Präsidentenwahl in Weißrussland: Die mutigen Frauen von Minsk
Swetlana Tichanowskaja fordert Weißrusslands Staatschef Lukaschenko heraus. Die Opposition hat sich zu einem Bündnis gegen den Diktator vereint.
Swetlana Tichanowskaja hat ihre Kinder fortgeschickt. Der zehnjährige Sohn und die vierjährige Tochter sind jetzt an einem sicheren Ort im Ausland, eine Menschenrechtsorganisation hat ihr geholfen. Die 37-jährige Sprachlehrerin fordert bei der Präsidentenwahl in Weißrussland am 9. August Alexander Lukaschenko heraus, der seit 26 Jahren das Land autokratisch regiert – also schon länger als ihr ganzes erwachsenes Leben.
Nun tritt Lukaschenko für eine sechste Amtszeit an. Tichanowskaja ist in den vergangenen Wochen telefonisch bedroht worden, man werde sie vor der Abstimmung wegsperren und ihr das Sorgerecht für die Kinder entziehen. Die sind deshalb jetzt fort.
Tichanowskaja hatte ihre Kandidatur zunächst nur als moralische Unterstützung für ihren Mann erklärt, der eigentlich antreten wollte. Sergej Tichanowski ist ein regierungskritischer Blogger, ihn hat Lukaschenko bereits weggesperrt. Er sitzt in Untersuchungshaft, so wie derzeit mehr als 700 Gegner des weißrussischen Regimes.
Die Proteste werden immer stärker
Mitte Juni schien es schon, als wollte sich auch Swetlana Tichanowskaja dem Druck der Macht beugen und ihre Kandidatur zurückziehen. Sie riet ihren Anhängern, die Proteste auf den Straßen zu beenden und keine weiteren Unterschriften zu sammeln. „Keine einzige Unterschrift ist es wert, dass sie und ihre Familien leiden“, schrieb sie im Internet. Aber die Demonstrationen gingen weiter, sie wurden sogar stärker. Inzwischen gehen viele Tausende trotz der Repressionen auf die Straße.
Mitte Juli wurden dann, wie erwartet, die bislang aussichtsreichsten Herausforderer Lukaschenkos nicht zur Wahl zugelassen. Gegen den früheren Banker Viktor Babariko läuft ein Verfahren wegen Geldwäsche und bei Valeri Zepkalin wurden die Unterschriften auf den Unterstützerlisten nicht anerkannt. Tichanowskaja blieb auf der Liste. Lukaschenko betrachtete sie offensichtlich nicht als ernsthafte Gegnerin. Weißrussland sei nicht reif für eine Frau an der Spitze, zitierten ihn die Medien in Minsk. Doch plötzlich ruhten alle verbliebenen Hoffnungen der stetig wachsenden Zahl von Unzufriedenen und die der Opposition auf einer Frau.
Und auf den zwei Frauen, die sich mit ihr verbündet haben. Denn es geschah etwas Überraschendes. Die drei Wahlkampfstäbe der Opposition, an deren Spitze Tichanowskaja und ihre Mitstreiterinnen stehen, schlossen sich zusammen. Sie führen ihre Kampagne jetzt gemeinsam für Tichanowskaja und gegen Lukaschenko. Eine solche Kooperation war in dem Vierteljahrhundert der Lukaschenko-Herrschaft noch nie gelungen. Persönliche Rivalitäten und politische Differenzen der kandidierenden Männer verhinderten ein gemeinsames Auftreten der Opposition. Das sicherte Lukaschenko neben den Repressionen, den Wahlfälschungen und den Milliardenkrediten aus Moskau immer wieder die Macht.
Drohung mit Gewalt
Hat Tichanowskaja tatsächlich eine Chance, Lukaschenko zu besiegen? Der Politikwissenschaftler Valeri Karbaljewitsch hegt Zweifel. Es sei zwar sichtbar, dass es inzwischen eine breite Stimmung in der Bevölkerung gegen Lukaschenko gebe. Nach dem Motto: „Möge uns irgendjemand regieren – nur nicht er.“ Aber das allein reiche möglicherweise nicht, um eine Mehrheit hinter Tichanowskaja zu vereinen. Zudem gebe es keinerlei Anzeichen für eine Spaltung oder gar einen Zerfall der Machtelite. „Bisher wird der Aufstand der Massen nicht von irgendwelchen Prozessen innerhalb der Herrschaftsmannschaft unterstützt. Alle staatlichen Institutionen arbeiten wie ein Uhrwerk, besonders die Sicherheitskräfte. Sie befolgen alle Befehle zu Repressionen“, beobachtet er.
Lukaschenko scheint dennoch verunsichert. Gerade gab er einen Ausblick, wie er sich die Zukunft vorstellt. Er besuchte die 103. Fallschirmjägerbrigade und erklärte, eigentlich dürfe nur Präsident werden, wer Wehrdienst geleistet habe. Das ließe sich als Machogerede abtun. Doch der Chef des weißrussischen Sicherheitsrates drohte deutlich. Die weißrussischen Streitkräfte seien nicht nur eine Armee, sondern Miliz, Sondereinheit der Polizei und Nationalgarde, sagte er und fügte hinzu: „ Unsere Aufgabe ist es, den Tod des Staates nicht zuzulassen. Im entscheidenden Moment, Genosse Präsident, wenn es notwendig ist, folgen wir dem Befehl.“
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