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Der EVP-Spitzenkandidat Manfred Weber will Nachfolger von EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker werden.
© AFP

Nachfolge des EU-Kommissionspräsidenten: Die schwierige Suche nach Mr. Europa hat begonnen

In Brüssel geht es heute um die Juncker-Nachfolge. Da erstmals seit 1979 EVP und Sozialdemokraten keine Mehrheit mehr haben, sind die Absprachen schwierig.

In Brüssel geht es Schlag auf Schlag. Als am Montag das Ergebnis der Europawahl endgültig feststand, begannen im Europaparlament die Verhandlungen um die Nachfolge des scheidenden EU-Kommissionschefs Jean-Claude Juncker. Für den Abend hatte der bisherige Fraktionschef der konservativen EVP-Fraktion, Manfred Weber, Sozialdemokraten, Liberale und Grüne zum Gespräch eingeladen. Nach seiner Spitzenkandidatur für die EVP, die ihn in den vergangenen Monaten quer durch Europa geführt hatte, begann für den CSU-Vize damit die zweite Phase in seiner Mission – der Kampf ums Amt des Kommissionspräsidenten.

Koalitionen, wie man sie auf nationaler Ebene kennt, gibt es im Europaparlament nicht. Es hat aber stets informelle Absprachen zwischen den pro-europäischen Kräften gegeben, wenn es um die Festlegung von politischen Inhalten und Besetzung von Posten ging. Am wichtigsten ist der Topjob an der Spitze der EU-Kommission, der für fünf Jahre nominiert wird, sowie der des Parlamentspräsidenten, der für zweieinhalb Jahre gewählt wird.

Erstmals seit 1979 verfügen Sozialdemokraten und Christdemokraten nun nicht mehr über die absolute Mehrheit der Sitze im Europaparlament. Absprachen werden in dem zersplitterten Parlament also schwieriger. Die stärkste Fraktion stellen die Konservativen mit 180 Sitzen (minus 38), gefolgt von den Sozialdemokraten mit 146 (minus 45), den Liberalen mit 109 Sitzen (plus 42) und den Grünen mit 69 Mandaten (plus 19). Die Mehrheit von 376 Sitzen wird nur erreicht, wenn mindestens drei pro-europäische Fraktionen an einem Strang ziehen.

Vestager will den Chefposten

Zu denen, die sich unmittelbar nach Bekanntgabe der ersten Europawahl-Ergebnisse schon am Sonntag beim Rennen um den Chefposten in der EU-Kommission in Stellung brachten, gehörte die Dänin Margrete Vestager. Die EU-Wettbewerbskommissarin, die sich mit Verfahren gegen US-Konzerne wie Google oder Apple einen Namen gemacht hatte, trat in Brüssel noch am Abend vor die Kameras. Sie erklärte, dass sie das Amt der Kommissionspräsidentin anstrebe. Die Kommissarin gab allerdings auch zu, dass eine dazu nötige Benennung durch die Staats- und Regierungschefs oder das Europaparlament eine „knifflige Angelegenheit“ darstelle.

Vestager war im Rahmen eines EU-weiten mehrköpfigen „Spitzenteams“ der Liberalen bei der Europawahl angetreten. Im Lager von Weber wird allerdings darauf gepocht, dass nur ein Kandidat Kommissionspräsident werden könne, der – anders als die Dänin Vestager – tatsächlich die Spitzenkandidaten-Prozedur als Einzelkämpfer durchlaufen habe.

Spitzenkandidat zog in Deutschland nicht

Allerdings hat sich das Spitzenkandidaten-Modell bei der Europawahl aus Sicht von CDU und CSU nicht bewährt. Die Parteien verteidigen zwar den Spitzenkandidaten mit dem Argument: die Europawahl werde attraktiver für die Bürger, wenn diese dabei auch über den Chef der EU-Kommission abstimmen könnten. Der Wahlausgang in Deutschland widerlegt diese These. Zwar stieg die Wahlbeteiligung massiv – in Deutschland wurde ein Plus von 13 Prozentpunkten verzeichnet. Doch der deutsche Spitzenkandidat Weber erzielte in Deutschland ein schlechteres Ergebnis für die Union als bei der letzten Europawahl. Dass es auch anders geht, zeigte Frans Timmermans in den Niederlanden. Der Spitzenkandidat der Sozialdemokraten verdreifachte das Stimmergebnis seiner Partei gegenüber den letzten Wahlen im Nachbarland.

Trotz der herben Verlusten für die EVP hat Weber immer noch die besten Aussichten unter den Spitzenkandidaten, wenn es um die Juncker-Nachfolge geht. Der Grund: Auch wenn die EVP mit dem Weggang der Abgeordneten der ungarischen Regierungspartei Fidesz rechnen muss, wird die Europäische Volkspartei weiterhin die stärkste Fraktion im Straßburger Halbrund bleiben. Weber gibt nicht zu erkennen, dass er wegen des Dämpfers bei der Wahl seine Ansprüche zugunsten des Zweitplatzierten Timmermans, zurückschraubt. Vielmehr pocht er darauf, dass seine Fraktion nur einen Kandidaten wählt, der bereits im Wahlkampf „Programm, Profil und Persönlichkeit“ offengelegt hat.

Grünen-Politiker Cohn-Bendit gegen Weber

Zu denen, die Weber von seiner Eignung für das Amt des Kommissionspräsidenten überzeugen muss, gehören die Grünen. Von den deutschen Vertretern der Öko-Partei kommen unterschiedliche Signale, wenn es um eine mögliche Unterstützung für den Niederbayern geht. Klar positioniert hat sich indes der Ur-Grüne Daniel Cohn-Bendit, der inzwischen zu den Vertrauten des französischen Präsidenten Emmanuel Macron gehört. „Ich würde es für skandalös halten, wenn die Grünen Weber unterstützen“, sagte Cohn-Bendit dem Tagesspiegel mit Blick auf die anstehenden Beratungen im EU-Parlament. „Weber steht für die abwartende Haltung der Bundesregierung gegenüber den Reformplänen Macrons“, sagte er zur Begründung.

Erschwerend kommt für Weber hinzu, dass Macron bereits im Kreis der Staats- und Regierungschefs mächtig Stimmung gegen ihn gemacht hat. Am Dienstagabend wollen die Staats- und Regierungschefs bei einem Sondergipfel in Brüssel über die Juncker-Nachfolge und andere Top-Personalien wie die künftige Besetzung des Chefpostens der Europäischen Zentralbank (EZB) beraten.

Machtkampf zwischen Parlament und den Staats- und Regierungschefs

Es wird nicht damit gerechnet, dass schon am Dienstag eine Entscheidung fällt. Klar ist zudem, dass Macron geschwächt nach Brüssel kommt. Die Niederlage seiner Bewegung gegenüber Marine Le Pens Rechtspopulisten dürfte seinen Einfluss unter den Staats- und Regierungschefs schmälern. Für Weber sprechen sich acht von 28 Staats- und Regierungschefs aus. Eine Schlüsselrolle hat Kanzlerin Angela Merkel (CDU), die nie ein erklärter Fan des Spitzenkandidaten war. Da die CDU im Europawahlkampf offensiv für den Weber geworben hat, würde es ihr aber als Verrat am Wähler ausgelegt werden können, wenn sie den CSU-Vize jetzt im Kreis der „Chefs“ fallen lässt. Etwa zugunsten von Michel Barnier. Der Franzose hat sich als EU-Chefverhandler beim Brexit Meriten erworben und gilt als Favorit Macrons.

Derweil wird damit gerechnet, dass im Europaparlament die Spitzen von Konservativen, Sozialdemokraten, Liberalen und Grünen bereits am heutigen Dienstag den Anspruch erheben, dass das Parlament nur einen Kommissionschef wählt, der vorher Spitzenkandidat im Wahlkampf war. Käme es so, dann wäre ein Konflikt zwischen dem Parlament sowie den Staats- und Regierungschefs, die bei der Juncker-Nachfolge das Vorschlagsrecht haben, vorprogrammiert.

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