zum Hauptinhalt
Erdogan und Putin haben sich auf die Einrichtung einer demilitarisierten Zone in der syrischen Provinz Idlib geeinigt.
© Alexander Zemlianichenko/SPUTNIK/AFP

Krieg in Syrien: Die Schlacht um Idlib ist bestenfalls vertagt

Russland und die Türkei haben für die syrische Provinz eine entmilitarisierte Zone vereinbart. Es ist nicht mehr als eine Schonfrist. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Dr. Christian Böhme

Vier Stunden hat Recep Tayyip Erdogan seinen russischen Amtskollegen bearbeitet. Und die Mühe hat sich gelohnt. Für den Präsidenten, aber vor allem für die Menschen in Idlib. Ihnen bleibt zumindest vorerst eine vermutlich mörderische Schlacht gegen das syrische Regime erspart. Der Großangriff ist mit Wladimir Putins Segen vertagt, immerhin. Was der von einer Wirtschaftskrise schwer gebeutelten Türkei wiederum nutzt: Der erwartete Ansturm der Flüchtlinge bleibt wohl erst einmal aus. Das ist Erdogans Erfolg, keine Frage. Doch es dürfte kaum mehr als ein flüchtiger sein. Denn Papier ist willig. 

Gefühlt schon Hunderte Male wurden für Syrien Dinge beschlossen, die eine Eskalation der Gewalt verhindern sollten. Und Hunderte Male hatten derartige Abkommen bestenfalls einige Tage Bestand, wenn überhaupt. Niemand hielt sich an das Vereinbarte, schon gar nicht Machthaber Baschar al Assad. Die wenigen Kampfpausen, die es in den vergangenen Kriegsjahren gab, nutzten seine Einheiten, um sich für die nächsten Gefechte in Stellung zu bringen. Wenn die bitteren Lehren des Konflikts nicht trügen, dann wird es im Fall von Idlib wieder genauso sein.

An Abkommen hält sich in diesem Krieg niemand

Die jetzt in Aussicht gestellte entmilitarisierte Zone rund um die Provinz ist als solche schon ein zynisches Eingeständnis jener, die in Syrien das Sagen haben. Schließlich gehört Idlib bereits zu einer der sogenannten Deeskalationszonen. Das haben der Iran, die Türkei und Russland vor langer Zeit beschlossen. Dennoch blieb die Aussicht auf eine Waffenruhe und humanitäre Hilfe für die vielen Notleidenden ein hohles Versprechen.

Ob in Ost-Ghouta bei Damaskus oder in der südlichen Region Daraa – im Namen der „Terrorbekämpfung“ ließ Assad Bomben auf die Menschen hageln, setzte Giftgas gegen die eigene Bevölkerung ein und riegelte die Gebiete ab, um sie auszuhungern. Widerstand wurde mit brutaler militärischer Macht geboren. Und Russland hat ihm dabei geholfen. Dass sich Putin jetzt als moderater und moderierender Beschwichtiger der Welt präsentiert, kann darüber nicht hinwegtäuschen.

Warum sollte es jetzt Idlib anders ergehen, als dem Rest des in großen Teilen zerstörten Landes? Die Provinz im Norden ist die letzte noch verbliebene Bastion der Opposition. Die will das Regime schleifen. Wenn nicht heute, dann morgen. „Wir können warten“, tönt es selbstbewusst aus Damaskus. Im Klartext heißt das: Die Schlacht mag auf Wunsch anderer verschoben sein. Doch sie kommt auf jeden Fall. Assad hält an der Rückeroberung Idlibs fest – komme was wolle. Letztendlich wird auch Russland ihn davon nicht abhalten. Putin will, dass endlich Ruhe in Syrien herrscht. Dass mit dem Wiederaufbau begonnen wird. Gerne mit Milliarden aus dem Westen. Eine abtrünnige Provinz - vollgestopft mit Dschihadisten - passt da schlecht ins Konzept.

Aber soweit ist es ohnehin noch längst nicht. Bislang weiß nämlich niemand, ob es eine entmilitarisierte Pufferzone um Idlib überhaupt jemals geben wird. Vielleicht lässt sich Assad von seinem russischen Verbündeten auf einen späteren Eroberungstermin vertrösten. Doch was ist mit den Terroristen?

Die Zivilisten in Idlib bleiben ein Spielball der Interessengruppen

Nichts spricht momentan dafür, dass sie gewillt sind, sich zurückzuziehen oder gar ihre schweren Waffen abzugeben. Auch Erdogans Einfluss auf die militanten, fanatischen Kämpfer ist sehr begrenzt. Vor allem die schätzungsweise 10.000 „Gotteskrieger“ der islamistischen Miliz HTS wissen: Idlib wird ihr letztes Gefecht. Gleiches gilt für die ausländischen Extremisten. Es gibt für sie keine Ausweichmöglichkeit mehr. Sie haben deshalb kein Problem, die Zivilisten für ihre Zwecke zu missbrauchen, also die Menschen mit in den Abgrund zu reißen.

Das alles verheißt nichts Gutes für die drei Millionen Syrer, die in Idlib ausharren. Sie bleiben ein Spielball der Interessensgruppen. Ihnen wird jetzt eine Schonfrist zum kurzzeitigen Durchatmen gewährt. Mehr nicht.

Der Tagesspiegel kooperiert mit dem Umfrageinstitut Civey. Wenn Sie sich registrieren, tragen Sie zu besseren Ergebnissen bei. Mehr Informationen hier.

Zur Startseite