Neue Integrationsbeauftragte: Die Spielräume werden enger
Annette Widmann-Mauz soll Integrationsbeauftragte werden. Ihr neues Feld, das eine Zeitlang als zentral galt, liegt inzwischen am Rand der Politik.
Die Tasse mit den großen Buchstaben „FU“ aus dem Werbe-Fundus der Frauen-Union steht noch im Kanzleramt. Der Kollege, der darauf bestand, die Tasse im Schrank zu lassen, muss es geahnt haben: Dreizehn Jahre nach Maria Böhmer wird wieder eine Vorsitzende der christdemokratischen Frauenorganisation „Beauftragte der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration“ – immer vorausgesetzt, die Basis der geschrumpften SPD sagt in den nächsten Tagen ja zur Koalition mit CDU und CSU.
Auch CDU-Ex-General Tauber wurde genannt
Das ist nicht alles, was die beiden CDU-Politikerinnen gemeinsam haben: Wie Böhmer bei ihrem Amtsantritt ist auch Annette Widmann-Mauz keine Fachfrau. Die Felder Migration und Integration hat sie, ebenso wie ihre doppelte Vorgängerin, nie beackert. Da hätte der soeben verabschiedete Ex-Generalsekretär Peter Tauber besser gepasst, der zeitweise als Integrationsbeauftragter gehandelt wurde. Der hatte vor gut drei Jahren seiner CDU auf deren von ihm organisierten ersten Migrationsgipfel empfohlen, auch einmal das "U" im Parteikürzel ernst zu nehmen und sich für die neuen Deutschen zu öffnen. Als AfD-Fraktionschef Gauland die aktuelle Staatsministerin Özoguz „nach Anatolien entsorgen“ wollte, sprang er ihr zur Seite und nahm dabei sogar das im konservativen Lexikon heikle Wort „Rassismus“ in den Mund.
Dennoch ist man im Arbeitsstab der scheidenden Beauftragten Özoguz über die Wahl von Widmann-Mauz erleichtert. Dort ging eine Zeitlang die Angst um, die Kanzlerin könnte der verbreiteten Migrationspanik opfern und den Posten von weiter konservativ besetzen – etwa mit Jens Spahn, der keine Gelegenheit auslässt, ihre Flüchtlingspolitik zu kritisieren, und jetzt das Gesundheitsministerium bekommt. Man sei „in gespannter Erwartung“, ist zuhören. Fachfremde haben im Amt, das in diesem Jahr seinen 40. Geburtstag feiern wird, ohnehin Tradition – vom ersten Inhaber, dem früheren NRW-Ministerpräsidenten Heinz Kühn über die FPD-Politikerinnen Liselotte Funcke und Cornelia Schmalz-Jacobsen oder die Grüne Marieluise Beck.
Im Amt waren immer Fachfremde - bis 2013
Dem Job hat das nicht geschadet: Das Kühn-Memorandum anerkannte schon 1979, dass die Bundesrepublik ein Einwanderungsland war, und empfahl eine aktive Integrationspolitik. In Becks Amtszeit fielen bahnbrechende Reformen im Ausländer- und Staatsangehörigkeitsrecht. Ausgerechnet die Noch-Beauftragte Aydan Özoguz (SPD), die als Tochter türkischer Einwanderer, bekennende Muslima und langjährige Diversitäts-Projektmanagerin der Hamburger Körber-Stiftung die erste Integrationsbeauftragte mit Stallgeruch und einschlägiger Erfahrung war, enttäuschte nicht nur einige in ihrer Partei, sondern auch manche Hoffnungen der eigenen Leute. „Zu vorsichtig, keine Macherin" lautete der Vorwurf. Während sie in den migrantischen Communities mit Wissen und Empathie punkten konnte und als erste Migrantin am Kabinettstisch auch ein Rollenmodell gab, machten genau ihre Religion und ihr Name, erst recht in diesem Amt, Özoguz zum perfekten Ziel für Hassrede und Migrationsängste. Da dürfte es ihre Nachfolgerin, die schwäbische Katholikin Widmann-Mauz, in Zukunft leichter haben. Als durchsetzungsstark gilt sie auch, sie scheue kein Aktenstudium, heißt es. Und ihre künftigen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter konnten sie schon kennenlernen, als Özoguz Gesundheit und Einwanderung zum Schwerpunkt machte. Als Staatssekretärin vertrat Gesundheitsexpertin Widmann-Mauz da ihren Minister Hermann Gröhe. "Wer mit ihr zu tun hatte, war angetan."
"Niemand, der die Einwanderungsgesellschaft weiterbringt"
Was die Neue aus dem Amt macht, wird aber wohl nur zum Teil an ihr liegen. Kenner weisen darauf hin, dass bei aller Ähnlichkeit der Berufungen sich die Zeiten seit Maria Böhmers Amtsantritt 2005 und dem – möglichen – von Widmann-Mauz erheblich geändert haben. Vor gut zwölf Jahren holte Angela Merkel die loyale Böhmer, weil sie Modernisierungsbedarf sah. Aus der einstigen Ausländerbeauftragten wurde eine Staatsministerin, die jetzt ins Kanzleramt zog. In der Zukunftsfrage Migration sollte die politische Konkurrenz die CDU nicht ewig vor sich hertreiben können. Als die zweite GroKo 2013 Aydan Özoguz ins Amt brachte, gab der Koalitionsvertrag ihr sogar ein detailliertes Programm mit.
Dann kam der Flüchtlingssommer 2015 und zwei Jahre später erstmals eine Partei rechts der Union in den Bundestag. Der Koalitionsvertrag von CDU/CSU und SPD ist in der Einwanderungspolitik restriktiv, zu Fragen der Einwanderungsgesellschaft schmallippig. Und der Wettbewerb der Lager darum, wer die erste migrantische Ministerin stellt, den ersten Muslim in diesem oder jenem Amt, ist nach wenigen Jahren schon eingestellt. Wenn Özoguz geht, ist das Bundeskabinett wieder, wie es alle Jahre war: rein weiß. Weder in der ersten wie der zweiten Reihe gebe es in dieser Legislatur jemanden, der die Einwanderungsgesellschaft politisch weiterbringen könne, seufzt man im Kanzleramt. Und es gebe auch kein Projekt.
Die Neue hält sich zurück
Insofern ist es wohl klug, wenn die designierte Neue im Amt sich zunächst mit Plänen zurückhält. Sie bitte „erst einmal um ein bisschen Geduld“, sagte sie im ersten Interview für einige Zeitungen im heimatlichen Südwesten. Schwerpunkte werde sie festlegen, „wenn ich mich im Amt orientiert habe“. Um dann doch etwas zu sagen: Als bisheriger Frauen-Union-Vorsitzender liege ihr natürlich Gleichberechtigung sehr am Herzen: „Wie können wir in den Teilen der Bevölkerung mit Migrationshintergrund, die aus religiöser oder kultureller Sicht andere Vorstellungen aus ihren Heimatländern mitgebracht haben, unsere Werte verdeutlichen?“
„Die anderen“ und „unsere Werte“: Das hätte die bisher einzige Migrantin im Amt so sicher nicht gesagt. Aydan Özoguz verteidigte am Tag darauf in Berlin jenes Leitbild für die Einwanderungsgesellschaft, das sie an der Spitze einer Kommission vor einem Jahr erarbeitet hat und das dem Reden von Leitkultur etwas entgegensetzen soll, das für sämtliche „82 Millionen und die große Mehrheit“ in Deutschland gelte. In ihrem Noch-Stab hofft man für die Nachfolgerin auf den Faktor Zeit: „Hundert Tage hat jede.“
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