Fraktionschefs der Groko: Die schwierige Aufgabe von Nahles und Kauder
Die Fraktionschefs von Union und SPD müssen gemeinsam regieren und zugleich ihre Parteien vom Partner abgrenzen. Volker Kauder steht noch größer unter Druck als Andrea Nahles.
Sie sind für das Gelingen dieser Koalition so wichtig wie wenige andere. Volker Kauder und Andrea Nahles, der knorrige Konservative aus dem baden-württembergischen Wahlkreis Rottweil-Tuttlingen und die burschikose frühere Juso-Chefin aus der Eifel müssen als Vorsitzende der beiden Regierungsfraktionen dafür sorgen, dass ihre Abgeordneten eine Mehrheit garantieren, wenn es im Bundestag darauf ankommt.
Denn die große Koalition ist gar nicht mehr "groß", Union und SPD haben bei der Bundestagswahl viele Mandate verloren. Auch deshalb wollen beide Partner nicht nur zusammen regieren, sondern sich auch gegeneinander kräftig profilieren. Das macht die Aufgabe von Kauder und Nahles noch schwerer.
Wie schmal der Grat ist, zeigte vergangene Woche zum Start der Koalition der Streit um den Paragrafen 219a. Er stellt Werbung für einen Schwangerschaftsabbruch unter Strafe – aus Sicht der SPD ein Unding. Sie hatte deshalb einen Gesetzentwurf zur Aufhebung der Strafandrohung vorgelegt. Die Aussicht auf eine Mehrheit im Bundestag war groß, denn auch Linke, FDP und Grüne wollen die Regelung entweder ändern oder ganz abschaffen. Ganz anders als die Union.
Eigentlich schreibt der Koalitionsvertrag vor, dass die Partner immer gemeinsam abstimmen müssen. Doch Kauder hatte Nahles freie Hand gegeben, den 219a mit Hilfe der Opposition in seiner bisherigen Form zu kippen. Seine eigenen Abgeordneten reagierten empört. Der Schutz des ungeborenen Lebens gehört für CDU und CSU zur politischen Identität. Der Fraktionschef geriet derart unter Druck, dass er seine Zusage an Nahles zurücknehmen musste.
Ein Start mit Streit oder kein eigener Gesetzentwurf
Nun stand Nahles vor der Wahl, entweder mit einem Eklat in die Regierungsarbeit zu starten oder aber den Gesetzesentwurf zurückzuziehen. Anstatt klare Kante im Parlament zu zeigen, entschied sie sich für den Koalitionsfrieden. Nun soll die sozialdemokratische Justizministerin Katarina Barley einen Gesetzesentwurf vorlegen – Problem vertagt.
Nahles aber zahlt schon jetzt für ihre Koalitionsräson. Denn ihre Nachgiebigkeit passt schlecht zum Versprechen, auch im erneuten Bündnis mit der Union das Profil der SPD zu schärfen. Die vielen Groko-Kritiker in der Partei sehen sich in ihren düsteren Befürchtungen bestätigt, wonach das Regieren mit Angela Merkel die SPD immer unkenntlicher macht.
Der Wortführer der Groko-Gegner, Juso-Chef Kevin Kühnert, ließ sich die Gelegenheit nicht entgehen. Dass Nahles die Reform des 219a mit einer "dünnen Erklärung" zurückgestellt habe, sei "nicht das notwendige Zeichen neuen Selbstbewusstseins, sondern eine Form des Weiter so", sagte er dem Tagesspiegel.
Nahles kann das nicht egal sein. Ganz bewusst ist sie nicht ins Kabinett eingetreten. Als Fraktionschefin und Parteivorsitzende in spe will sie ein Machtzentrum außerhalb der Regierung schaffen und gleichzeitig ihre Partei erneuern. Diese Aufgabe hat sie sich selbst gestellt – und damit Erwartungen in ihrer Partei geweckt, die sie nicht enttäuschen darf. Andererseits weiß die frühere Arbeitsministerin, dass die SPD in der Regierung liefern muss – und das geht nicht ohne oder gegen die Union.
Kauder steht noch stärker unter Druck
Noch stärker unter Druck als Nahles steht Kauder. Ohnehin halten ihn manche seiner Fraktionsmitglieder seit langem für einen braven Erfüllungsgehilfen der Kanzlerin, dem Macht und Mehrheiten wichtiger sind als konservative Überzeugungen. Eine Quittung erhielt er bei seiner Wiederwahl im September nach der Bundestagswahl, als er mit 77,3 Prozent sein bislang schlechtestes Ergebnis hinnehmen musste.
Die "Bild"-Zeitung spekuliert bereits über Kauders Rückzug. Nach dem Aufstand seiner Fraktion gegen den SPD-Antrag zum Paragrafen 219a soll der Merkel-Vertraute signalisiert haben, er werde sich im Herbst nicht noch einmal um den Fraktionsvorsitz bewerben. Kauder dementiert dies. Aber seine Autorität in den eigenen Reihen hat weiter gelitten.
Nahles wird schneller als Kauder eine klare Auskunft darüber erhalten, wie viel ihr die eigenen Leute zutrauen. Denn am 22. April will sich die 47-Jährige zur SPD-Vorsitzenden küren lassen. Dass der Parteitag in Mannheim sie als erste Frau an die Spitze der ältesten deutschen Partei wählt, gilt als sicher. Doch ob sie ein gutes Ergebnis erzielt, ist offen.
Auch unter den Genossen hat sich ein diffuses Misstrauen gegen „die da oben“ breit gemacht. Davon könnte Nahles’ Gegenkandidatin Simone Lange, die Oberbürgermeisterin von Flensburg, profitieren. Wer Nahles einen mitgeben will, kann für die Unbekannte aus dem Norden stimmen. Es wäre nicht das erste Mal, dass die SPD ihre Spitzenleute beschädigt.