Netanjahu vor der Wahl: Die Tücken des Erfolgs
Viele glauben vor der israelischen Parlamentswahl an einen Sieg von Amtsinhaber Benjamin Netanjahu. Genau das könnte ihm aber wichtige Stimmen kosten - und die Nationalisten in Israel stärken.
Wie viele Mittelmeeranrainer diskutieren Israelis gern, laut und am liebsten über das, was man hier „hamazav“ nennt: die Lage. Gemeint sind damit die politischen Probleme. Kurz vor den Wahlen müssten also entsprechende Debatten den Alltag der Menschen dominieren, steht das Land doch vor gewaltigen Herausforderungen. Diese reichen von der Gefahr einer iranischen Atombombe über die stockenden Friedensverhandlungen mit den Palästinensern bis zum neuen Haushaltsdefizit in Höhe von umgerechnet acht Milliarden Euro. Nicht zu vergessen die sich vertiefende Kluft zwischen Arm und Reich. Dennoch beherrschen selbst kurz vor den Parlamentswahlen am 22. Januar oft ganz andere Themen die Diskussionen. Vergangene Woche genügte eine Schlechtwetterfront, um den Wahlkampf für mehr als 36 Stunden völlig vergessen zu machen. Angesichts des Glatteises auf Jerusalems Straßen galt die Abstimmung über die künftige Zusammensetzung der Knesset bereits als Schnee von gestern. Und eine Casting-Show, in der ein deutscher Einwanderer, eine Muslima und eine Frau aus armen Verhältnissen im Finale um die Wette kochen, fesselt die Israelis offenkundig mehr als die Entscheidung über die nächste Regierung. „Noch nie war ein Wahlkampf so parve, so lau“, sagt der erfahrene arabische Politiker Ahmad Tibi.
Das liegt zum einen daran, dass gut 80 Prozent der Bevölkerung überzeugt sind, Premier Benjamin Netanjahu werde wieder vorn liegen. Seit Monaten sagen Umfragen einen Wahlsieg seiner Partei Likud voraus. Selbst in der linken Opposition streitet man mehr darüber, unter welchen Bedingungen man sich zu Netanjahus Koalition hinzugesellen sollte als sich von ihr abzusetzen. Zum anderen misslang es den Gegnern des Premiers, ihre Themen in den Mittelpunkt der öffentlichen Debatte zu rücken.
Eine Ursache dafür: Die Vorsitzenden der drei Parteien waren mehr mit sich selbst und gegenseitigen Beschimpfungen beschäftigt als mit Netanjahu. Star-Moderator Yair Lapid zum Beispiel gründete lieber eine eigene Partei, nur um nicht in der Arbeitspartei die zweite Geige spielen zu müssen. Deren Vorsitzende Shelli Jechimovitz konzentrierte ihren Wahlkampf wiederum auf Themen wie soziale Marktwirtschaft und Gerechtigkeit in der Gesellschaft. Ohne nennenswerten Erfolg: Statt des erhofften Zulaufs verarmter nationalistischer Wähler kehrten ihr die Anhänger des Friedenslagers den Rücken.
Israels Politikbetrieb gleicht einem Dschungel
Hinzu kommt, dass Israels Politik-Betrieb einem undurchdringlichen Dschungel gleicht. 34 Parteien treten zur Wahl an. Viele der rund 5,6 Millionen Wahlberechtigten haben daher längst die Übersicht verloren haben. So fusionierte die Regierungspartei Likud mit „Israel Beiteinu“ (Unser Haus Israel). Die eine gilt als Vertreterin der Unterprivilegierten, denen jüdische Traditionen wichtig sind, die andere als Anziehungspunkt säkularer Einwanderer aus der ehemaligen Sowjetunion. Diese wiederum streben zumeist eine Trennung von Staat und Religion an. Statt wie erhofft gemeinsam mehr Stimmen zu erhalten, verlor das Bündnis in Umfragen allerdings zehn Mandate und könnte mit 34 Sitzen zwar immer noch die größte, aber nicht mehr alles dominierende Fraktion werden. Die ehemalige Regierungspartei „Kadima“, von Ex-Premier Ariel Scharon gegründet und früher ein veritabler Machtfaktor, ist schneller geschrumpft, als ein Baumwollhemd im Kochwaschgang und könnte an der Zwei-Prozent-Hürde scheitern. Im Wirrwarr scheint nur eines klar: Ein wachsender Anteil, vor allem unter jungen Wählern, wandert offenbar ins rechte Lager ab. Rund 48 Prozent der Stimmberechtigten wollen nach eigener Aussage dementsprechend ihr Kreuz machen. Etwa 28 Prozent sehen sich politisch in der Mitte, 26 Prozent links davon. In einer neuen Umfrage kommt das rechte Lager sogar auf 71 der insgesamt 120 Sitze in der Knesset.
Doch genau diese Eindeutigkeit könnte Netanjahu letztendlich in Schwierigkeiten bringen. „Umfrage-Spitzenreiter zu sein, kann auch gefährlich sein: Wenn jeder sicher ist, dass ein bestimmter Kandidat ohnehin siegen wird, orientieren sich die Wähler um“, sagt der Politologe Gadi Wolfsfeld vom Interdisziplinären Zentrum in Herzliyah. Davon profitiert vor allem Naftali Bennett, ein dynamisch wirkender High-Tech-Millionär und ehemaliger Elitesoldat, dessen ultra-nationalistische Siedlerpartei einen ungeahnten Aufschwung erlebt. Der 40-Jährige plädiert unter anderem dafür, die Palästinensergebiete zu annektieren. Derart radikale Ansichten haben ihm nicht geschadet. Im Gegenteil, seine Partei „Das jüdische Heim“ könnte drittgrößte Kraft im Parlament werden. Und ein Koalitionspartner von Netanjahu. Denn der wird vermutlich nach dem 22. Januar auf Unterstützung angewiesen sein, wenn er weiter regieren will. Misslingt es ihm, Partner zu finden und eine stabile Regierung zu bilden, haben die Israelis schon bald wieder die Wahl.