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In Griechenland hat die Wirtschaftsleistung enorm unter dem Sparzwang gelitten.
© dpa/Karl-Josef Hildenbrand

Interview mit Ökonom Paul Krugman: „Die Sparpolitik in Griechenland ist unglaublich destruktiv“

Der Nobelpreisträger und Ökonom Paul Krugman kritisiert die europäische Politik in der Schuldenkrise und erklärt, warum die Krisenstaaten nicht alle Verantwortung tragen sollten.

Der deutsche Finanzminister Schäuble erklärt die Probleme der Euro-Zone damit, dass die Regierungen der Krisenstaaten zu lange mehr Geld ausgaben, als sie einnahmen und damit in die Überschuldung rutschten. Darum sei es unverzichtbar, dass sie sparen. Hat er nicht recht?
Das trifft allenfalls auf Griechenland zu, und ist auch da nur ein Teil der Geschichte. Aber für alle anderen Länder stimmt diese Story überhaupt nicht. Das ist schon eine erstaunliche Umdeutung der Geschichte. Tatsächlich sind doch die Märkte heißgelaufen, aber dann heißt es, die Regierungen hätten unverantwortlich gehandelt. In Spanien, Portugal und Irland gab es eine Immobilienblase, die über den privaten Sektor finanziert wurde, oder auch von deutschen Landesbanken, die spanischen Sparkassen Kredite gaben. Erst als diese Blase dann platzte, entstanden mit der folgenden Rezession diese großen Budgetdefizite. Aber ist es dann die Lösung, die Ausgaben zu kürzen und die Steuern zu erhöhen? Oder sollte man besser das tun, was der Wirtschaft wirklich hilft?

Aber die Regierungen bekamen doch am Markt keinen Kredit mehr.
Das war für einige Zeit so, aber nicht mehr, seitdem die EZB ihren Job macht. Herr Draghi hat 2012 diesen berühmten Satz gesagt, man werde tun, was immer nötig ist, und siehe da, die Zinsen für neue Staatsanleihen sanken überall so tief wie nie. Und das kam nicht wegen der Sparpolitik, der Austerität, sondern weil die EZB versprach, keinem Staat werde das Geld ausgehen. Was soll also all dieser Schmerz mit dem Sparen?

Also noch mehr Schulden machen?
Die USA oder Großbritannien hatten ja auch nie ein Problem mit dem Vertrauen der Märkte, obwohl sie noch größere Haushaltsdefizite in der Krise hatten. Jetzt wächst ihre Wirtschaft wieder.

Sie meinen, sparen in der Krise funktioniert nicht?
Es gibt einen klaren Zusammenhang zwischen der Austerität und dem wirtschaftlichen Niedergang. Jeder Euro, den die Staaten gespart haben, hat 1,3 bis 1,5 Euro des Bruttoinlandsprodukts gekostet, darum sind die Volkswirtschaften geschrumpft. Die empirischen Fakten sind überwältigend. Für die Leute, und wenn ich das sagen darf, besonders für die Deutschen ist es wohl schwer zu verstehen: Die Wirtschaft ist ein Kreislauf. Meine Ausgaben sind Ihr Einkommen, Ihre Ausgaben sind mein Einkommen. Wenn nun jeder gleichzeitig weniger ausgibt, dann fallen die Einkommen und die Wirtschaft schrumpft. Wenn also der private Sektor überschuldet ist und kürzt, und dann auch der staatliche Sektor die Ausgaben zurückfährt, wer soll dann noch kaufen? Es kann einfach nicht funktionieren, wenn es alle zur selben Zeit tun.

Paul Krugman ist einer der führenden US-Ökonomen und Nobelpreisträger.
Paul Krugman ist einer der führenden US-Ökonomen und Nobelpreisträger.
© dpa/Sergio Garcia

Wenn das so klar ist, warum meinen Sie, halten die Europäer dann trotzdem an der Austeritätspolitik fest?
Die Erklärung, die es am ehesten verzeihlich macht, lautet, dass die Deutschen ihre eigene Erfahrung zum Modell gemacht haben. Sie sagen, wir haben Sparpolitik betrieben, als wir 1999/2000 in die Krise kamen, und jetzt geht es uns gut. Können die anderen Länder es nicht genauso machen? Die Antwort ist natürlich: Deutschland konnte mit massiven Handelsüberschüssen wirtschaften und damit seine Einnahmen trotz Einsparungen im Staatshaushalt halten, weil es diesen großen schuldenfinanzierten Boom in Spanien und den anderen Ländern gab. Nun sagt Deutschland den anderen Staaten, ihr müsst machen, was wir getan haben. Aber es sagt auch, wir werden nicht tun, was ihr getan habt.

"Griechenland würde es jetzt viel besser gehen"

Paul Krugman ist einer der führenden US-Ökonomen und Nobelpreisträger.
Paul Krugman ist einer der führenden US-Ökonomen und Nobelpreisträger.
© dpa/Sergio Garcia

Schulden machen und mehr importieren als exportieren?
Genau. Deutschland sieht nur die eigene Erfahrung und denkt, Austerität hat bei uns funktioniert, und versteht nicht, dass es immer auf den Kontext ankommt. Aber es gibt auch andere Motive, etwa bei den vielen Leuten, die ohnehin entschlossen sind, den Sozialstaat zu schrumpfen.

Sie meinen, das Argument von den exzessiven Staatsausgaben ist nur ein Vorwand, um eine andere Politik durchzusetzen?
Ich sage nicht, dass dies bewusst geschieht, aber für manche passt es gut zu ihren politischen Prioritäten, und dann verfallen sie auf diese Theorien, die ins Desaster führen. Und dann gibt es auch noch die Moralisten, die zornig werden, wenn man ihnen vorrechnet, dass ihr Ansatz einfach nicht aufgeht.

Was meinen Sie mit Moralisten?
Na ja, diese Sache mit den bösen Schulden. Als jemand, der Englisch spricht, frage ich mich, ob die Tatsache, dass im Deutschen die Worte „Schulden“ und „Schuld“ fast gleich lauten, da eine Rolle spielt.

Sie meinen, dass der Schuldner auch als schuldig angesehen wird?
Ja, obwohl der Kredit eine zentrale Funktion unserer Wirtschaft ist. Darum finde ich es auch bemerkenswert, dass die ganze Verantwortung in Europa nur den Schuldnern auferlegt wird. Dabei ist doch klar, wenn jemand ohne ordentliche Prüfung einen Kredit vergibt, und die Sache läuft schief, dann muss auch der Gläubiger einen Teil des Verlusts tragen. In Europa müssen aber die Schuldner alles allein zahlen.

Aber selbst wenn die Gläubiger in Griechenland mit einem frühen Schuldenerlass einen Teil der Last übernommen hätten, hätte die griechische Regierung sparen müssen. Dort war das Haushaltsdefizit unbestreitbar auch ohne Krise viel zu hoch.
Das stimmt, in Griechenland war eine gewisse Sparpolitik vermutlich nicht zu vermeiden. Aber doch nicht in dieser Größenordnung! Dort wurden in zwei Jahren Ausgabenkürzungen und Steuererhöhungen in Höhe von 15 Prozent des Bruttoinlandprodukts verhängt. Ein paar Prozent ja, aber doch nicht 15. So etwas ist unglaublich destruktiv und hat die wirtschaftliche Lage des Landes nun ganz sicher nicht verbessert.

Das hätte aber bedeutet, dass man Griechenland noch mehr Geld hätte leihen müssen, um dem Land mehr Zeit für die Anpassung zu verschaffen.
Aber weit weniger, als es dann später nötig war. Die Austerität hat Griechenlands Wirtschaft so stark schrumpfen lassen, dass auch die Einnahmen drastisch gefallen sind. Darum hätte eine mildere Sparpolitik allenfalls etwas mehr Geld gebraucht. Aber dafür würde es dem Land jetzt viel besser gehen.

Paul Krugman, 61, ist einer der führenden US-Ökonomen und Nobelpreisträger. Er lehrt in Princeton und schreibt regelmäßig eine viel beachtete Kolumne in der „New York Times“. Mit ihm sprach Harald Schumann.

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