Brexit: Die Regionen trifft es als erste
Bei einem Treffen der europäischen Regionalvertreter zum Brexit herrscht vor allem eins: Verunsicherung. Auch Berlin hat Sorgen.
Zwei Wochen vor dem geplanten Austrittsdatum Großbritanniens ist die Unsicherheit groß. Nicht nur in London und Brüssel ist die Stimmung zunehmend angespannt, auch in den Regionen der Mitgliedsstaaten herrscht Ratlosigkeit.
Während am Donnerstagabend im britischen Unterhaus historische Abstimmungen liefen und die Parlamentarier ein zweites Referendum ablehnten, sprach Brexit-Verhandler Michel Barnier bei einem Treffen der europäischen Regionalvertreter in Bukarest. „Die Situation ist schlimm. Aber wir sind notfalls auf einen harten Brexit vorbereitet und unterschätzen seine Folgen nicht“, sagte er.
Egal, zu welchem Brexit-Szenario es kommt: Die Regionen werden die ersten sein, die die Konsequenzen zu spüren bekommen. Denn zwei Drittel aller EU-Gesetze werden lokal umgesetzt. Wirklich gut vorbereitet fühlt sich bei dem Treffen in Bukarest daher niemand.
Das norddeutsche Bundesland Mecklenburg-Vorpommern macht sich zum Beispiel Sorgen um seine Fischereiindustrie. Denn 90 Prozent der gefangenen Heringe stammen aus britischen Gewässern in der Nordsee, die über 80 Prozent der deutschen Hochseefischerei beliefert.
Ohne Abkommen verlieren die deutschen Fischer das Recht, dort auf Fischfang zu gehen. Und auch Werften sind betroffen, erklärt der Landesabgeordnete Tilo Gundlack gegenüber EurActiv. Mecklenburg-Vorpommern produziert Kreuzfahrtschiffe für den asiatischen Markt. Versichert sind diese allerdings über das in London ansässige Versicherungssystem Lloyd. Wie man das in Zukunft handhaben wird, lässt sich bisher kaum planen, meint Gundlack, und fügt passend hinzu: „Wir fischen völlig im Trüben.“
Ein wenig optimistischer zeigt sich Barbara Hackenschmidt, Abgeordnete im brandenburgischen Landtag. Zwar mache man sich in der Wirtschaft Sorgen – das große Unternehmen BASF sowie viele kleine und mittlere Unternehmen im Bereich Maschinenbau bangen um ihren Absatz im britischen Markt. Einige rechnen sogar mit anfangs bis zu 30 Prozent Einbußen. Auch der britische Triebwerkshersteller Rolls-Royce baue seinen Standort aus, sagt Hackenschmidt gegenüber EurActiv. „Das bedeutet, dass diese Firmen sich überlegen, wo sie den größeren Absatzmarkt finden – und der ist in der EU.“
Berlin befürchtet Rückgang beim Tourismus
Auch im Tourismus dürften die Konsequenzen für Deutschland verkraftbar sein. „In Berlin sieht das ganz anders aus. Die haben viel mehr britische Touristen und werden den Brexit spüren“. Der Stadtstaat, in dem etwa 18.000 der 100.000 Briten in Deutschland leben, bereitet sich bereits vor und will britischen Staatsangehörigen auch nach dem Brexit großzügige Aufenthaltsrechte einräumen, wie der Leiter der Ausländerbehörde verkündet hat.
Weiter im Westen, in Nordrhein-Westfalen, erarbeitet der Landtag ebenfalls ein Brexit-Gesetz. Hier wurde eine Enquete-Kommission eingerichtet, die verschiedene Szenarien des Brexit in NRW aufzeigen soll. Der Schritt dazu kam allerdings recht spät. Die Kommission kam zum erstes Mal im Januar, also zwei Monate vor dem geplanten Brexit zusammen.
Bis der Bericht vorliegt, werde es noch zwei Jahre dauern, sagt Kommissions-Mitglied Romina Plonsker gegenüber EurActiv. „Wir schauen uns eine ganze Reihe von Bereichen an. Wirtschaft, Forschung, Kunst, Städtepartnerschaften, Verbraucherschutz – der Brexit betrifft sie alle.“ Dazu kommen Probleme, an die niemand denkt. „Ein großer Teil unserer Hebammen ist britisch. Werden die dann abwandern?“, fragt Plonsker.
Erschienen bei EurActiv. Das europapolitische Onlinemagazin und der Tagesspiegel kooperieren miteinander.
Florence Schulz