Myanmar: Die Minderheiten begehren auf
Der Richterspruch im Völkermord-Verfahren gegen Myanmar wird an der Notlage der Rohingya wenig ändern. Ein Kommentar zur innenpolitischen Lage.
Im Völkermord-Verfahren gegen Myanmar haben die Richter des Internationalen Gerichtshofes das Land am vorvergangenen Donnerstag dazu verpflichtet, Sofortmaßnahmen zum Schutz der Rohingya zu ergreifen. Welche Folgen hat das für die Rohingya? Und was bedeutet es für Regierungschefin Aung San Suu Kyi?
Der Internationale Gerichtshof verfügt über keinerlei Mittel, etwa eine eigene Polizei, um die Umsetzung von Schutzmaßnahmen zu garantieren. Er ist darauf angewiesen, dass Myanmar selbst tätig wird. Dort aber gibt es wenige, die versuchen werden, den Richterspruch ernsthaft umzusetzen.
Große Teile der Bevölkerung sehen ihn als Ergebnis einer islamistischen Verschwörung gegen Myanmar. Die Gewalt gegen die Rohingya wird als rechtmäßige Anti-Terror-Maßnahme gegen die von militanten Gruppen innerhalb der Rohingya ausgehende Bedrohung angesehen. Falls es dabei zu Menschenrechtsverletzungen gekommen ist, so auch die Auffassung von Aung San Suu Kyi, sollten diese vor lokalen Militärgerichten verhandelt werden.
Zudem werden die Rohingya weithin als illegale Einwanderer aus Bangladesh betrachtet. Schließlich steht der Umsetzung des Richterspruchs auch entgegen, dass der zentrale Akteur bei den Menschenrechtsverletzungen das Militär ist, das nach wie vor außerhalb der Kontrolle ziviler Institutionen agiert und einen Staat im Staate darstellt. Und so leben heute noch Hunderttausende Rohingya in Flüchtlingscamps in Bangladesh.
Den Aufforderungen zur Rückkehr sind aufgrund fehlender Sicherheitsgarantien, Perspektivlosigkeit und mangelnder Bürgerrechte nur einige wenige gefolgt. In Myanmar selbst wurde in den letzten Monaten immer wieder Gewalt gegen Rohingya-Gemeinden verübt, so dass weiterhin Rohingya nach Bangladesh flüchten, wenn auch weniger als in den Vorjahren.
Trägt der Vergleich mit Gandhi oder Mandela?
Auf internationaler Ebene bedeutet der Richterspruch für Aung San Suu Kyi, die einst mit Ghandi und Nelson Mandela verglichen wurde, eine weitere Beschädigung ihres bereits angekratzten Images. Bisher hatte sie jegliche Kritik der Staatengemeinschaft als haltlos abgetan. Im Dezember war sie sogar eigens nach Den Haag gereist, um die Vorwürfe des Völkermords zu entkräften und das eigene Militär und die "nationalen Interessen" zu verteidigen.
Nun legt der Richterspruch die Verbrechen gegen die Rohingya offen und weist Schuld und Verantwortung klar der Regierung Myanmars und den staatlichen Sicherheitskräften zu. Dies wirft einen weiteren Schatten auf den fragilen Demokratisierungsprozess des Landes.
Im Land selbst hat Suu Kyi jedoch durch ihr offensives Auftreten in Den Haageher an Ansehen und Zuspruch gewonnen. Ihr Image als Ikone der Nation und Tochter des Republikgründers General Aung San wurde dadurch gestärkt. Das ist für ihre politische Karriere angesichts der Wahlen Ende 2020 nicht unwichtig.
Der Gegenkandidat - ein nationalistischer Hardliner
Denn potentieller Gegenkandidat Suu Kyis wird aller Voraussicht nach ein ehemaliger General und nationalistischer Hardliner sein. Einem solchen Konkurrenten möchte sie mit ihrem Auftreten als starke Frau und stolze Nationalistin möglichst wenig Angriffsfläche bieten. Zudem will sie das nach wie vor mächtige Militär und dessen Unterstützer nicht im Vorfeld des Wahlkampfes gegen sich aufbringen.
Aktuellen Umfragen zufolge dürfte die von Suu Kyi geführte National League of Democracy (NLD) abermals die Wahlen gewinnen. Dass die NLD jedoch wie 2015 eine absolute Mehrheit bekommt, ist unsicher. Vielmehr ist anzunehmen, dass die Partei viele Stimmen aus den Reihen der ethnischen Minderheiten des Landes verlieren wird, die über 30 Prozent der Bevölkerung ausmachen.
Viele dieser Minderheiten führen seit Jahrzehnten einen bewaffneten Kampf für mehr Autonomie und Selbstbestimmung gegen die Zentralregierung und waren in diesem Zusammenhang ähnlichen Behandlungen durch das Militär ausgesetzt wie die Rohingya.
Eskalierende Entfremdung
2015 hatten fast alle Angehörigen ethnischer Minderheiten die NLD gewählt, da sie sich von einem Wahlsieg Suu Kyis weitreichende Autonomierechte versprachen. Dazu kam es nicht. Das Auftreten der Regierungschefin in Den Haag, insbesondere ihre Verteidigung der Verbrechen des unter den ethnischen Minderheiten verhassten Militärs, dürfte zu einer weiteren Entfremdung beigetragen haben.
Dafür spricht unter anderem, dass parallel zur Rohingya-Krise die Gewaltkonflikte zwischen Militär und ethnischen Minderheiten in vielen Teilen des Landes eskaliert sind. Der von Suu Kyi zur Schau getragene burmesische Nationalismus wird die tiefe Spaltung des Landes, deren Überwindung Suu Kyi sich einst zum Ziel gesetzt hatte, weiter verstärken. Felix Heiduk forscht an der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) zu Südostasien. Die SWP berät Bundestag und Bundesregierung in allen Fragen der Außen- und Sicherheitspolitik
Felix Heiduk
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