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Renderpult mit SPD-Logos.
© Wolfgang Kumm/dpa

Leser kommentieren den Nahles-Rückzug: „Die SPD hat die Wahl zwischen Pest und Cholera“

Das am meisten diskutierte Thema auf Tagesspiegel.de ist seit Sonntagvormittag der Rücktritt der SPD-Chefin. Die Meinungen gehen weit auseinander.

In einem Punkt sind sich nahezu alle Mitglieder der Tagesspiegel-Community einig: Der Rücktritt von Andrea Nahles ist Symptom einer Dauerkrise der deutschen Sozialdemokratie. Wenn es darum geht, was diese Krise verursacht hat und wie sie bewältigt werden könnte, gehen die Meinungen allerdings deutlich auseinander.

Auch mögliche Neuwahlen könnten in den Augen einiger Nutzer hilfreich für die SPD sein, während andere dazu raten, diese zu vermeiden, um nicht abermals geschwächt aus einer Wahl hervorzugehen.

Intrigantin oder Sündenbock?

Beim Nutzer Ford_Perfect verlor Nahles jede Sympathie, als sie einer Beförderung des ehemaligen Verfassungsschutz-Chefs Hans-Georg Maaßen zustimmte. Wie viele andere kritisiert er ihre zahlreichen unvorteilhaften Auftritte:

„Zudem schien sie ausgesprochen beratungsresistent zu sein, vermutlich auch eine Folge davon, dass sie sich in die Wagenburg mit ihren Beratern zurückgezogen hatte.“ 

Auch der Nutzer Leichtmatrose kritisiert Nahles Führungsstil:

„Frau Nahles war in der Vergangenheit auch nicht immer fair zu führenden Genossen. Beim Sturz von Scharping war sie als Juso-Vorsitzende maßgeblich beteiligt und konnte sich bei dessen Niederlage in Karlsruhe gegen Oskar kaum noch einkriegen vor Freude. Sie wusste, wie man Intrigen steuert.“

Antigone12 sieht die ehemalige Parteivorsitzende hingegen als Opfer von Intrigen und hält ihren Rücktritt für sinnvoll:

„Sie handelt vernünftig wenn sie dem Bundestag den Rücken kehrt, denn sie ist noch jung genug, sich einen anderen Wirkungsbereich zu suchen.“ 

Der Nutzer Aladin1 glaubt sogar, dass Nahles von der SPD derzeit als Sündenbock missbraucht wird:

„Anstatt in einer Situation, wo die Partei so schlecht wie noch nie dasteht, Solidarität mit ihrer Vorsitzenden zu üben, schießen alle möglich Hinterbänkler und Heckenschützen aus allen Rohren auf Frau Nahles, wahrscheinlich auch, um vom eigenen Versagen abzulenken.“

Gründe für die Krise

Für Ich.warte.auf.Godot trägt Andrea Nahles eine Mitschuld an der Krise der SPD, die er aber, wie viele andere, auf die Regierungen unter Gerhard Schröder zurückführt:

„Das sozialdemokratische Versprechen nach sozialer Gerechtigkeit wurde nicht eingehalten, durch die Agenda 2010 sogar pervertiert. Ich sehe kein Licht am Horizont durch einen Personalwechsel.“

Auch Froggy08 teilt diese Meinung:

„Heute haben wir rund 13 Millionen Menschen, die entweder arbeitslos sind oder prekäre Arbeitsverhältnisse haben. Und das in einer Zeit, wo Konzerne exorbitante Gewinne einfahren.“

Doch während die SPD vielen zu wenig links ist, sehen andere in zu linker Politik eine Ursache für die Krise, so zum Beispiel der Nutzer Westpreussen:

„Es war der rechte Parteiflügel, der die SPD lange vor Gründung des Seeheimer Kreises mit einem modernen Programm für breite Bevölkerungsschichten wählbar machte. Und so wurde aus der einstmaligen Arbeiterpartei SPD die Partei auch der Beamten, Angestellten, Lehrer und Intellektuellen.“

Ähnlich sieht das auch Spreeanwohner:

„Die SPD war dann stark, wenn sie sich um die aufstiegsorientierten Arbeiter und Angestellten und den Mittelstand gekümmert hat. Dort wird das Geld verdient, und es werden die Steuern bezahlt, mit denen dann die 15% Armen der Gesellschaft unterstützt werden können.“

Neben der inhaltlichen Ausrichtung der Partei sehen einige auch eine Mitverantwortung auf Seiten der Medien, so zum Beispiel Gewissensfrage:

„Solange bei der SPD in den Medien alles ins Negative kommentiert wird und Angela Merkel sich in Harvard sonnen kann, wird sich da nichts ändern. Natürlich hat die SPD auch selbst Verantwortung, aber wieviel ist denn mit all diesen äußeren Einflüssen überhaupt möglich?“

Wie es weitergehen könnte

Viele Nutzer betonen, dass sie sich von der SPD eine inhaltliche Erneuerung wünschen. So schreibt Jetbundle:

„Ein reiner Personalwechsel würde rein gar nichts bringen. Derzeit ist die SPD ein zerstrittener, unzuverlässiger Haufen. Selbst ein absolutes Alphatier wie Schröder oder Merkel zu ihren besten Zeiten könnte da nichts ausrichten.“

Berlinhuepft sieht dagegen keinen Weg, wie ein solcher Wandel funktionieren könnte:

„Hippe Öko-Themen besetzen? Da gibt es mit den Grünen schon das Original. Den linken Flügel stark machen? Da gibt es schon die Linke. Den Rechten Flügel stark machen? Dann kann man auch CDU wählen. Egal wohin man sich wendet, es gibt schon ein Original.“

Unabhängig davon, wie die SPD sich inhaltlich neu aufstellen könnte, sind sich die meisten Nutzer darüber einig, dass ein Ende der Großen Koalition hierfür die Voraussetzung wäre. Westpreussen sieht hier keinen einfachen Ausweg:

„Insofern hat die SPD die Wahl zwischen Pest und Cholera, nämlich entweder bis 2021 weiterzumachen oder Neuwahlen zu provozieren. In jedem Fall drohte ein weiterer Absturz.“

Neuwahlen als Chance

Einige glauben, dass die Volksparteien auch nach einem Bruch der Großen Koalition alles daran setzen würden, Neuwahlen zu verhindern, so die Nutzerin Schoenherrin:

„Es wird keine Neuwahlen geben: Dann würden 30 bis 50% der Abgeordneten samt Zuarbeitern ihren Arbeitsplatz verlieren. Sowohl bei SPD als auch CDU.“

Während Ford_Perfect in Neuwahlen die sicherste Methode sieht, die SPD unter 10 Prozent zu bringen, erkennt Spreeathen darin einen strategischen Vorteil für die Sozialdemokraten:

„Würde die SPD aus der Koalition austreten und gäbe es Neuwahlen, dann stünde die CDU von heute auf morgen mindestens ähnlich desolat wie die SPD da – zum Beispiel ist unklar, mit welchem Kanzlerkandidaten sie ins Rennen gehen soll.“

Insgesamt werden Neuwahlen eher positiv gesehen. Der Nutzer Returntosender glaubt, dass die SPD dann als Oppositionspartei wieder stärker werden kann:

„Am besten Neuwahlen, dann wird auch im Parlament richtig durchgewürfelt. Mit allen daraus zu erwartenden Folgen. Mit Sicherheit sind dann die Grünen in einer ganz anderen Situation wie nach den letzten Wahlen. Dann müssen sie sich beweisen.“

Alexander Grossert

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