DGB-Chef Hoffmann: "Die Signale aus dem Norden verheißen nichts Gutes"
DGB-Chef Reiner Hoffmann spricht über das Jamaika-Bündnis in Kiel, die Koalitionsverhandlungen im Bund und sein Nichtverhältnis zur AfD.
Herr Hoffmann, in Berlin haben die drei Jamaika-Parteien CDU, FDP und Grüne ihre besten Ergebnisse in den reichen Stadtvierteln erzielt. Entsteht gerade eine Koalition für Besserverdienende?
Ich hoffe nicht, dass eine Koalition für Besserverdienende entsteht. Das wäre die grundfalsche Antwort auf die Herausforderungen, mit denen wir gerade zu kämpfen haben. Und es ist wichtig, dass die Regierung bis zum Ende des Jahres steht. Ein so wichtiges Land wie Deutschland muss schnell wieder handlungsfähig sein.
Bisher hatte die SPD für sich in Anspruch genommen, der Reformmotor der Regierung Merkel zu sein. Wer soll diese Aufgabe jetzt übernehmen?
Es ist richtig, die SPD hatte einen großen Anteil daran, dass die vergangene Regierung eine gute Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik gemacht hat. Aber dafür müssen nicht nur die Regierungsparteien sorgen, auch Opposition und gesellschaftliche Organisationen haben daran zu arbeiten. Ich bin da selbstbewusst: Wir werden Druck machen, damit die neue Regierung dafür sorgt, dass es den Menschen besser geht.
Bedauern Sie es, dass die SPD kategorisch jede Regierungsbeteiligung ablehnt?
Aus der Perspektive der SPD kann ich die Verweigerung infolge des schlechten Wahlergebnisses nachvollziehen. Aus gewerkschaftlicher Perspektive hätte ich es gut gefunden, wenn sie eine Regierungsbeteiligung nicht von vornherein ausgeschlossen hätte.
Können die vier Parteien, die jetzt verhandeln, überhaupt zusammenkommen?
Gemeinsamkeiten sehe ich in mehreren Bereichen. Das beginnt bei den Herausforderungen durch die Digitalisierung. Hier erkennen alle Beteiligten, dass wir erheblichen Investitionsbedarf haben – den es aber auch darüber hinaus gibt. Ähnliches gilt für die Probleme im Pflegesektor und den Bedarf an qualifiziertem Pflegepersonal. Und auch bei den sozialen Sicherungssystemen gäbe es Möglichkeiten, etwas gemeinsam hinzubekommen – sofern sich nicht ein kleiner Koalitionspartner mit F im Namen aus ideologischen Gründen als Blockierer betätigt.
Was ist aus Ihrer Sicht jetzt vor allem nötig?
Wir brauchen dringend eine Stabilisierung auf dem Arbeitsmarkt. Trotz guter Konjunktur arbeiten hierzulande sieben Millionen Menschen für weniger als 9,60 Euro die Stunde. Deutschland hat nach Litauen den größten Niedriglohnsektor Europas. Wir können ihn trockenlegen, wenn wir die Tarifbindung stärken. Und wenn wir nicht nur Erwerbstätigen, sondern auch Rentnern mehr in Aussicht stellen als nur eine Grundsicherung. Deshalb brauchen wir eine Stabilisierung des gesetzlichen Rentenniveaus.
Ist das mit einer Jamaika-Regierung denn zu machen?
Angela Merkel hat mehrfach betont, dass wir mehr Tarifbindung benötigen. Ich nehme sie beim Wort. Wir wissen, dass die Menschen dadurch 20 bis 30 Prozent mehr verdienen. Eine starke Tarifbindung nimmt den Menschen auch die Angst vor sozialem Abstieg.
Beim Thema Rente wird es mit den C-Parteien wohl schwieriger…
Ja, da haben wir große Differenzen. Anders als die Union sind wir der Auffassung, dass wir einen Kurswechsel zur Stabilisierung des Rentenniveaus brauchen – und zwar nicht irgendwann, sondern jetzt. Ich sehe aber auch Gemeinsamkeiten, etwa was Verbesserungen für Erwerbsgeminderte betrifft. Oder bei unserer Forderung, Geringverdiener nach jahrzehntelanger Erwerbstätigkeit nicht in der Grundsicherung landen zu lassen. Und ich freue mich über die klare Zusage der Kanzlerin, das Renteneintrittsalter nicht auf 70 Jahre zu erhöhen, wie einige aus der CDU vorgeschlagen hatten.
Insbesondere die CSU scheint jetzt das Thema Soziales neu zu entdecken. Hilft das gegen die AfD?
Eine gute Sozial- und Wirtschaftspolitik ist das beste Rezept, die Rechtspopulisten kleinzuhalten. Und wenn die CSU das S in ihrem Namen wieder stärker in den Vordergrund stellt, kann es auch gelingen, Arbeitsverhältnisse wieder sicherer zu machen. Im vergangenen Jahr waren 50 Prozent aller Neueinstellungen befristet. Das verunsichert Menschen und beraubt sie jeder Möglichkeit zu verlässlicher Lebensplanung. Es ist nicht nachvollziehbar, dass die Arbeitgeber ständig nach sicheren Rahmenbedingungen rufen, sie ihren Beschäftigten aber verweigern. Die sachgrundlose Befristung von Arbeitsverträgen gehört abgeschafft.
Was hat der AfD denn so viele Wähler zugetrieben?
Wenn man den Wahlanalysen folgt, sind 60 Prozent der AfD-Wähler keine überzeugten Anhänger dieser Partei. Sie glauben nicht, dass die Rechtspopulisten bessere Politikangebote haben. Der AfD-Erfolg belegt vor allem den Vertrauensverlust der etablierten Parteien. Wenn man dieses Vertrauen wieder zurückgewinnen will, muss man den Menschen Zukunftsperspektiven geben – und zwar unter den gravierenden Veränderungen, mit denen wir in den nächsten Jahren konfrontiert sein werden. Leider sehe ich bislang nicht, wie das in einer Jamaika-Koalition gelingen kann.
Die AfD sitzt nun mit mehr als 90 Abgeordneten im Bundestag. Wird der DGB auch auf diese Fraktion zugehen?
Ich sehe keine Veranlassung dazu, den Kontakt zur AfD zu suchen. Es handelt sich um Rechtsnationalisten, die extrem gewerkschaftsfeindlich sind. Und deren Programmatik sich mit unserer in keiner Weise vereinbaren lässt.
Und wenn die AfD-Fraktion Sie einlädt, als Experte für Arbeitsmarktpolitik?
Ich rechne nicht damit, von der AfD eingeladen zu werden. Und wenn dem so wäre, würde ich die Einladung nicht annehmen. Wir haben das mit allen Mitgliedsgewerkschaften des DGB diskutiert. Es ist ja nicht auszuschließen, dass AfD-Abgeordnete den Vorsitz in bestimmten Ausschüssen übernehmen. In diesen Funktionen werden wir natürlich mit ihnen zusammenarbeiten müssen. Aber mit Fraktion und Partei sehe ich keinerlei Berührungspunkte.
In Schleswig-Holstein gibt es bereits eine Jamaika-Koalition. Ist deren Politik ein gutes Beispiel für die neue Bundesregierung?
Die Signale aus dem Norden verheißen nichts Gutes. Es ist uns völlig unverständlich, dass Kiel eine Bundesratsinitiative gestartet hat, um die Dokumentationspflicht für die Arbeitszeit von Teilzeitbeschäftigten zu lockern. Dahinter steht nichts anderes als das Ziel, den Mindestlohn aufzuweichen. Das ist ein Alarmzeichen. Zudem überlegt die Landesregierung, die Tariftreueklauseln für die Vergabe öffentlicher Aufträge aufzuheben. Das hätte extrem negative Auswirkungen auf Arbeitsmarkt und Beschäftigte.
Steht hinter all dem die FDP?
Ja, nach meiner Beobachtung ist das so. Was ich nicht verstehe, ist, dass sich die anderen Koalitionspartner in dieser Weise treiben lassen. Wenn man wirksame Antworten auf die Rechtspopulisten geben will, muss man zeigen, dass die soziale Marktwirtschaft funktioniert. Da ist Sicherheit auf dem Arbeitsmarkt und in den Sozialsystemen oberstes Gebot.
Was schlagen Sie vor?
Wir müssen den Niedriglohnsektor bekämpfen, um damit höhere Beitragseinnahmen zu generieren. Wir müssen Frauen aus der Teilzeitfalle befreien. Wir brauchen eine Rückkehr zur paritätischen Finanzierung in der Krankenversicherung. Und Leistungen wie die Mütterrente müssen aus Steuern, nicht von den Beitragszahlern finanziert werden. Schließlich handelt es sich dabei um ein sozialpolitisches Ziel des Staates.
Gesundheitsminister Hermann Gröhe hat drei Pflegereformen durchgeboxt und dafür deutliche Beitragssteigerungen in Kauf genommen. Warum reicht das nicht?
Das hat sehr viel mit der demografischen Entwicklung zu tun. Die Menschen werden älter, der Pflegebedarf steigt, das muss finanziert werden. Die Pflegerinnen und Pfleger, die hochwertige Dienstleistungsarbeit an anderen Menschen erbringen, müssen auch ordentlich bezahlt werden. Wir brauchen eine deutliche Aufwertung dieser Arbeit, das gibt den Menschen Sicherheit.
Was kann die Politik da ausrichten? Für die Löhne sind die Tarifpartner zuständig.
Wir erleben im Pflegebereich, dass sich immer mehr freie Anbieter der Verantwortung entziehen, weil sie keine Tarifverträge abschließen wollen und in keinem Arbeitgeberverband Mitglied sind. Da kann die Politik durch eine Erleichterung der Allgemeinverbindlichkeit von Tarifverträgen sehr wohl gegensteuern. Das würde auch diese Unternehmen zwingen, Menschen ordentlich zu entlohnen.
Das allein würde schon helfen?
Nein. Wir müssen die Ökonomisierung im Sozialbereich ganz generell stoppen. Mit hilfsbedürftigen Menschen möglichst viel Rendite machen zu wollen, verträgt sich nicht mit unseren Ansprüchen an eine soziale Marktwirtschaft. Es ist doch verrückt, dass die FDP die sozialen Sicherungssysteme immer weiter privatisieren will. Das heißt, dass Pflegeleistungen an der Börse gehandelt werden.
Ein Feld, auf dem eine Jamaika-Koalition vor wichtigen Entscheidungen steht, ist die Europapolitik. Frankreichs Präsident Macron hat Vorschläge für eine vertiefte Zusammenarbeit vorgelegt. Wie sollte Deutschlands Antwort aussehen?
Deutschland und Frankreich müssen gemeinsam Verantwortung übernehmen. Als Vorreiter der gesamten EU sollten sie wichtige Reformen auf dem Feld der Währungsunion und der europäischen Sozialpolitik anschieben.
Welche Reformen?
Die Webfehler der Währungsunion müssen dringend korrigiert werden. Sie kann bei unterschiedlichen Wirtschaftsräumen nicht funktionieren, wenn nicht ein eigener EU-Haushalt eingerichtet wird und wir nicht zu einer Harmonisierung bei den Unternehmenssteuern kommen. Wir brauchen eine europäische Finanz- und Steuerpolitik, die Steuerflucht wirksam bekämpft. Den Mitgliedstaaten der EU entgeht dadurch jährlich eine Billion Euro. Wenn wir nur 20 oder 30 Prozent davon eintreiben können, hätten wir den Spielraum, um etwa ein anspruchsvolles europäisches Investitionsprogramm auf den Weg zu bringen, wie es auch Macron vorschlägt. Es würde neue Arbeitsplätze schaffen und den Menschen wieder verdeutlichen, warum Europa so wichtig ist.
Und das trauen Sie einer Jamaika-Koalition zu, in der die FDP strikt gegen eine Transferunion kämpft?
Ich habe große Sorgen, dass nicht nur die FDP, sondern auch Teile der Union nicht bereit sein werden, Europa zu stabilisieren. Wir sollten doch wachgerüttelt sein durch den Brexit, durch den Front National in Frankreich, durch den Erfolg der rechtspopulistischen FPÖ bei der Wahl in Österreich. Wenn wir Europa nicht auf Kurs bringen, greift der Rechtspopulismus weiter um sich. Es ist dringend Zeit für eine bessere deutsche Europapolitik
Zurück nach Deutschland. Die IG Metall möchte es Beschäftigten ermöglichen, ihre Arbeitszeit auf bis zu 28 Stunden pro Woche zu reduzieren. Wird Arbeitszeit-Autonomie für die Gewerkschaften wichtiger als steigende Löhne?
Dieses Thema hat in den vergangenen Jahren enorm an Bedeutung gewonnen. Menschen müssen Wahloptionen haben im Hinblick auf Zeit oder Geld. Und die Vorschläge der IG Metall haben einen weiteren großen Vorteil: Sie sollen nicht nur Beschäftigten mit hohem Einkommen, sondern auch solchen mit niedrigeren Löhnen Wahlmöglichkeiten bieten. Eine Reduzierung der Arbeitszeiten ist auch ein Mittel, um Beschäftigte zu entlasten, die unter besonderen Belastungen arbeiten, etwa im Schichtsystem. Das bleibt Aufgabe der Tarifpartner. Den Widerstand der Arbeitgeber von Gesamtmetall gegen solche Lösungen kann ich überhaupt nicht nachvollziehen, weil es sich am Ende auch für die Unternehmen auszahlt, wenn sie gesunde und hoch motivierte Mitarbeiter haben.
Und was, wenn die Arbeitgeber dann mit ihren Beschäftigten gefälligst auch flexibler sein möchten?
Mit Verlaub: Das machen die Arbeitgeber doch schon permanent. Wo kommen sonst die fast zwei Milliarden Überstunden pro Jahr her, von denen eine Milliarde nicht bezahlt wird. Das ist Lohndiebstahl! So viel zur Flexibilität der Arbeitgeber.