Pofallas Ausfall: Die Nerven lagen blank
Der Kanzleramtsminister hat sich bei seiner Verbalattacke gegen Wolfgang Bosbach am vergangenen Freitag nicht in bester Verfassung gezeigt. Wie konnte es so weit kommen?
Soll keiner sagen, Ronald Pofalla wäre mit einem goldenen Löffel im Mund geboren worden. Und aufgewachsen ist er so erst recht nicht. Der Vater war Schichtarbeiter, später Wachmann, die Mutter starb, als er 20 war. Der Mann aus Weeze am Niederrhein, einem Ort, den hierzulande niemand kennt, aber auch in Nordrhein-Westfalen weiß Gott nicht jeder, hat sich hochgearbeitet, immer schon. In der CDU, seitdem er 16 war, und im wirklichen Leben. Er kam von der Hauptschule bis zum Fachabitur und nach dem Studium der Sozialpädagogik (FH) mit einem weiteren Studium der Rechtswissenschaften bis in die Kanzlei von Stephan Holthoff-Pförtner. Das ist der Anwalt von Helmut Kohl, der außerdem ein wichtiges Wort mitzureden hat bei der großen WAZ, einer Mediengruppe mit vielen Zeitungen im Ruhrgebiet bis zum Niederrhein. Ja, Pofalla hat gearbeitet, hat gekämpft, sonst wäre er auch nicht da, wo er heute ist: oben, fast ganz oben. Er ist Chef des Bundeskanzleramts und „Bundesminister für besondere Aufgaben“ von Angela Merkel.
Dieser Titel hat seit dem Wochenende einen ganz besonderen Klang. „Für besondere Aufgaben“ – das war bisher nicht so ausdrücklich wie seit diesem Wochenende mit der Aufgabenstellung verbunden, Parteifreunde der Bundeskanzlerin durch Maßregelungen auf Linie zu bringen. Mindestens nicht öffentlich. Und mit Ronald Pofalla als Person hätte solche Pöbeleien wie gegen den CDU- Abgeordneten Wolfgang Bosbach so schnell auch keiner verbunden. Gilt Pofalla doch eigentlich als Mann des zweiten Satzes, will sagen: nicht als einer, der einfach draufhaut. Wer ihn erlebt, der wird den Eindruck eines freundlichen, wachen, zugewandten Mannes gewinnen, der zur Ironie fähig ist und nicht nur entlang der Parteilinien denkt. Einer, der wegen seiner Herkunft und Lebenserfahrung offen ist für Argumente – und auch ein guter Sozialdemokrat sein könnte, wie einer seiner Lehrer mal gesagt hat.
Alles das stimmt auch. Daneben berichten Weggefährten, die lieber nicht genannt werden wollen, anderes. Sie kennen einen Pofalla, der diese Seite, die jetzt offenbar geworden ist, immer ebenfalls gehabt haben soll. Ob in der Jungen Union, deren nordrhein-westfälischer Landeschef er bis Anfang der neunziger Jahre war, oder in seinen frühen Jahren als Mitglied des Bundestages ab 1990.
Lesen Sie auf Seite zwei, warum ausgerechnet Bosbach zum Pöbelopfer wurde.
Pofalla hat seinerzeit sogar Kohl widersprochen. Das war, als Kohl noch im Kanzleramt saß und die Gruppe junger Abgeordneter, die ihn zuweilen kritisierten, von anderen Parteien spöttisch die der „Jungen Milden“ genannt wurde. Da kannten sie Pofalla schlecht. Und er hat mitbekommen, wie das ist, wenn einer von oben einen Abgeordneten auf den rechten Pfad wies. Allerdings hieß der Kanzleramtsminister seinerzeit Friedrich Bohl, dessen Stärke war, dass man von ihm wenig hörte.
In der Landesgruppe NRW des CDU- Anteils an der Unionsfraktion im Bundestag hat Pofalla Gewicht; die Landesgruppe wiederum hat so hohes bei der CDU im Bundestag, weil die Partei dieses Landes die mitgliederstärkste in der Bundespartei ist. Wenn nun aus der Landesgruppe etliche gegen die Politik der Bundeskanzlerin stimmen – wem wird das angerechnet? Nicht dem Vorsitzenden, Wirtschaftsstaatssekretär Peter Hintze, einem frühen Förderer von Pofalla, sondern eben dem. Hinzu kommt, dass das Thema Europa und Griechenland hochsensibel ist, bei der Kanzlerin und in Deutschland. Da liegen die Nerven schnell einmal blank, Pofallas nicht zuletzt.
Wolfgang Bosbach hat durchaus die Fähigkeit, Nervenenden zu traktieren; mancher in der Unionsfraktion könnte das bestätigen. Pofallas Pöbelopfer nimmt sich als Parlamentarier ernst, sein Mandat, seinen Auftrag. Er spricht gerne Klartext, der rheinische Singsang des Bergisch- Gladbachers lässt nur freundlich klingen, was er sagt. Inzwischen ist er Vorsitzender des Innenausschusses. Wenn es aber nach Versprechungen der Vergangenheit gegangen wäre, dann wäre er womöglich heute – Chef des Kanzleramts und Bundesminister für besondere Aufgaben. Bosbach war außerdem als Innenminister im Gespräch und als Fraktionschef. Er wurde es nicht, und Staatsminister im Bundeskanzleramt mit der Zuständigkeit für die Koordination zwischen Bund und Ländern wollte er nicht werden.
Rechtsanwalt wie Pofalla ist Bosbach, und weil er noch dazu dem Ausschuss im Bundestag vorsitzt, der auch über die Verfassung wacht, macht das die Sache für den Minister so besonders. Denn es waren Probleme mit der Verfassung, die Bosbach bei Pofalla geltend machte. Das ist generell kein „Scheiß“. Im Ausschuss steht Bosbach nicht allein mit seiner Ansicht, in der CDU auch nicht. „Anstand und Benehmen“ werden gerade erörtert, öffentlich, im Netz, halb öffentlich und zwischen Ausschussmitgliedern. Pofalla wird noch weiter kämpfen müssen. Um seinen Ruf.
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