Mögliche Doppelspitze Baerbock und Habeck: Die Sehnsucht der Grünen nach einem Aufbruch
Ende Januar wollen die Grünen ihren neuen Parteivorsitz wählen. Annalena Baerbock und Robert Habeck verstehen sich nicht als Flügelkandidaten. Das sorgt für Bewegung.
Seit Längerem hatte seine Partei ihm den roten Teppich ausgerollt, nun hat Robert Habeck ihn betreten. Der Umweltminister aus Schleswig-Holstein will Parteichef der Grünen werden – als Nachfolger für Cem Özdemir, der nach neun Jahren das Amt abgeben will. Der 48-Jährige ist nicht nur Özdemirs Wunschkandidat, mit seinem pragmatischen Idealismus hat er in der gesamten Partei viele Fans. Bereits in der Urwahl für die Spitzenkandidatur war er nur hauchdünn hinter Özdemir gelandet.
Die neue Doppelspitze wird Ende Januar gewählt
Aber auch Annalena Baerbock könnte die bei den Grünen verbreitete Sehnsucht nach einem Aufbruch bedienen. Die 36-jährige Bundestagsabgeordnete aus Brandenburg wird schon seit einer Weile für höhere Posten gehandelt. Ebenso wie Habeck saß sie in den vergangenen Wochen mit der Kanzlerin an einem Tisch, als die Grünen mit Union und FDP die Chancen von Jamaika ausloteten.
Doch haben Baerbock und Habeck eine Chance, auf dem Parteitag Ende Januar als neue Doppelspitze gewählt zu werden? Die Grünen müssten bereit sein, auf ihren lange gepflegten Proporz bei der Postenvergabe zu verzichten. Danach müssen an der Spitze nicht nur eine Frau und ein Mann stehen, sondern üblicherweise auch beide Flügel vertreten sein, Realos ebenso wie Linksgrüne.
Habeck und Baerbock verstehen sich nicht als Flügelkandidaten
Offiziell gehören Baerbock und Habeck zu den Realos. Ihre Bewerbung wollen aber beide ausdrücklich nicht als Flügelkandidatur verstanden wissen. „Es ist Zeit, das aus Misstrauen geborene Austarieren der Macht zwischen den Flügeln zu beenden“, fordert Habeck. Von den Flügelstreitigkeiten waren gerade jüngere Grüne in den letzten Jahren zunehmend genervt. Im Wahlkampf und nach der Wahl hatte die Partei es geschafft, diese zurückzustellen. Ob die Mehrheit der Delegierten auf einem Parteitag aber bereit wäre, die bisherige Logik bei Personalfragen zu überwinden, ist offen. Parteichefin Simone Peter jedenfalls findet, bisher seien die Grünen mit der Quotierung nach Geschlechtern und Flügeln gut gefahren. Sie hatte bereits im Sommer angekündigt, noch einmal antreten zu wollen. Doch selbst im linken Flügel ist Peter nicht unumstritten. Habeck und Baerbock wiederum erhalten Zuspruch auch von linken Flügelleuten. „Es ist gut, dass mit den Ankündigungen von Annalena Baerbock und Robert Habeck Bewegung in unsere personelle Aufstellung kommt“, sagt etwa Rasmus Andresen, Landtagsvizepräsident in Schleswig-Holstein. Habeck könne der Partei „ein spannendes progressives Profil“ geben. Die Grünen sollten die Kandidaturen nutzen, um in den nächsten Wochen offen und kontrovers über den Kurs der Partei zu diskutieren, fordert Andresen. Dazu gehöre auch die Frage, wie die Grünen in den Städten Wähler von der Linkspartei zurückgewinnen könnten. „Wir müssen unsere Konturen schärfen, reiner Pragmatismus reicht nicht aus.“
Habeck will Grüne zur "führenden linksliberalen Kraft" machen
Habeck selbst sieht die Grünen an einem Scheideweg: Im Fall einer weiteren großen Koalition sei nicht ausgeschlossen, dass die Partei marginalisiert werde und am Ende der vier Jahre ums Überleben kämpfen müsse. „Wir können aber auch die gesellschaftliche Hoffnung nach Aufbruch und Idealismus politisch einlösen und zur führenden linksliberalen Kraft werden“, verspricht Habeck. Von seiner Partei wünscht er sich, Ministeramt und Parteivorsitz übergangsweise parallel ausüben zu können. Für die Übergabe in Kiel brauche er „Pi mal Daumen“ ein Jahr. Laut Grünen-Satzung darf ein Landesminister nicht gleichzeitig Parteichef sein.
Skepsis über eine "Lex Habeck"
Im linken Flügel gibt es deswegen auch skeptische Stimmen. „Ich halte nichts von einer Lex Habeck. Und eine halbe Wahlperiode Übergangszeit oder ein lockeres ,Pi mal Daumen‘ geht gar nicht“, sagt der Bundestagsabgeordnete Gerhard Schick, einer der Koordinatoren des linken Flügels. Habeck solle jetzt aber mal konkrete Vorschläge machen, wie er sich das vorstelle. Ähnlich sieht es der Berliner Landeschef Werner Graf. Er sei „großer Anhänger“ der grünen demokratischen Grundsätze wie der Trennung von Amt und Mandat, sagt Graf. „Wir brauchen eine starke Partei, die mit Leidenschaft und vollem Einsatz geführt wird“, fordert er. Wie das neben einem Ministeramt geschehen solle, sei ihm vollkommen schleierhaft. „Bisher hat sich bei mir noch kein Minister über zu viel Freizeit beschwert, eher im Gegenteil.“