Konflikt um Atomabkommen mit dem Iran: „Die militärische Drohkulisse haben die USA aufgebaut“
Iran zieht sich teilweise aus dem Atomabkommen zurück. Wie bedrohlich ist das für die Region und Europa? Ein Gespräch mit dem Iran-Experten Cornelius Adebahr.
Der Politologe Cornelius Adebahr arbeitet bei der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik.
Er ist ausgewiesener Experte Iran-Politk, über das Thema hat er mehrere Bücher veröffentlicht. Zudem beschäftigt sich Adebahr auch mit transatlantischen Beziehungen.
Herr Adebahr, ist die Gefahr einer militärischen Konfrontation im Nahen oder Mittleren Osten wahrscheinlicher geworden, nachdem Teheran gedroht hat, Teile des Atomvertrags auszusetzen?
Die Drohung aus Teheran ist nicht militärisch gemeint. Die Iraner betonen, dass sie sich im Rahmen des Atomvertrags bewegen und ihn nicht verletzen. Diese Versicherung ist bedeutend, auch wenn nun die Europäer und die Internationale Atomenergiebehörde (IAEO) überprüfen müssen, ob das stimmt.
Die Amerikaner sind vor einem Jahr aus dem Atomvertrag ausgestiegen, haben massiv Druck auf den Iran aufgebaut und haben einen Flugzeugträger entsendet. Die militärische Drohkulisse haben eindeutig die USA aufgebaut. Ich deute die heutigen Ankündigungen aus Teheran als nachgeholte Reaktion auf den Ausstieg aus dem Atomabkommens durch den US-Präsidenten vor einem Jahr.
Die USA haben einen Flugzeugträger in die Region geschickt mit der Begründung, der Iran habe Raketen auf Schiffe verladen, womit womöglich die Straße von Hormus gesperrt werden soll. Das finden Sie nicht bedrohlich?
Ob diese Hinweise von US-Geheimdiensten zutreffen, kann ich nicht bewerten. Es fällt auf, dass Washington in den vergangenen Wochen verstärkt rhetorische Verbindungen zwischen Teheran und der islamistischen Terrororganisation Al Quaida oder dem islamischen Dschihad hergestellt hat.
Das ist seltsam, denn der Iran ist eine islamisch-schiitische Republik, während Al Quaida und der islamische Dschihad Sunniten sind. Womöglich handelt es sich um den Versuch der Regierung, durch die Verbindung mit den Terroristen eine Legitimation für ein militärisches Vorgehen zu erhalten. Das Muster liefert das Vorgehen gegen den Irak nach den Anschlägen vom September 2001.
Der Kongress hat allerdings deutlich gemacht, dass er vor einem militärischen Vorgehen gegen den Iran das letzte Wort beansprucht. Aber es stimmt: Wenn ein amerikanischer Flugzeugträger auftaucht, wird die Spannung rund um den Persischen Golf nicht kleiner.
Der Iran hängt sehr an diesem Atomabkommen. Das lässt sich schon daraus ableiten, dass er sich ein Jahr lang an die Auflagen gehalten hat, ohne dafür eine Belohnung in Gestalt von wirtschaftlichen Vorteilen zu erhalten. Teheran hatte gedroht, nach einem Ausstieg der USA das Abkommen zu "zerreißen". Das ist aber nicht geschehen, sie haben sich weiter darangehalten.
Die Iraner wissen, dass die Europäer die Seiten wechseln würden, falls sie aussteigen, damit fiele jegliche Unterstützung weg. Den Iranern stören sich sehr daran, dass nur sie unter dem Ausstieg leiden. Die Europäer, die ihre Unterstützung des Abkommens versichern, spüren keine vergleichbaren Nachteile. Deshalb wollen die Iraner nun die Europäer drängen, mehr zu tun, um das Abkommen am Leben zu erhalten.
Womöglich würde es den Iranern schon reichen, wenn sie in geringerem Umfang Öl verkaufen und Handel treiben können, um sich über die nächsten zwei Jahre zu retten. Dann sind nämlich Wahlen in den USA – und womöglich wird dann ein Präsident gewählt, der zum Abkommen zurückkehrt.
Die Europäer sollen das Öl- und Bankgeschäft nun innerhalb von 60 Tagen retten. Kann die EU das innerhalb dieser Frist gegen die Drohung von US-Sanktionen gegen alle Unternehmen retten, die mit dem Iran Geschäfte machen?
Dafür haben mehrere EU-Länder die Zweckgemeinschaft Instex gegründet, eine Art Tauschbörse für Importeure und Exporteure, die damit ihre Geschäfte verrechnen, so dass kein Geld in den Iran oder aus dem Iran herausfließen muss. Ich verstehe das Ultimatum als sehr deutliche Aufforderung, den Aufbau dieser Zweckgesellschaft zu beschleunigen. Das werden die Europäer sicher auch versuchen.
Das geht aber nur, wenn die Iraner eine korrespondierende Zweckgesellschaft aufbauen, die minimalen internationalen Standards genügt, was Vorkehrungen gegen Geldwäsche und die Finanzierung von Terror betrifft. Wichtig ist, dass die Europäer in diesen 60 Tagen spürbare Schritte unternehmen, die die Iraner gegenüber der eigenen Bevölkerung als Erfolg ihres Ultimatums verkaufen können.
Und wenn nichts passiert?
Wenn nun 60 Tage nichts passiert, wird sich Iran verpflichtet fühlen, den nächsten Schritt der Eskalation zu gehen – das wäre wahrscheinlich eine viel schwererer Verletzung des Abkommens. Aber wie gesagt: Das will eigentlich der Iran nicht.
Wie sollte die EU die Drohung von Präsident Ruhani bewerten, Flüchtlinge und Drogen nach Europa zu schicken, falls die Aufrechterhaltung des Ölhandels nicht klappt?
Hier empfiehlt sich zunächst einmal Zurückhaltung. Denn zwischen Iran und Europa liegt noch die Türkei, die kein Interesse daran hat, diesen ‚Verkehr‘ über ihr Territorium zuzulassen. Auch lassen sich solche Ströme von Menschen und Waren nicht so leicht lenken. Der Präsident sprach vielmehr davon, dass Iran aufgrund eines Mangels an finanziellen Ressourcen infolge der US-Sanktionen nicht mehr in der Lage sein könne, Flüchtlingsströme oder Drogenhandel einzudämmen.
Denn seit der sowjetischen Invasion in Afghanistan leben rund eine Million afghanische Flüchtlinge in Iran, was wiederum Haupttransitland für den Opiumschmuggel aus dem Nachbarland am Hindukusch ist. Darunter leidet auch die iranische Bevölkerung, die mit rund zwei Millionen Drogenabhängigen (bei 80 Millionen Einwohnern) die weltweit höchste Pro-Kopf-Zahl aufweist.
Was ist dann das Motiv für diese Drohung?
Hinter der "Drohung" steckt ein doppeltes Argument: Zum einen will die iranische Regierung die Europäer daran erinnern, dass dem Land als (relativer) Stabilitätsanker in einer turbulenten Region eine zentrale Rolle zukommt. Sollte Iran zu einem zweiten Syrien werden, wäre Europa davon massiv, die USA aber nur sehr begrenzt betroffen.
Zum anderen geht es um eine Abgrenzung gegen den Vorwurf, Iran nutze seine Einnahmen – zum Beispiel aus dem Ölverkauf – primär für „destabilisierende Aktivitäten“ in der Region, also wiederum in Syrien, aber auch Libanon und Jemen. Der Präsident erinnert also daran, dass iranische Gelder auch in Maßnahmen zum Schutz vor weiterer Migration sowie Drogenhandel fließen.
Hier eröffnet sich auch ein Weg für europäische Unterstützung, indem beispielsweise die EU-Länder – ähnlich wie beim Migrationsdeal mit der Türkei – für solche Maßnahmen direkte Zuschüsse bereitstellen. Das erscheint einerseits legitim, brächte ihnen aber andererseits vermutlich den Vorwurf ein, dass die dann nicht mehr benötigten Gelder womöglich in iranische Aktivitäten in Syrien oder Libanon flössen.
Hatte das Abkommen mit dem Iran bis zum Ausstieg der USA funktioniert?
Der Iran hält sich an dieses Abkommen. Es ist am Leben, solange die Iraner sich daranhalten. Aber allzu lange wird Teheran das ohne Gegenleistungen nicht tun. Denn das könnte etwa bei den oppositionellen Demokraten in Washington, die im Grundsatz für das Abkommen sind, Begehrlichkeiten wecken nach dem Motto: Wenn sie sich schon daranhalten, ohne Gegenleistungen zu bekommen, können wir bei Nachverhandlungen noch mehr fordern. Diese Schwäche will sich Teheran nicht erlauben.
Zwei Hoffnungen hatten sich aus deutscher und europäischer Sicht nicht erfüllt: dass der Wegfall der Sanktionen die Wirtschaft stärkt und es den Iranern damit besser geht. Und dass der Iran nicht mehr Gewalt und Terror in seinem regionalen Umfeld nährt – Stichwort Syrien und Jemen.
Das Ausbleiben der wirtschaftlichen Erholung ist eine Folge amerikanischer Politik. Das Abkommen wurde im Juli 2015 unterzeichnet, Januar 2016 ist es in Kraft getreten. Im November 2016 wurde Donald Trump zum Präsidenten der USA gewählt. Die Zeit, in der man auf die Wirkung des Abkommens vertrauen konnte, ist denkbar kurz. Jeder wusste, dass Trump gegen das Abkommen war, deshalb haben sich viele Unternehmen schon im Wahlkampf zurückgehalten, weil sie das Risiko nicht eingehen wollten.
Und was die Rolle von Teheran als „Störer“ in der Region angeht?
Da waren die Hoffnungen sicher größer, dass man da ins Gespräch kommen könnte. Es gibt da in Teheran widerstrebende Kräfte. Die Regierung, die das Abkommen verhandelt hat, steht für einen moderateren Kurs. Die Revolutionsgarden, die Kämpfer nach Syrien schicken, stehen für einen härteren Kurs. Es gab nie eine Garantie, dass das Atomabkommen hier Entspannung schaffen würde.
Die Hoffnung aber gab es wohl. Deutschland, Frankreich, Großbritannien und Italien hatten Gespräche mit dem Iran zum Jemen begonnen. Aber es fällt schwer, Druck auf den Iran in Regionalfragen auszuüben, wenn die Gesprächspartner darauf verweisen können, dass das Atomabkommen nicht mehr umgesetzt wird. Wenn die Amerikaner das Abkommen nicht sabotieren würden, könnte Europa den Iranern glaubhaftere Angebote machen.
Nicht nur die Republikaner in den USA, sondern auch die Demokraten im Kongress werfen dem Iran seine Aktivitäten in Syrien und im Jemen vor und warnen vor seinem Raketenprogramm.
Das Raketenprogramm hat auch die EU verurteilt. Der Iran ist für regionale Instabilität verantwortlich, aber er ist nicht der einzige Akteur. Der US-Kongress hat in den vergangenen Monaten viel stärker die Rolle Saudi-Arabiens bei der Destabilisierung der Region in den Blick genommen – etwa im Jemen-Krieg. Dort ist Saudi-Arabien weit massiver engagiert – mit Geld und Militär – als der Iran.
Es ist richtig, dass die Europäer versuchen, mit dem Iran über regionale Sicherheitsfragen zu sprechen. Solange das Atomabkommen so unter Druck steht und nicht wirkt, ist das allerdings sehr schwierig.