Ein Jahr Belarus-Proteste: Die Opposition kämpft – Lukaschenko droht
Ein Jahr nach Beginn der Massenproteste traut sich im autoritär geführten Belarus kaum noch jemand auf die Straße. Die Opposition will trotzdem nicht aufgeben.
Zum Jahrestag der weithin als gefälscht geltenden Präsidentenwahl in Belarus hat sich die Demokratiebewegung des Landes trotz aller Rückschläge kämpferisch gezeigt. „Vor einem Jahr am 9. August hat Belarus eine Wahl getroffen“, sagte Oppositionsführerin Swetlana Tichanowskaja in einer am Montag veröffentlichten Videobotschaft. „Auch ich habe diese Wahl getroffen. Und ich bin bereit, dafür Verantwortung zu tragen“, sagte die 38-Jährige, die viele als wahre Siegerin der Abstimmung sehen.
Anfängliche Hoffnungen, dass Belarus nach der Abstimmung bereits „an der Schwelle zu einem neuen, freien Leben“ stehe, hätten sich mittlerweile zerschlagen, erklärte Tichanowskaja, die ins EU-Land Litauen geflohen ist. „Mittlerweile wissen wir, dass auf eine Nation, die sich entschieden hat, frei zu sein, viel Arbeit wartet.“
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Die Opposition hat viele Enttäuschungen und Niederlagen einstecken müssen in den vergangenen zwölf Monaten. Gegen die Massenproteste, denen sich in den Monaten nach der Wahl teils Hunderttausende Menschen anschlossen, gingen die autoritären belarussischen Behörden so brutal vor, dass sich nun fast niemand mehr auf die Straße traut. Die weiß-rot-weißen Fahnen des Widerstands sind etwa in Minsk weitgehend aus dem Stadtbild verschwunden.
Der oft als „letzter Diktator Europas“ kritisierte Alexander Lukaschenko scheint längst wieder recht fest im Sattel zu sitzen - nicht zuletzt dank der kräftigen Finanzspritzen aus Russland. Am Jahrestag der Wahl ließ er sich als Verteidiger der belarussischen Unabhängigkeit feiern. Vor handverlesenen Bürgern, Staatsvertretern und Journalisten sprach der 66-Jährige mehr als sechs Stunden lang unter anderem über angebliche westliche Verschwörungen gegen sein Land. Dem ein oder anderen fielen dabei im Publikum schon mal zwischendurch kurz die Augen zu.
Oppositionelle fühlen sich selbst im Ausland nicht sicher
Die nach Polen geflohene Olympia-Sportlerin Kristina Timanowskaja stellte er als Marionette des Westens dar. Und in den international vielbeachteten Tod des belarussischen Exil-Aktivisten Witali Schischko - „Wer ist das überhaupt?“ - sei sein Staatsapparat natürlich nicht verwickelt, betonte er. Die Opposition betrachtet beide Fälle als Beleg dafür, dass sich Belarussen auch im Ausland nicht mehr sicher fühlen können vor Lukaschenkos autoritären Behörden.
Lukaschenko nutzte seinen live im Staatsfernsehen übertragenen Auftritt im Unabhängigkeitspalast in Minsk auch, um einmal mehr seine Wut über westliche Sanktionen gegen sein Land zu äußern. Im Falle neuer Strafen drohte er mit Gegenmaßnahmen. „Sie bringen uns in eine solche Situation, dass wir reagieren müssen. Und wir reagieren“, sagte er. Etwa zeitgleich weitete Großbritannien seine Strafmaßnahmen aus und zielte dabei unter anderem auf die für die Ex-Sowjetrepublik wichtige Kaliindustrie sowie auf Ölprodukte.
Erneut blieb der Langzeitherrscher vage, als es um die Frage ging, wie lange er noch im Amt bleiben werde. „Bald, sehr bald“ werde er seinen Stuhl räumen, versicherte er - nur, um im gleichen Atemzug zu erklären, dass er sich nicht vorstellen könne, schon jetzt in Rente zu gehen. Bei der nächsten Präsidentenwahl wolle er nicht mehr kandidieren, sagte er - ließ aber offen, ob er dann die Besetzung anderer Ämter anstrebe.
Derzeit lässt Lukaschenko, der sich vor einem Jahr mit 80,1 Prozent der Stimmen zum Sieger hatte erklären lassen, eine neue Verfassung ausarbeiten. Diese soll weniger Befugnisse für den Präsidenten enthalten. Die Opposition hat das als Farce bezeichnet.
Einmal forderte die Demokratiebewegung um Swetlana Tichanowskaja Neuwahlen in Belarus. Sie erinnerte an mehr als 600 politische Gefangene, Zehntausende Festnahmen und mehrere Tote bei den Protesten. Immer wieder beklagen Menschenrechtler außerdem Folter in den belarussischen Gefängnissen, Menschen veröffentlichen Fotos ihrer mit Blutergüssen übersäten Körper.
Neue Straßenproteste werde es in absehbarer Zeit nicht geben, sagte Tichanowskaja der Deutschen Presse-Agentur. Der Preis dafür wäre zu hoch, erklärte die Bürgerrechtlerin, die damals anstelle ihres inhaftierten Ehemanns Sergej bei der Wahl kandidierte. „Es hat schon genug Opfer gegeben, zu viele zerstörte Leben.“ (dpa)
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