Kampf gegen den IS: "Die Menschen in Kobane lachen"
Lange wurde um Kobane gekämpft, jetzt ist die nordsyrische Stadt befreit. Und nun? Nahostexperte Martin Glasenapp ist vor Ort. Ein Gespräch über die Zuversicht der Menschen, die erfolgreiche Abwehr der Terrormiliz IS und Probleme beim Wiederaufbau.
Herr Glasenapp, Sie sind seit einigen Tagen für Medico International in Kobane. Wie sieht es dort aus?
Einerseits ist die Lage entspannt: Die Krieger der Terrormiliz "Islamischer Staat" konnten vertrieben werden, die Stadt ist komplett befreit. Die Menschen lachen, grüßen und sind gut gelaunt. Nicht zuletzt, weil die Front in immer größere Ferne rückt. Täglich kommen Meldungen, laut denen weitere Dörfer von den Dschihadisten zurückerobert wurden. Es gibt hier sehr viele junge Menschen, die sich den kurdischen Kämpfern anschließen wollen. Aber andererseits ist die Situation auch sehr schwierig.
Inwiefern?
60 Prozent der Stadt sind zerstört. Kobane gleicht einer Trümmerwüste, einer Mondlandschaft. Es gibt infolge der Bombeneinschläge riesige Krater, überall stehen zerbeulte Autos. Die Schäden sind immens. Und man muss sich wegen der Sprengfallen sehr vorsichtig bewegen. Zudem liegen gerade im Osten noch viele Leichen in den Straßen. Es fehlt einfach an Möglichkeiten, die Toten zu bestatten. Sowohl das Gesundheitssystem als auch die Stromversorgung sind komplett zusammengebrochen.
Dennoch schöpfen die Menschen Hoffnung. Worauf führen Sie das zurück?
Die Leute sind sich sicher, dass die Moral der IS-Kämpfer gebrochen ist. Sie empfinden die Terroristen nicht mehr als riesengroße Bedrohung, zumindest sofern es Kobane und Umgebung betrifft.
Heißt das, nach Monaten des Kampfes entwickelt sich in der Stadt wieder so etwas wie Alltag?
Hier leben noch mehrere Tausend Menschen. Viele haben sich schlicht geweigert zu fliehen, andere hatten keine Möglichkeit zu entkommen. Mittlerweile kehren auch mehr und mehr Einwohner zurück. Sie wollen sehen, was von ihrem Hab und Gut noch übrig ist. Das macht die Stadt glücklich, stellt sie jedoch auch vor große Herausforderungen. Deshalb haben die Behörden dazu aufgerufen, mit der Rückkehr noch zu warten. Weil zum Beispiel Lebensmittel- wie Wasserversorgung bislang nicht funktionieren.
Warum stockt der Wiederaufbau?
Es fehlt vor allem schweres technisches Gerät, um die Trümmer zu beseitigen. Außerdem plant die Verwaltung, ein Zeltlager am Rande der Stadt zu errichten. Auch dafür braucht man Maschinen und Material. Doch die gelangen nicht in die Stadt.
Woran liegt das?
Die Türkei lässt zwar über ihre Grenze Nahrungsmittellieferungen zu, und Verletzte werden in Krankenhäuser gebracht. Jetzt geht es aber vor allem darum, Kobane großflächig wieder aufzubauen, also entsprechende Ausrüstung in die Stadt zu bringen. Und dabei tut sich Ankara schwer.
Aber selbst, wenn die Türkei den Weg frei machen würde: Kobane ist zu einem großen Teil zerstört. Sind Sie zuversichtlich, dass ein Wiederaufbau in absehbarer Zeit gelingen kann?
Ich bin so zuversichtlich wie die Menschen hier. Sie haben an einen Sieg über den "Islamischen Staat" fest geglaubt – das Gleiche gilt jetzt für den Wiederaufbau. Das werde womöglich Jahre dauern, sagen sie. Doch am Ende steht ein neues Kobane, davon sind die Einwohner überzeugt.
Die Niederlage des IS scheint den Leuten Kraft zu geben, oder?
Die Kurden sehen in der erfolgreichen Abwehr der Dschihadisten einen Erfolg ihres Volkes, einen wichtigen Schritt zur Einheit. Sie betonen aber gleichzeitig: Bei der Schlacht um Kobane ging es nicht nur um die Stadt selbst und den Kampf gegen den Terror, sondern gleichfalls um Demokratie in der Region. Sie sind sicher, dass dieser Sieg über den IS ein wichtiger symbolischer Schritt war, um den Vormarsch der Dschihadisten endlich zu stoppen.
Ist diese optimistische Sichtweise womöglich vor allem der verständlichen Euphorie geschuldet?
Sicher, noch kontrollieren die Islamisten ein großes Territorium. Dennoch glaube ich, dass die Allmachtsfantasien des IS in Kobane einen schweren, womöglich entscheidenden Schlag erhalten haben
Das Gespräch führte Christian Böhme.