Wer verändert die Welt? (1): Die Missionarin
Oby Ezekwesili kämpft seit viereinhalb Monaten mit Leidenschaft für die Rückkehr der mehr als 200 aus einer Schule in Nigeria entführten Mädchen. Die Terrorsekte Boko Haram hatte sie in der Stadt Chibok gekidnappt.
Die Entführung von 276 Mädchen am 14. April 2014 aus ihrer Schule in Chibok im Nordosten Nigerias ist „ein Wendepunkt“, sagt Obiageli Ezekwesili, die alle nur Oby nennen. Die Frustration „über so viele Tragödien“ in Nigeria sei so groß geworden, dass es nach dieser Katastrophe „nicht mehr einfach so weitergeht wie bisher“, sagte sie dem Tagesspiegel am Telefon.
217 der Mädchen werden weiterhin vermisst, knapp 60 hatten sich in den ersten Tagen nach der Entführung durch die islamistische Terrorsekte Boko Haram selbst befreien können. Nach nigerianischen Zeitungsberichten sind in den mehr als drei Monaten, die seither vergangen sind, sieben Väter und Mütter der entführten Mädchen gestorben, nicht durch weitere Terrorakte, die seither fast täglich zu beklagen waren, sondern an Herzinfarkten oder anderen stressbedingten Leiden.
Die Regierung hielt die Entführung für ein politisches Manöver
In den ersten Tagen nach der Entführung hat die Regierung von Goodluck Jonathan nicht den Eindruck hinterlassen, sich besonders für das Drama zu interessieren. Der erste Präsident nach der Militärdiktatur, Olusegun Obasanjo, sprach öffentlich davon, dass die aktuelle Regierung das Geschehen regelrecht verleugnet habe. Diesen Eindruck teilt die nigerianische Starautorin Chimamanda Ngozi Adichie, die dem Tagesspiegel im Interview sagte: „Die Regierung Jonathan war tagelang davon überzeugt, dass die Opposition die Geschichte mit der Entführung nur in die Welt gesetzt habe, um die Regierung schlecht aussehen zu lassen.“ Dieser Lesart widerspricht die Finanzministerin Ngozi Okonjo Iweala empört. Vor kurzem sagte sie bei einem Besuch in Berlin: „Mein Präsident wacht jeden Morgen mit den Mädchen auf. Auch er ist ein Vater!“
Die Aktivistin ist mit einem Prediger verheiratet
Wenn das so sein sollte, dürfte es zu den wenigen Dingen gehören, die Goodluck Jonathan und Oby Ezekwesili verbinden. Sie ist Mutter dreier fast erwachsener Söhne. Ihr Mann ist der Pastor einer evangelikalen Kirche. Wie man predigt, weiß sie also aus Erfahrung.
Die langjährige Ministerin der Regierung Obasanjo, sie war zunächst Ministerin für Mineralische Rohstoffe und später Bildungsministerin, hat Jonathan und seinem Vorgänger Umaru Musa Yar’Adua vor wenigen Monaten vorgeworfen, 67 Milliarden Dollar aus den Währungsreserven veruntreut zu haben. Kein Wunder, dass Politiker der Regierungspartei sie für eine gefährliche Oppositionelle halten, die nur auf der Jagd nach „billiger Publicity“ sei. Allerdings ist auch die größte Oppositionspartei nicht besonders begeistert von der Ex-Weltbank-Vizepräsidentin. Zwischen 2007 und 2012 war Ezekwesili für das Afrika-Geschäft der Weltbank zuständig. Am 6. März 2014 hatte die Oppositionspartei APC die 51-jährige Politikerin als Hauptrednerin auf ihren Parteikongress eingeladen. Sie nutzte die Rede zu einer Generalabrechnung mit den Eliten Nigerias, einschließlich der APC. „Die Terroristen sind durch die Abwesenheit unserer politischen Klasse ermutigt worden. Diejenigen, die führen sollten, haben sich entschieden, ihre normalen politischen Spielchen mit dem Blut der Armen zu spielen“, donnerte sie der peinlich berührten politischen Elite entgegen.
Wer Ezekwesili bestelle, sagt einer ihrer Weggefährten, „der bekommt Ezekwesili“. Diese Erfahrung macht die politische Klasse aktuell mit ihrer Bring-back-our-girls-Kampagne. Mit dem Suchbegriff des Kurznachrichtendienstes Twitter #BringBackOurGirls (Bringt unsere Mädchen zurück) organisiert Ezekwesili den Protest. „Es ist wichtig, auf diesen einen Punkt konzentriert zu bleiben“, sagt sie. „Wir werden demonstrieren, bis die Mädchen zurück sind.“ In der Hauptstadt Abuja führt sie seit bald fünf Monaten fast täglich Demonstrationen an. In der Wirtschaftsmetropole Lagos war sie kürzlich in strömendem Regen an einer wöchentlichen Demonstration beteiligt. „Ich bin so traurig, dass die Mädchen ein Pfand in der politischen Auseinandersetzung geworden sind“, sagt sie. „Holt erst unsere Mädchen raus. Dann könnt ihr zu euren politischen Spielchen zurückkehren.“ Ihre Analyse ist ziemlich ernüchtert: „Ein Volk mit so vielen Möglichkeiten, und trotzdem kommt nie das Richtige dabei heraus.“
Wer verändert die Welt? Die meisten Revolutionen beginnen ganz klein, mit einer „Schnapsidee“ oder mit einem großen Zorn auf die Verhältnisse. Wir stellen sieben Menschen vor, deren Engagement ganz schnell über sie selbst hinausgewachsen ist, im Guten wie im Schlechten. Allen gemeinsam ist, dass sie zunächst allein eine Sache ins Rollen gebracht haben – und nicht allein geblieben sind. Dies ist der erste Teil einer Serie.
Die bereits erschienenen Teile der Serie finden Sie hier:
Die Modekönigin: Rania von Jordanien hat im Ausland mehr Fans als zu Hause.
Der Preisgeber: Mo Ibrahim macht gute Präsidenten reich.
Die Aufklärerin: Lorella Zanardo will das Fernsehen verändern.
Der Warner: John Prendergast hat mit seinem Bild vom Genozig die amerikanische Sudanpolitik geprägt.
Der Wassermann: Wie Benjamin Adrion vom Fußballer zum Entwicklungshelfer wurde.
Der Wertsetzer: Christian Hiß hat mit der Regionalwert AG eine neue Form der Förderung für den Ökolandbau erfunden.
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