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Mit ausgestrecktem Zeigefinger: Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU).
© Jonathan Borg/AP/dpa
Update

Seehofer und die Gamerszene: „Die Neunziger wollen ihre Killerspiel-Debatte zurück“

Der Attentäter von Halle inszenierte seine Tat im Internet wie ein Videospiel. Der Innenminister äußert sich zum Thema - und erntet Kritik aus CSU und SPD.

Nach dem Terroranschlag von Halle hat Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) davor gewarnt, dass Rechtsextremisten Gaming-Plattformen für ihre Zwecke nutzen. „Wir sehen, dass Rechtsextremisten das Internet und auch Gaming-Plattformen als Bühne für ihre rechtswidrigen Inhalte missbrauchen“, erklärte Seehofer am Sonntag.

„Das Problem ist sehr hoch. Viele von den Tätern oder den potenziellen Tätern kommen aus der Gamerszene“, sagte Seehofer in einem ARD-Interview. Manche nähmen sich Simulationen geradezu zum Vorbild. „Man muss genau hinschauen, ob es noch ein Computerspiel ist, eine Simulation oder eine verdeckte Planung für einen Anschlag. Und deshalb müssen wir die Gamerszene stärker in den Blick nehmen“, sagte er weiter.

Für seine Äußerungen zur Gamerszene erntet Seehofer nun heftige Kritik aus den Reihen der eigenen Partei und der Bundesregierung. CSU-Vize Dorothee Bär, die auch Staatsministerin für Digitalisierung im Kanzleramt ist, sagte am Montag nach Teilnehmerangaben in einer CSU-Vorstandssitzung in München, in Bayern und Deutschland werde viel für die Games-Förderung gemacht. Ohne Seehofer beim Namen zu nennen, sagte Bär, das lasse man sich nicht mit „einem Satz“ kaputtmachen. Das wäre so, wie wenn man „mit dem Arsch“ einreiße, was man jahrelang aufgebaut habe, fügte sie hinzu.

Auch SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil kritisierte Seehofer für seine Aussage zur Gamerszene scharf. „Das Problem heißt Rechtsextremismus, nicht Gamer oder sonst was“, sagte Klingbeil am Montag in Berlin. „Diese Debatte halten wir für absolut falsch.“

Klingbeil warf den Behördenspitzen, konkret dem Innenminister und dem Verfassungsschutz, auch vor, nicht zu erkennen, dass es eine reale Bedrohung von rechts gebe. „Es gibt ein Problem mit Rechtsterrorismus in Deutschland - und das muss angegangen werden“, forderte er. Die AfD und andere hätten das gesellschaftliche Klima verändert und den Täter von Halle dadurch auch „munitioniert“.

Attentäter war in Gamerszene unterwegs

Der Attentäter von Halle war in der Gamerszene unterwegs. Vor dem Terroranschlag hatte er einen Ablaufplan veröffentlicht, der wie eine verschriftlichte Version eines Computerspiels wirkt. Die Tat selbst hatte er über eine Helmkamera live im Internet übertragen. Thüringens Verfassungsschutzchef Stephan Kramer nannte im Tagesspiegel-Interview Teile der Szene eine Plattform für Rechtsextremisten, „um sich zu vernetzen und um sich gegenseitig in ihrem Hass zu bestärken, zu messen und zu motivieren. Alles vom Sofa zu Hause aus“.

Die Sendung „Bericht aus Berlin“ verbreitete den Auszug des Seehofer-Interviews zur Gamerszene über Twitter. Seehofer sah sich danach deutlicher Kritik ausgesetzt. Unter anderem wurde ihm auf Twitter vorgeworfen, damit vom Problem des Rechtsextremismus abzulenken, das Thema zu verengen und Gamer unter Generalverdacht zu stellen.

Nutzer schrieben, Seehofer lenke mit seiner Wortmeldung vom Problem des Rechtsextremismus ab und stelle Gamer unter Generalverdacht. „Die Neunzigerjahre haben angerufen und wollen ihre Killerspiel-Debatte zurück. Ernsthaft: Digitaler Rechtsextremismus ist ein riesen Problem“, kommentierte der FDP-Innenpolitiker Konstantin Kuhle. Einige User verwiesen darauf, dass auch die Bundeswehr Schieß-Simulatoren für die Ausbildung nutzt.

Der Autor Mario Sixtus stimmte auf Twitter zu, dass man über Gamer reden müsse, die rechte Attentäter feierten. Er schrieb aber: „Wenn ausgerechnet dieser Innenminister den Fokus auf die Gamerszene lenken will, ist es mindestens naheliegend, anzunehmen, er tut das, um die Rechtsextremen auf der Straße und in den Salons weiterhin genauso totschweigen zu können wie bisher.“

Die Grünen-Bundestagsabgeordnete Renate Künast mahnte, man solle genau hinsehen. „Und uns nicht über das Wort Gamerszene von Seehofer in die Irre leiten lassen. Um die geht es nämlich nicht.“ Ähnlich äußerte sich der FDP-Vorsitzende Christian Lindner auf Twitter: „Mir fallen so viele Maßnahmen ein, die ergriffen werden sollten, um gegen Rechtsextremismus vorzugehen - Die Gamerszene unter Generalverdacht zu stellen, ist keine davon.“

„Games so wenig die Ursache für Gewalt wie Bücher oder Filme“

Felix Falk, Geschäftsführer des Bundesverbands Game, erklärte: „Eigentlich müsste jedem längst klar sein: So wenig wie man Filme oder Bücher für Hass und Gewalt verantwortlich machen kann, so wenig sind Games und ihre Community hierfür die Ursache. Stattdessen haben wir in Deutschland ein beängstigendes Problem mit Rechtsextremismus.“ Auch der eSport-bund Deutschland steht den Aussagen von Seehofer skeptisch gegenüber und sprach sich für eine Solidarisierung der Gamerszene aus.

Die Extremismus-Forscherin Julia Ebner von der Londoner Denkfabrik Institute for Strategic Dialogue warnt davor, die Gamerszene allein in den Fokus zu rücken. Ebner hat den Anschlag im neuseeländischen Christchurch, bei dem ein Rassist im März dieses Jahres Dutzende Gläubige in einer Moschee tötete, studiert. Auch er übertrug seine Tat live im Internet.

Die Lücke zwischen On- und Offline ist längst überbrückt

Die Vorstellung, dass das Internet ein von der realen Welt getrennt existierender Ort sei, sei durch den Anschlag von Christchurch eindeutig infrage gestellt worden, schreibt Ebner in einem Gastbeitrag für Tagesspiegel Background Digitalisierung und KI. Der Anschlag habe die virtuelle Welt nicht etwa in eine erweiterte Augmented Reality verwandelt, sondern vielmehr in eine mindere Version der Wirklichkeit.

Die Lücke zwischen On- und Offline mithilfe von Features wie Geotagging, Gesichtserkennung und der Nachrichtengewinnung aus frei verfügbaren, offenen Quellen (Open Source Intelligence, OSINT) zu überbrücken, hat sich für Regierungen, Privatunternehmen und digitale Bürger als nützlich erwiesen, schreibt Ebner. Phänomene wie Doxing (unfreiwillige Veröffentlichung privater Daten) und live gestreamter Terrorismus zeigten hingegen auf, welche Gefahren mit dieser neuen Synthese einhergehen. Im Falle von Anschlägen wie in Christchurch werde eine Gamifizierung und Internetkultur mit einem „Do-It-Yourself”-Terrorismus verknüpft, so Ebner.

Seehofer: „Rechtsextremisten überall bekämpfen, wo sie aktiv sind“

Innenminister Seehofer präzisierte seine Position am Sonntag auf Twitter: „Wir prüfen derzeit alle Facetten, wie Rechtsextremismus besser bekämpft werden kann“, unterstrich er. Wir sehen, dass Rechtsextremisten das Internet und auch Gaming-Plattformen als Bühne für ihre rechtswidrigen Inhalte missbrauchen. Ob analog oder digital: Wir wollen Rechtsextremisten überall dort bekämpfen, wo sie aktiv sind.“

Rückendeckung erhielt er vom Präsidenten des Thüringer Verfassungsschutzes. Kramer sagte dem Tagesspiegel, eine wichtige Rolle für Rechtsextremisten in der Szene spielten „Shooter-Spiele“. „Hier entsteht für den entsprechenden Personenkreis, durch die Mischung von Hass, Gewalt, Maskulinität und Sexualität, ein Treibhaus zur Befriedigung und weiteren Radikalisierung.“ Kramer, früher Generalsekretär des Zentralrats der Juden in Deutschland, wird nach eigenen Angaben selbst von Antisemiten bedroht.

Geheimdienst soll auch in geschlossene Foren eindringen dürfen

Neben dem Zugang zu verschlüsselten Messenger-Diensten wie Telegram oder Signal hat das Bundesinnenministerium bei seinen Überlegungen für eine Reform des Verfassungsschutzgesetzes auch Foren im Blick, in denen sich Gamer austauschen. Das Bundeskriminalamt kann sich heute schon hier in schweren Fällen Zutritt verschaffen. Dem Verfassungsschutz ist das bisher verwehrt.

Der Entwurf für die Gesetzesnovelle ist aktuell noch Gegenstand von Diskussionen zwischen dem Innenressort und dem Justizministerium. Verfassungsschutz und Bundespolizei müssten Online-Durchsuchungen durchführen können, um auf Daten von Terroristen, Extremisten und Kriminellen im Netz zugreifen zu können“, bekräftigte Seehofer in der „Bild“. (Tsp, dpa)

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