereien“ bei den Terrorgesetzen seien für die EU jedoch nicht genug, schrieb die „Cumhuriyet“-Kolumnistin Asli Aydintasbas mit Blick auf den Gipfel von Varna und den Prozess gegen ihre Kollegen. Brüssel wolle Taten sehen.

Die türkische Justiz hatte in den vergangenen Monaten bewiesen, dass sie Zeichen der Entspannung setzen kann, wenn dies in Ankara politisch gewünscht ist: Im Februar kam der deutsch-türkische Journalist Deniz Yücel nach einem Jahr Untersuchungshaft frei, nachdem Ministerpräsident Binali Yildirim von einer baldigen Lösung gesprochen hatte.

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