Flüchtlinge: Die Schlepper und ihre Geschäfte
Die jüngsten Flüchtlingstragödien rücken die Schleuser in den Blickpunkt. Wer sind diese Geschäftemacher, wie arbeiten sie? Die wichtigsten Fragen und Antworten.
Die Brutalität der Schlepper sorgt international für Entsetzen. Zuletzt hat die österreichische Polizei drei dehydrierte Flüchtlingskinder aus einem Lkw vor dem Verdursten gerettet, zuvor hatten die Behörden 71 tote Flüchtlinge in einem Lastwagen bei Wien entdeckt.
Welche Schlepper sind für den Tod der 71 Flüchtlinge verantwortlich?
In Ungarn wurde in der Nacht auf Sonntag ein weiterer Bulgare im Zusammenhang mit der Tragödie festgenommen, drei Bulgaren und ein Afghane sind bereits seit Donnerstag in der südungarischen Stadt Kecskemet in Untersuchungshaft. Dort war der Todes-Lkw Richtung Österreich gestartet. Die Festgenommenen bestreiten jede Beteiligung. Die österreichische Staatsanwaltschaft hofft auf baldige Auslieferung, juristisch angeknüpft an die von ihr erlassenen internationalen Haftbefehle. Die Zusammenarbeit mit den Ungarn sei aber sehr gut, lobt man in Wien und der burgenländischen Landeshauptstadt Eisenstadt, der Zeitpunkt aber noch zu früh für Konkreteres. In Österreich drohen den Verdächtigen schwere Strafen bis zu lebenslänglich für Mord, wenn ihnen nachgewiesen wird, dass sie den Tod der Flüchtlinge wissentlich in Kauf genommen haben. Das hängt auch vom Ergebnis der Untersuchung des Kühl-Lkws und seiner Belüftung des Laderaumes ab: Er war vollgestopft mit Menschen.
Wie erfolgreich ist die Jagd auf Schlepper in Österreich?
Das Wiener Innenministerium teilte mit, die Kontrollen an der bekannten Routen würden nun „massiv verschärft“. Dazu verstärken Beamte aus mehreren Bundesländern die burgenländischen Polizisten an der Ostgrenze. Wie massiv die Flüchtlingswelle in Ostösterreich ansteigt, zeigten die letzten Tage. In einem Fall wurden zwei Kleinkinder nur knapp vor dem Erstickungstod in einem völlig überfüllten Wagen gerettet. Die drei dehydrierten Kinder, die am Freitagmorgen von der Polizei in Oberösterreich in einem Schlepperfahrzeug auf dem Weg nach Deutschland mit 23 anderen Flüchtlingen gefunden wurden, konnten das Krankenhaus wieder verlassen. Der Schlepper aus Rumänien ist in Haft, die Familien wollen weiterhin nach Deutschland und kein Asyl in Österreich. Auch die Gerichte sind überfordert mit der Flüchtlingswelle. Gut 600 Ausländer sind derzeit unter dem Verdacht oder nach Urteilen wegen Schlepperei in Haft. Als Beispiel für die rasche Arbeit der Gerichte gilt der Fall in Korneuburg bei Wien, wo der Richter am Freitag einen Bulgaren zu drei Jahren Haft verurteilte, weil er in einem VW-Bus 54 Flüchtlinge eingepfercht transportiert hatte. Er war am 14. Juli gestoppt worden. Der Bulgare hatte sich selbst als Opfer ausgegeben. „Ich habe gedacht, es sind neun bis zehn“, sagte er, und dass er von seinen Kontaktleuten in einen Wald bei Budapest dirigiert worden sei zu deren Aufnahme. Für den Transport mit Ziel Regensburg habe er 400 Euro bekommen.
Wie funktioniert das Schleuserwesen auf der Balkanroute?
Da gibt es nur wenige Erkenntnisse, weil die Verhafteten meist die unterste von bis zu sieben Ebenen in den Schleuserringen sind. In Griechenland soll es 200 Schleuserringe geben, in den anderen Balkanländern noch mehr.
Zu den etablierten Ringen, die vielfach aus der Türkei dirigiert werden, kamen zuletzt viele Bulgaren, Rumänen und Ungarn, die das schnelle Geld wittern ohne Rücksicht auf die Opfer. In Wien geht man davon aus, dass viele der Schlepper Landsleute der Flüchtlinge sind. Damit ist deren Identifizierung noch schwieriger. Wenn in den Zügen von Budapest nach Wien ein Afghane mit deutscher Aufenthaltsgenehmigung kontrolliert wird und er Stempel aus Tadschikistan, Kasachstan, Afghanistan und der Türkei im Pass hat, ist sich die Polizei ziemlich sicher, einen Schlepper vor sich zu haben: Doch ohne Zeugen und mit dem deutschen Vermerk kann sie nichts tun gegen den Mann.
Was kostet eine Schleusung?
Gerald Tatzern, höchster Bekämpfer von Menschenhandel im Wiener Innenministerium, schätzt, dass die 71 ums Leben gekommenen Flüchtlinge zusammen 700 000 Euro gezahlt haben könnten, um nach Deutschland zu kommen. Die Tarif-Bandbreite geht laut inoffiziellen Polizei-Schätzungen von 8000 bis 15 000 Euro pro Person und richtet sich nach dem Ruf der Schlepperbande und dem Verhandlungsgeschick. Es gebe wahlweise Gesamtpreise vom Start zum Ziel und Einzelpreise für die Etappen durch jedes Land. Für die großen Banden hat derzeit der Menschenhandel den mit Drogen weitgehend abgelöst.
Wie sind die Schleusungen von Afrika nach Europa organisiert?
Einiges ist bekannt über die Schlepperbanden, die afrikanische Flüchtlinge durch die Sahara nach Marokko oder Libyen bringen. Ihre Hauptstützpunkte liegen südlich von Algerien in Agadez in Niger und Gao in Mali. Die Internationale Migrationsorganisation (IOM) spricht in einem Bericht von einer Schlepper-Industrie, die via Facebook um „Kunden“ wirbt. Danach stellen einheimische Schmuggler in Mali und Niger sogenannte Frontmänner aus den jeweiligen Herkunftsländern der Flüchtlinge ein, die Kontakt zu Neuankömmlingen aufnehmen. Sie bieten Unterkünfte an und für 600 bis 1000 Euro den Transport durch die Wüste. Auch Jobs vermitteln sie, denn viele Flüchtlinge haben jeweils nur Geld für einzelne Etappen dabei. Frauen berichteten IOM-Mitarbeitern, sie seien zur Prostitution gezwungen worden, um die Weiterfahrt bezahlen zu können. Für die etwa viertägige Fahrt durch die Sahara pferchen die Schleuser die Flüchtlinge auf völlig ungesicherte Lkw-Ladeflächen. Immer wieder kommt es vor, dass Passagiere herunterfallen. Ein Todesurteil, denn angehalten wird nicht.
Wer organisiert die Überfahrt über das Mittelmeer?
Besonders ausgeklügelt ist die Organisation der Schlepper in Libyen. An den Küsten des Bürgerkriegslandes starten die meisten Flüchtlinge ihre Fahrt über das Mittelmeer. Nicht nur Afrikaner kommen an, sondern vor allem auch Flüchtlinge aus Syrien. Und die sind begehrt, denn Syrer gelten als wohlhabend. Deshalb haben die Schleuser, die offenbar verschiedenen Bürgerkriegsgruppen angehören, Vertreter in Syrien, die für die Libyen-Route werben und sogar Komplettpakete für die Reise in ein bestimmtes europäisches Zielland anbieten. Das hat seinen Preis. Allein die Überfahrt über das Mittelmeer kostet dann etwa 2000 Euro – mit Schwimmweste und sicherem Platz an Deck. Afrikaner fahren dagegen häufig unter Deck und zahlen nur etwa 500 Euro.