Baltimore nach dem Tod von Freddie Gray: Sechs Polizisten angeklagt - auch wegen Mordes
Sechs Polizisten aus Baltimore müssen sich wegen des Todes des Afroamerikaners Freddie Gray vor Gericht verantworten. Unterdessen liefert ein Zeitungsbericht neue Zahlen zu Polizeigewalt in den USA.
Im Fall des im Polizeigewahrsam gestorbenen Afroamerikaners Freddie Gray müssen sich sechs Polizisten wegen eines Tötungsdelikts verantworten. Staatsanwältin Marilyn Mosby erklärte am Freitag in Baltimore, dass den Beamten unter anderem Mord mit bedingtem Vorsatz und Totschlag vorgeworfen werde. Gray hatte bei seiner Festnahme Mitte April so schwere Verletzungen am Rückenmark erlitten, dass er eine Woche später starb. Die sechs Polizeibeamten wurden bereits zuvor wegen des Vorfalls vom Dienst suspendiert. Auch das US-Justizministerium ermittelt wegen der möglichen Verletzung von Bürgerrechten.
Auf Videoaufnahmen ist zu sehen, wie Polizisten Gray zu Boden drücken, bevor sie den jungen Mann zu dem Polizeitransporter schleifen. Als der Transporter bei der Polizeiwache eintraf, war Gray nicht ansprechbar. Später fiel er im Krankenhaus ins Koma. Grays Rückenmark war nach Angaben der Anwälte seiner Familie am Genick zu 80 Prozent durchtrennt.
Was geschah im Polizeitransporter?
Die Ereignisse im Polizeitransporter sind das entscheidende Puzzlestück zur Aufklärung von Grays Tod. Der lokale Fernsehsender WJLA berichtete unter Berufung auf Polizeikreise, es gebe keine Beweise dafür dass der 25-jährige Afroamerikaner die tödlichen Verletzungen bei der Festnahme selbst erlitten habe. Offenbar habe er sich das Genick gebrochen, als er später gegen das Heck des Polizeitransporters geschleudert sei.
Vergangene Woche hatte Polizeichef Batts bereits eingeräumt, dass Gray auf der Fahrt entgegen der Vorschriften nicht festgeschnallt gewesen sei. Weitere Fragen warf ein am Donnerstag von der Polizei veröffentlichtes Detail auf: Der Transporter soll bei der knapp 40-minütigen Fahrt zur Wache einen bislang nicht bekannten Zwischenstopp eingelegt haben.
Nach Informationen der "Washington Post" könnte sich Gray aber auch selbst verletzt haben. Die Zeitung berichtete unter Berufung auf ein Polizeidokument, dass ein Mithäftling gehört haben will, wie der 25-Jährige "absichtlich versucht habe, sich zu verletzen". Der Häftling saß mit Gray im Transporter, die beiden waren allerdings durch eine Metallwand getrennt.
Landesweite Proteste gegen Polizeigewalt
Seit den Schüssen auf den schwarzen Teenager Michael Brown in der Stadt Ferguson im vergangenen August hat eine Reihe tödlicher Polizeieinsätze gegen Afroamerikaner in den USA für Empörung gesorgt. In mehreren Fällen zeigen von Passanten aufgenommene Videos das brutale Vorgehen der Beamten. Das US-Justizministerium stellte den Polizeibehörden am Freitag 20 Millionen Dollar für die Anschaffung von Körperkameras bereit, die für mehr Transparenz sorgen sollen.
Viele Afroamerikaner sehen Gray als das jüngste Opfer rassistischer Polizeigewalt. In mehreren Städten an der US-Ostküste wie New York und Washington fanden in den vergangenen Tagen Proteste statt. Am Donnerstagabend gingen auch in Philadelphia rund 600 Demonstranten auf die Straße. Für Freitagabend waren dem Nachrichtensender CNN zufolge außerdem Demonstrationen in Chicago, Seattle, Dallas und San Francisco geplant.
In Baltimore hatten sich meist jugendliche Afroamerikaner nach der Trauerfeier für Gray am Montag Straßenschlachten mit der Polizei geliefert. Seitdem patrouilliert die Nationalgarde gemeinsam mit Bereitschaftspolizisten in den Straßen. Baltimores Bürgermeisterin Stephanie Rawlings-Blake verhängte eine nächtliche Ausgangssperre. Sie sagte am Donnerstag, es werde "von Tag zu Tag" über eine Verlängerung entschieden. In der Nacht zum Freitag zeigte das Ausgehverbot erneut Wirkung, in Baltimore blieb es ruhig.
"New York Times": US-Polizei tötet jährlich rund 400 Menschen
Einem Bericht der "New York Times" zufolge sollen Amerikanische Polizisten im Jahr 2013 über 460 Menschen getötet haben. Dabei handele es sich aber lediglich um Fälle, die von der Bundespolizei FBI erfasst worden seien und als juristisch gerechtfertigt gelten. Noch zwischen 2009 und 2012 habe die Zahl zwischen 397 und 426 gelegen. Die Zeitung betonte am Freitag allerdings ausdrücklich, die Erhebungen seien unzureichend. Experten schätzen demnach, dass die Zahl der von der Polizei Getöteten in Wirklichkeit weitaus höher liegt. Inoffizielle Statistiken, die von Freiwilligen geführt würden, gingen von etwa 1100 Toten im Jahr aus - das würde etwa drei Opfer am Tag bedeuten. Unklar ist, wie die Menschen ums Leben kamen - auch die ethnische Zugehörigkeit sei nicht berücksichtigt.
„Tödliche Gewalt durch die Polizei ist ein ständiges Problem“, schreibt die „New York Times“. Dies habe bereits dazu geführt, dass die Polizei im ganzen Land „darüber diskutiert, ob sie ihr Vorgehen und ihr Training ändern muss“.
Die Zahlen sind vor allem vor dem Hintergrund von Berichten über zunehmende Polizeigewalt gegen unbewaffneten Afroamerikaner relevant. Seit Monaten veröffentlichen Medien Videos, die zeigen, wie weiße Beamte ohne Zögern auf Schwarze schießen oder sie misshandeln. .