Niedersachsens Innenminister zur Gewalt gegen Polizisten: „Es gibt bei einigen geradezu Hass gegen den Staat und dessen Vertreter“
Niedersachsens Innenminister Pistorius über die Randalierer von Stuttgart, Hass auf Beamte und Rassismusvorwürfe gegen Sicherheitskräfte.
Herr Pistorius, nach den Ausschreitungen in Stuttgart haben viele Innenpolitiker sofort nach Videoüberwachung oder einem lokalen Alkoholverbot gerufen. Schlägt da der Law-and-order-Reflex durch – bevor man sich anschaut, was dort wirklich zu den Ausschreitungen geführt hat?
Die Entrüstung über die Randale ist berechtigt, und ich teile sie. Die sinnlose Gewalt gegen Polizei muss einen erschrecken. Das wäre durch Videoüberwachung aber nicht verhindert worden. Auch beim Alkoholverbot wäre fraglich, was das auslösen könnte in einem Land, das zu Recht auf seine großen individuellen Freiheitsrechte stolz ist. Klar ist: Für voreilige Schlüsse ist das Thema zu sensibel und umfassend. Die Ursachen sind im Zweifel komplexer. Was mich wirklich besorgt, ist, dass die Polizei in Deutschland seit einiger Zeit offenbar verstärkt zum Prellbock für all das wird, wenn sich irgendwo Frust aufstaut.
Sie sind seit sieben Jahren Innenminister in Niedersachsen. Hat sich das in diesem Zeitraum verschärft?
Widerstand bei Festnahmen hat es immer gegeben. Seit einiger Zeit neu ist aber, dass Polizisten im Rahmen ihrer Dienstausübung von Dritten angegriffen werden. Dass sich plötzlich Personen gegen die Polizei solidarisieren, die mit dem eigentlichen Einsatz gar nichts zu tun hatten. So war es ja auch in Stuttgart. Neu ist außerdem, dass sie auch mal in ihrer Freizeit etwa in der Disco erkannt und dann wegen ihres Berufs attackiert werden. Solche Fälle hatten wir in Niedersachsen. Andererseits ist diese Ablehnung aber auch kein flächendeckendes Phänomen: 85 Prozent der Menschen haben volles Vertrauen in die Polizei. Aber es gibt bei einigen Gruppen eben geradezu Hass gegen den Staat und dessen Vertreter. Das haben wir auch schon vor Corona gesehen, und es könnte sich jetzt durch die Einschränkung der persönlichen Freiheiten in der Pandemie noch einmal verstärkt haben.
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Einige sehen einen Zusammenhang zwischen dem Tod von George Floyd in den USA und den Ausschreitungen gegen die Polizei in Stuttgart. Sie auch?
Keinen unmittelbaren. Dafür setzte sich die Gruppe der Täter zu unterschiedlich zusammen. Und ich bezweifle auch, dass unter ihnen viele den schlimmen Artikel in der „taz“ über die Polizei gelesen haben. Aber wir erleben seit dem Tod von George Floyd gelegentlich, das Menschen sich bei Einsätzen durch die aus den USA bekannten Slogans und Ausrufe darauf beziehen. Unabhängig davon ist es sehr gut, dass der Tod von George Floyd auch in Deutschland gesellschaftlich eine Debatte über Rassismus ausgelöst hat. Teils führt das allerdings dazu, dass einige die deutsche Polizei auf eine Stufe stellen mit der US-amerikanischen. Bei allen Fehlern – ich ärgere mich zum Beispiel noch immer über das katastrophale Agieren der Sicherheitsbehörden bei den NSU-Morden – das lässt sich nicht vergleichen. Was in den USA an Polizeigewalt regelmäßig vorkommt, ist mit Deutschland in keiner Weise vergleichbar.
Was ist in Deutschland anders?
Polizeigewalt spielt in Deutschland eine signifikant kleinere Rolle. Wenn es tatsächlich rassistisch motiviertes Fehlverhalten gibt, schreiten wir ein. Solche Fälle passieren,bei uns deutlich weniger als anderswo, weil wir diese Fragen in Aus- und Fortbildung frühzeitig aufgreifen, im Alltag dagegen vorgehen und wir in den meisten Bundesländern eine Ausbildung auf Hochschulniveau mit Bachelorabschluss haben. Ich glaube, dass die undifferenzierte Debatte, nicht zuletzt über soziale Netzwerke und ähnliche Kanäle, leider auch dazu beigetragen hat, dass sich die Stimmung gegen die Polizei hochgeschaukelt hat.
Auch Ihre Parteivorsitzende Saskia Esken hat nach dem Tod von George Floyd auf latenten Rassismus in der Polizei hingewiesen. Für die Äußerungen gab es massiven Gegenwind und Kritik auch aus der eigenen Partei. Warum spricht die SPD beim Thema Polizei nicht mit einer Stimme?
Die SPD-Mitglieder und -Wähler haben ein völlig unbelastetes und von großem Vertrauen geprägtes Verhältnis zur Polizei. SPD-Wähler waren immer Menschen, die um die Bedeutung der Polizei für die hart arbeitende, regeltreue Bevölkerung wussten. Dass es bei einzelnen Gruppen wie den Jusos Vorbehalte gegen die Polizei gibt, ist nicht neu. Auch Saskia Eskens Äußerungen waren nicht glücklich. Ich hatte sie aber eingeladen, die Polizeiakademie bei uns in Nienburg zu besuchen – danach hat sie, glaube ich, einiges in einem anderen Licht gesehen.
Wenn man sich die Umfragen anschaut, trauen viele Bürger der SPD nicht zu, beim Thema innere Sicherheit die besten Antworten zu geben. Woran liegt das?
Unsere politischen Schwerpunkte liegentraditionell eher woanders. Trotzdem sage ich immer: Innere Sicherheit ist kein Thema, mit dem man Wahlen gewinnt, aber man kann sie wegen innerer Sicherheit verlieren, wenn es schlecht läuft. Und SPD kann „Innere Sicherheit”: Ich erinnere an Otto Schily. In den Ländern, in denen die SPD den Innenminister stellt, sind unsere Kompetenzwerte in dem Bereich sehr gut. Wir sollten das Thema noch weiter in den Fokus stellen, denn Sicherheit ist ein existenzielles Bedürfnis der Menschen. Darum kümmert sich die SPD, unabhängig vom Geldbeutel.
Bei den Linken gab es ebenfalls Diskussionen, weil sich der Linksfraktionschef Dietmar Bartsch nach den Stuttgart-Randalen demonstrativ vor die Polizei gestellt hat. Das haben ihm einige Parteifreunde sehr übel genommen. Warum tut man sich im linken politischen Spektrum schwer mit dem Verhältnis zur Polizei?
Daran sehen Sie ja, dass das nicht generell gilt für das linke Spektrum. Da, wo es anzutreffen ist, hat es auch geschichtliche Gründe. Die Polizei in der Weimarer Republik war tendenziell rechts. Von 33 bis 45 war die Polizei der verlängerte Arm der Nazis. Die Polizei von heute hat nichts gemein mit der Polizei von damals. Aber insbesondere am linken Rand ist es in manchen Köpfen immer noch so verankert, dass die Polizei nicht der Freund sein kann und man ihr nicht vertraut. Dabei ist die Polizei Garant für Freiheit und Demokratie in unserem Land. Deswegen ärgere ich mich auch so, wenn Polizisten eine rechte Demo schützen und linke Gegendemonstranten skandieren, dass die Polizei Faschisten beschütze. Dabei schützen die Polizisten die Versammlungsfreiheit, und zwar für jeden in diesem Land! Solche Parolen produzieren Hass und Abneigung gegen Polizisten.
Was macht das mit den Beamten?
Sie fühlen sich missverstanden und falsch verdächtigt. Den allermeisten jungen Polizisten, mit denen ich spreche, geht es um die Freude an der Verantwortung und am Helfen. Die brennen für diesen Job. Die trifft das wirklich, wenn sie pauschal des Rassismus verdächtigt werden oder für rechts gehalten werden. Die Gefahr ist, wenn diese Entwicklung nicht gebremst wird, dass sie sich weggestoßen fühlen von der Mitte der Gesellschaft. Das darf nicht passieren!
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Trotzdem gibt es auch berechtigte Kritik an der Polizei und Berichte über Rechtsradikalismus in den Sicherheitsbehörden. Was muss sich ändern?
Ich finde es wichtig, dass es einen Anlaufpunkt gibt, wenn man sich ungerecht behandelt fühlt. Wir haben in Niedersachsen eine unabhängige Beschwerdestelle – dahin können sich Bürgerinnen und Bürger, aber auch Polizisten selbst wenden. Wir wollen zudem durch unser Projekt „Polizeischutz für die Demokratie“ die Polizei für Anbiederungen von rechtsaußen immun machen. Wir stellen 15 Prozent Männer und Frauen mit Migrationsgeschichte an und knapp 40 Prozent Frauen. Da wächst schon seit Jahren eine neue Generation an Polizisten heran. Und wo es den viel beschworenen Korpsgeist in der Polizei trotzdem noch gibt, da muss er verschwinden. Auch dadurch, dass die Neuen das nicht akzeptieren und intern thematisieren. Sie wissen, dass so etwas der Polizei schadet.
Es gibt aber genug Nicht-Weiße Menschen in Deutschland, die bereits schlechte Erfahrungen mit der Polizei gemacht haben. Wie lässt sich dieses Misstrauen abbauen?
Durch Dialog, Transparenz und Offenheit. Und durch Konsequenz in den entsprechenden Fällen. Niemand soll schlechte Erfahrungen mit der Polizei machen. Jeder Fall ist einer zu viel und muss uns anspornen, das zu verhindern. Aber wir müssen uns auch die Frage stellen: Wie erfolgreich ist unsere Integrationspolitik und wie integrationsbereit sind wir als aufnehmende Gesellschaft? Wenn zum Beispiel jemand, der hier in zweiter Generation lebt, sich noch immer fühlt, als ob er nicht dazu gehört und nicht anerkannt wird – dann hat er im Zweifel auch eher das Gefühl, dass staatliche Organe ihn anders behandeln. Da haben wir als Gesellschaft noch einen langen Weg vor uns.
Boris Pistorius (60) ist seit Februar 2013 Minister für Inneres und Sport in Niedersachsen. Zuvor war der SPD-Politiker Bürgermeister von Osnabrück.
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