Urteil zum Mord im Tiergarten: Die Politik des Beschwichtigens muss nun enden
Der Mord im Tiergarten wird durch das Urteil endgültig zu einer schweren Last für die deutsch-russischen Beziehungen. Die Ampel muss reagieren. Ein Kommentar.
Diese drei Schüsse hallen lange nach. Der Mord an einem Georgier im Kleinen Tiergarten in Berlin 2019 ist viel mehr als ein spektakulärer Kriminalfall. Nun hat das Berliner Kammergericht bestätigt, wovon die Bundesanwaltschaft bereits ausging: Hinter dem Auftragsmord steht der russische Staat. Damit wird die Tat endgültig zu einer schweren Belastung für die deutsch-russischen Beziehungen – und zum Problem für die neue Bundesregierung.
Deren Vorgänger hatten sich entschieden, auf Zeit zu spielen. Obwohl investigative Journalisten die Spur zu Moskaus Geheimdiensten akribisch dokumentiert hatten, obwohl die Bundesanwaltschaft sehr deutlich auf eine Beteiligung staatlicher russischer Stellen hingewiesen hatte, hielt sich die Regierung von Angela Merkel mit einer politischen Bewertung zurück. Man wolle erst das Gerichtsurteil abwarten, hieß es. Das Auswärtige Amt erklärte einige Monate nach der Tat zwei Mitarbeiter der russischen Botschaft, die für Moskaus Nachrichtendienste tätig gewesen sein sollen, zu unerwünschten Personen. Doch der Grund dafür war nicht die Tat selbst, sondern die mangelnde Kooperation Russlands in den Ermittlungen.
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Der nun wegen Mordes verurteilte russische Staatsbürger war mit einer falschen Identität unterwegs, seine sorgfältig erstellte Legende wäre ohne die Mithilfe staatlicher Stellen gar nicht zustande gekommen. Das Mordopfer hatte in Tschetschenien gegen die russische Armee gekämpft, Russlands Präsident Wladimir Putin bezeichnete den Georgier nach der Tat als Terroristen und als Mörder. Schon viele Jahre zuvor hatte Putin sich vom Parlament genehmigen lassen, Terroristen und andere Staatsfeinde außerhalb der Grenzen des eigenen Landes verfolgen und töten zu lassen.
Ein ungeheuerlicher Vorgang, der die Souveränität der Bundesrepublik berührt
Durch das Zögern der alten Bundesregierung hat Deutschland vielleicht den richtigen Moment verpasst, angemessen auf den Auftragsmord zu reagieren. Dennoch gerät nun die neue Bundesregierung in Zugzwang. Nach dem Anschlag auf den russischen Ex-Spion Sergej Skripal in Großbritannien, bei dem der chemische Kampfstoff Nowitschok verwendet worden war, wies das Auswärtige Amt vier russische Geheimdienstler mit Diplomatenpass aus. Auch die meisten anderen europäischen Länder zeigten mit ähnlichen Maßnahmen ihre Solidarität mit Großbritannien.
Zwar wurde in Berlin kein chemischer Kampfstoff eingesetzt, doch die tödlichen Schüsse in der Hauptstadt können nicht folgenlos bleiben. Da wird es dieses Mal kaum reichen, nur zwei Diplomaten auszuweisen, wie am Mittwoch geschehen, und dann zur Tagesordnung überzugehen.
Denn dass Russlands Geheimdienste mitten in Berlin einen ihrer Gegner erschießen lassen, ist ein ungeheuerlicher Vorgang, der die Souveränität der Bundesrepublik berührt. Zugleich zeigt dieser Fall, mit was für einem aggressiven Staat wir es zu tun haben. Das sollte denjenigen in Deutschland eine Lehre sein, die glauben, mit ein bisschen mehr Dialog lasse sich das angeschlagene Verhältnis zu Russland irgendwie kitten. Mordanschläge auf Gegner des Kremls in mehreren Staaten, die versuchte Beeinflussung von Wahlen in westlichen Demokratien und Moskaus Krieg gegen die Ukraine sprechen eine deutliche Sprache.
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Die neue Bundesregierung sollte die Zäsur ihres Amtsantrittes nutzen, die gesamte Russlandpolitik auf den Prüfstand zu stellen. In welchen Bereichen funktioniert die Zusammenarbeit trotz aller Differenzen einigermaßen? An welcher Stelle ist eine Neujustierung der Beziehungen oder zumindest des Tons nötig? Nicht nur im Zusammenhang mit dem Mordfall in Berlin hat sich die alte Bundesregierung für einen Kurs des Beschwichtigens gegenüber Russland entschieden. Auch im Ukraine-Konflikt riefen die Deutschen stets beide Seiten zur Deeskalation auf, ohne zwischen dem Aggressor und dem Angegriffenen zu unterscheiden. Der russische Truppenaufmarsch an der Grenze zur Ukraine und der Stillstand in den Verhandlungen zeigen, dass auch diese Strategie gescheitert ist. Die neue Regierung muss die Dinge beim Namen nennen und die Politik des Beschwichtigens beenden.
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