Koalitionsvertrag in Thüringen: Die Revolution bleibt aus
Der rot-rot-grüne Koalitionsvertrag in Thüringen setzt nicht auf Revolution, sondern auf pragmatische Reformen. Dazu gehört auch die Gebietsreform, wie sie im übrigen Ostdeutschland längst umgesetzt ist, aber in Thüringen am Beharrungswunsch der CDU scheiterte.
„Ich kann Sie beruhigen: Wir reden nicht über Enteignung und Mauerbau“, sagte Susanne-Hennig-Wellsow mit milder Ironie. Die Landeschefin der Thüringer Linken antwortete so auf die Frage, wie „sozialistisch“ denn die neue Landesregierung werde, die Linkspartei, SPD und Grüne bilden wollen. Nach der Vorstellung des 106 Seiten starken Koalitionsvertrags kann man festhalten: Eine Revolution plant Rot-Rot-Grün in Thüringen tatsächlich nicht.
Im Gegenteil: Das selbst ernannte „Reformbündnis“ ist selbst bei seinen Prestigevorhaben im Bundesvergleich eher Nachzügler als Vorreiter. So soll ein kostenfreies Kita-Jahr eingeführt werden, das es in anderen Bundesländern schon gibt. Allerdings ist – wie bei weiteren kostspieligen Vorhaben, etwa der Neueinstellung von 500 Lehrern pro Jahr – die Finanzierung noch nicht geklärt. Frühestens ab Ende 2016 werden Thüringer Eltern wohl für das erste Kindergartenjahr keine Beiträge mehr zahlen müssen.
Auch die Gebietsreform, die Rot-Rot-Grün bis 2019 umsetzen will, haben andere Ost-Bundesländer wie Sachsen und Sachsen-Anhalt längst hinter sich. Dass Thüringen noch immer recht kleine Landkreise und Gemeinden hat, liegt am Beharrungsvermögen der bisher regierenden CDU. Die hatte auch in der jetzt zu Ende gegangenen Koalition mit der SPD unter Führung von Ministerpräsidentin Christine Lieberknecht eine Gebietsreform stets abgelehnt.
Am 5. Dezember soll Bodo Ramelow als erster linker Ministerpräsident gewählt werden
Nun nähert sich die Macht der CDU nach 24 Jahren dem Ende. Am 5. Dezember soll Bodo Ramelow im Erfurter Landtag zum Ministerpräsidenten gewählt werden, er wäre bundesweit der erste Linken-Politiker in diesem Amt. Während vor allem im Westen der Republik die Rückkehr der SED-Nachfolger an die Macht scharf kritisiert wird, ist man in Thüringen weniger aufgeregt. Schließlich hat das Land die Linke als pragmatische Oppositionspartei erlebt, mit einem sich zuletzt fast schon überparteilich gebenden Ramelow.
Schon in der Präambel des Koalitionsvertrags findet sich die für SPD und Grüne so wichtige Charakterisierung der DDR als „Unrechtsstaat“. Grünen-Landeschef Dieter Lauinger sieht darin „kein Lippenbekenntnis“ der Linken. Rot-Rot-Grün will mit zahlreichen Vorhaben in Zukunft beweisen, dass ihr die SED-Opfer wirklich wichtig sind. Die Linke war nicht nur bei der DDR-Vergangenheit bereit, über ihren Schatten zu springen. Auch bei der Verteilung der Ministerien kam sie mit ihren 28 Prozent Wähleranteil den deutlich kleineren Partnern SPD (12) und Grüne (6) weit entgegen.
„Wir können hier nicht nach dem üblichen Proporz vorgehen“, sagte Landeschefin Hennig-Wellsow. Vielmehr wolle man Partner „auf Augenhöhe“. Entsprechend bekam die SPD die drei Schlüsselministerien Finanzen, Inneres und Wirtschaft. Die Linke wird – neben Ministerpräsident und Chef der Staatskanzlei – ebenfalls nur drei Ministerien übernehmen, nämlich Bildung, Soziales und Infrastruktur. Die Grünen stellen die Minister für Umwelt und Justiz. Die künftigen Minister wurden noch nicht bekannt gegeben. Möglicherweise übernimmt die glücklose SPD-Spitzenkandidatin Heike Taubert, bisher Sozialministerin, das so wichtige Finanzressort und wird damit zur Hüterin des Koalitionsversprechens, keine neuen Schulden zu machen.
Die Spannung ist riesengroß, wird die eine Stimme Mehrheit reichen?
Rot-Rot-Grün hat im Landtag nur die hauchdünne Mehrheit von einem Abgeordneten. Die Spannung ist deshalb riesengroß, ob die Ministerpräsidentenwahl gelingt. Hennig-Wellsow verbreitete Optimismus. „Die Ablösung von Lieberknecht rückt immer näher“, sagte sie. Sie freue sich schon auf den 5. Dezember, an dem Ramelow gewählt werde.
Für dieses Ziel hat die Linke sogar eines ihrer wichtigsten Wahlversprechen kassiert. In einem quasi-revolutionären Akt wollte sie den Thüringer Verfassungsschutz abschaffen. Nun sollen nur noch die V-Leute abgeschaltet werden, Ausnahme ist die Terrorismusbekämpfung. Ob damit der Inlandsgeheimdienst nicht seines wirksamsten Werkzeugs beraubt wird, dürfte freilich noch eifrig diskutiert werden von deutschen Innenpolitikern.
Die Bundes-CDU hatte schon die Vorentscheidung der SPD-Basis zur Aufnahme der Verhandlungen scharf kritisiert. Kanzlerin Angela Merkel hatte mit Blick auf den Bundesrat vor einer möglichen Blockade wichtiger Entscheidungen etwa in der Europapolitik durch die Linke gewarnt. Der Schritt bringe die SPD in eine „geradezu staatspolitisch bedrückende Lage“, sagte sie.