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Scherben von zertrümmerten Scheiben einer Bushaltestelle vor der Alten Oper nach der Randalenacht in Frankfurt.
© dpa

Randale in Corona-Zeiten: Die Polizei als Feindbild

Nach Stuttgart und Frankfurt: Sozialforscher sehen verschiedene Faktoren für die Randale. Die Corona-Auflagen könnten verstärkend wirken.

Erst Stuttgart, dann Frankfurt. Kein Schritt war mehr möglich, ohne in Glasscherben zu treten. So schildern es Augenzeugen, so sah es am Opernplatz in Frankfurt am Main nach der Krawallnacht aus, die es laut Polizei in dieser Form nur selten gegeben hat. Die Bilanz: fünf verletzte Polizisten, 39 vorläufige Festnahmen. Und die Frage: Wie ist es möglich, dass eine Partynacht so eskaliert, dass Jugendliche offenbar völlig grundlos auf Polizisten losgehen?

Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) will nun genau das untersuchen lassen. „Wir erleben einen Trend, der davon geprägt ist, Gewalt gegen Polizeibeamte auszuüben - und dafür von umstehenden Passanten noch angefeuert zu werden“, sagte er dem „Münchener Merkur“. Das seien keine Einzelfälle mehr. In Deutschland reden ja gerade viele über Polizei-Studien. „Wir bräuchten nach meiner Überzeugung eine Studie über Gewalt gegen Polizeibeamte.“

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Ein „Hagel an Flaschenwürfen“ sei auf die Polizisten niedergeprasselt, sagte der Frankfurter Polizeipräsident Gerhard Bereswill. "Damit ist eine neue Stufe der Gewalt erreicht." Dabei hätten die Beamten „deeskalierend“ gehandelt, als die 17- bis 24-jährigen Männer – nur eine Frau soll beteiligt gewesen sein – ausgerastet seien. Etwa 500 bis 800 Anwesende hätten sogar gejubelt und die Angreifer angefeuert.

Schaulustige, die Randalierer anfeuern

Sicherheitsdezernent Markus Frank spricht von „feigen Übergriffen“. Die Ermittlungen würden derzeit „intensiv geführt“, heißt es aus dem Frankfurter Polizeipräsidium. Aktuell liege gegen acht der 39 Festgenommenen ein konkreter Tatverdacht vor. Bei den weiteren 31 Personen werde geprüft, welche Art der Beteiligung vorliegt. Zu der Aussage des Polizeipräsidenten, es handele sich überwiegend um Täter „mit Migrationshintergrund“, wollte sich das Präsidium auf Tagesspiegel-Anfrage nicht näher äußern.

Fakt ist: Die Party am Opernplatz ist vorerst vorbei. Freitags und samstags darf von nun an niemand mehr ab 0 Uhr die Fläche betreten, ab 1 Uhr ist das Areal komplett gesperrt. So die unmittelbaren Maßnahmen der Stadt. Doch wie konnte es überhaupt so weit kommen? Hat es etwas mit Corona zu tun?

Sozialpsychologe sieht Zusammenhang mit Corona-Auflagen

„Normalerweise wären die Gruppen in Clubs und Bars verteilt“, sagt Andreas Zick, Sozialpsychologe und Leiter des Instituts für interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung an der Universität Bielefeld. Im Zuge der Pandemie seien die gewohnten Aufenthaltsorte für Jugendliche weggefallen, sie hätten sich neue Räume in der Öffentlichkeit erobert, „in denen es noch keine fest etablierten Normen und Ordnungen gibt“. Diese Freiräume seien auch attraktiv für „Menschen, die in Unruhe und Aggression ein Erlebnis suchen“.

Ein weiterer Aspekt seien negative Einstellungen gegenüber der Polizei, womöglich auch die aktuellen Rassismus-Vorwürfe. „Das Feindbild wird dann zur Legitimation der Gewalt noch verstärkend herangezogen.“

Ein Feindbild, das auch Jochen Zeng von der Gewerkschaft der Polizei in Hessen Sorge bereitet. „Die Gewaltdimension ist leider nicht neu“, sagt der Beamte, der ein „gesamtgesellschaftliches Problem“ sieht. Auch gegen andere Sicherheitskräfte wie Rettungsdienste oder Feuerwehr gebe es immer wieder Angriffe. Warum das so sei, müsse noch näher erforscht werden.

Der Frankfurter Polizeipräsident Gerhard Bereswill ist entsetzt über die neue Dimension der Gewalt.
Der Frankfurter Polizeipräsident Gerhard Bereswill ist entsetzt über die neue Dimension der Gewalt.
© dpa

Eine bestimmte Gruppe als Verursacher sieht Zeng nicht. Im Fall Frankfurt gebe es auch keine organisierten Strukturen oder direkten Verbindungen zu den Taten in Stuttgart. Die Stimmung am Opernplatz sei „aufgeheizt“ gewesen. Aber daraus könne man nicht ohne Weiteres einen direkten Zusammenhang zu den Anti-Rassismus-Demonstrationen in den USA stricken.

Diesen hatte zuvor Polizeipräsident Bereswill hergestellt. Die Vorgänge in den Vereinigten Staaten würden „eins zu eins auf die deutsche Polizei quasi übertragen“, sagte Bereswill dem Sender hr-Info.

Sozialpsychologe Andreas Zick gibt zu bedenken, dass es keine eindeutige Erklärung für die Gewaltausbrüche gebe. Er lenkt auch den Blick auf die vielen Anwesenden, die „zugeguckt, gefilmt und nichts getan“ hätten, „als klar war, dass hier Gewalt den Raum beherrscht“. Dieses Phänomen sei nicht mit einem bestimmten Migrationshintergrund erklärbar – wie auch immer man diesen definieren wolle.

Fehlender Respekt vor dem deutschen Staat?

Die kriminologische Forschung liefere zudem keine eindeutigen Ergebnisse zum Einfluss kultureller Prägung auf kriminelles Handeln. Zick plädiert deshalb für „genauere und bessere Ursachenanalysen“ und sagt: „Wer jetzt auf den Migrationsfaktor setzt, wird am Ende nicht viel für eine bessere Prävention beitragen können.“

Niedersachsens Innenminister Boris Pistorius (SPD) hatte schon nach den Krawallen in Stuttgart betont, dass es bei bestimmten Gruppen einfach keinerlei Respekt mehr vor staatlichen Organen gebe. "Es gibt bei einigen Gruppen geradezu Hass gegen den Staat und dessen Vertreter. Das haben wir auch schon vor Corona gesehen, und es könnte sich jetzt durch die Einschränkung der persönlichen Freiheiten in der Pandemie noch einmal verstärkt haben", sagte er dem Tagesspiegel.

Fatima Abbas

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