Religion und Staat: Die Schülerin muss den Schleier abnehmen - nur warum?
Ein muslimisches Mädchen zeigt, dass man auch mit Nikab lernen kann. Der Fall ist brisant - denn er widerlegt die politische Rhetorik. Ein Kommentar.
Belm ist ein ruhiges Städtchen in Niedersachsen bei Osnabrück, das nur einmal in die Schlagzeilen kam, als vor 15 Jahren ein Tornado eine Schneise durch die Innenstadt fräste. Der Sturm, nicht der Düsenjet. Nun tobt über Belm ein neuer Sturm, jener der Entrüstung. Denn dort geht seit ein paar Jahren ein Mädchen mit einem islamischen Gesichtsschleier zur Schule, dem Nikab. Derzeit ist sie in der zehnten Klasse.
Die Leiterin hatte den Fall erst Ende August bei der Landesschulbehörde gemeldet, weil das Osnabrücker Verwaltungsgericht damals eine Muslima abwies, die ihren Nikab im Abendgymnasium tragen wollte. Polizei, Verfassungsschutz und das Kultusministerium sind eingeschaltet. Dessen Haltung ist klar: „Vollverschleierung in öffentlichen Schulen ist nicht zulässig. Eine Vollverschleierung erschwert oder verhindert die offene, auch nonverbale Kommunikation, die in der Schule notwendig ist, um die Erfüllung des Bildungsauftrags zu gewährleisten“, sagte ein Sprecher am Freitag.
Der Fall ist ein Exempel. Nur für was? Soweit bekannt, hat der Schleier des Mädchens den schulischen Frieden bisher nicht beeinträchtigt. Das Kind ist mit Schleier versetzt worden. Offenbar beteiligt es sich am Unterricht. Vermutlich redet es auch mit Klassenkameraden und mit Lehrern sowieso. Möglich, dass es Freundinnen hat und diese sogar mit nach Hause nimmt. Mutmaßlich handelt es sich um eine normale Schülerin. Wer weiß, vielleicht eine gute?
Das müsste sie nicht einmal sein, um dem Kultusministerium ein Problem beschert zu haben. Denn wie es am Beispiel dieses Mädchens scheint, verhindert der Schleier die offene, nonverbale Kommunikation gar nicht, die notwendig sein soll, um die Erfüllung des Bildungsauftrags zu gewährleisten. Wie es weiter scheint, wird der Bildungsauftrag insbesondere dann erfüllt, wenn Mädchen (und Jungen) ungehindert, unskandalisiert und ohne republikweite Medienbeachtung sowie unter Alarmierung von Verfassungsschutz und Polizei der regelmäßige Schulbesuch gestattet wird.
Damit hat es nun ein Ende. Es kann nicht sein, was nicht sein darf. Die Schule wird auf Druck der übergeordneten Behörden irgendetwas veranlassen müssen. Jeder Tag, den das Mädchen mit Schleier in die Klasse kommt, widerlegt die politische Rhetorik, wonach es sich bei dem Tuch um eine unüberwindbare Hürde für das Zusammenleben handeln soll.
Das Mädchen kann uns leidtun, unabhängig davon, auf welchem Schleierstandpunkt man steht. Die großen politischen Debatten werden auf seinem noch eher kleinen Rücken geführt. Die Entscheidung des Osnabrücker Verwaltungsgerichts übrigens ist für diesen Fall vollkommen unerheblich. Die Schulleiterin hätte nichts melden müssen. Sie hätte Belm damit den zweiten Tornado erspart.