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Sauli Niinistö, Präsident von Finnland.
© Matt Dunham/dpa

„Die Dinge haben sich verändert“: Die Mehrheit in Finnland will den Nato-Beitritt

Der finnische Präsident Sauli Niinistö rechnet mit einer Zustimmung seines Parlaments für eine Aufnahme. Er spricht von einer „großen historischen Entscheidung“.

Der finnische Präsident Sauli Niinistö geht von einem Beitritt seines Landes in die Nato aus. In einem Gespräch mit deutschen Journalisten einen Tag vor dem Besuch von Bundespräsidenten Frank-Walter Steinmeier in Helsinki am Freitag, bei dem es um die aktuelle Lage durch den Ukraine-Krieg gehen soll, erklärte er: "Die Dinge haben sich verändert, nach jüngsten Umfragen sind mehr als 60 Prozent der Finnen für den Nato-Beitritt."

Das wäre ein Kurswechsel in der Politik des Landes. Niinistö geht davon aus, dass die Nato sehr schnell feststellen werde, dass sein Land alle Kriterien für eine Aufnahme erfülle: "Wir sind eine enger Partner der Nato, es ist also bekannt, was wir leisten können." Auch er sei vollkommen überrascht gewesen von dem Überfall Russlands auf die Ukraine, obwohl die USA und Großbritannien schon sehr viel früher davor gewarnt hätten.

70 Prozent der Finnen sind bereit, ihr Land zu verteidigen

Gleichwohl gestand er ein, dass bei genauerem Hinhören auf die Reden Putins wahrnehmbar gewesen wäre, dass sich der Ton des russischen Präsidenten gegenüber dem Westen in den letzten Jahren zunehmend verschärft hätte. Frustration, wenn nicht sogar Hass hätten daraus gesprochen. Zuletzt sei unverhohlen von einem Krieg gegen den Westen die Rede gewesen.

Bereits in einer Rede Mitte der 2010er Jahre habe Putin den westlichen Lebensstil als hedonistisch und degeneriert gegeißelt und prognostiziert, dass ein Sieg über den Westen einfach sein würde durch den Individualismus und mithin die Schwäche der Westler. „Es hat sich inzwischen gezeigt, wie sehr Putin sich darin irrte“, so Niinistö.  Vor allem die veränderte Haltung der Bundesrepublik in Sachen Waffenlieferungen sei ein wichtiges Signal gewesen, erklärte der Präsident.

"Fragt man nach der Bereitschaft, das eigene Land zu verteidigen, erklären 70 Prozent der Finnen, sie seien dazu bereit," so Niinistö. Finnland teilt eine über 1300 Kilometer lange Grenze mit Russland. Der seit 2012 amtierende Präsident verwies darauf, dass 300.000 Männer und einige Frauen als Reservisten trainiert seien und sofort bewaffnet werden könnten. „Das sind mehr als in Deutschland, dabei sind wir 15 Mal kleiner.“

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In Finnland gibt es bis heute eine Wehrpflicht. Erst in der Vorwoche hatte Finnland den Kauf von 64 F-35-A-Mehrzweckkampfflugzegen bekanntgegeben, der bereits im Dezember getätigt wurde. "Das beschreibt unsere Position," so Niinistö. Er verwies auf den Winterkrieg 1939/40 nach einem Angriff der Roten Armee, der zwar mit einem Friedensvertrag endete, für Finnland jedoch 10 Prozent Verlust des Landes bedeutete. „Das haben wir nie vergessen,“ so der Präsident.

Die aktuelle Bedrohungslage habe nunmehr dazu geführt, dass Finnland bereit sei der Nato beizutreten auch ohne Schweden, das ebenfalls eine Mitgliedschaft erwäge. Nach Ostern soll dem Parlament ein sogenanntes Weißbuch mit allen Vor- und Nachteilen vorgelegt werden als Grundlage für die Entscheidung. "Die Abgeordneten bekommen dabei auch Informationen von unseren Streitkräften und dem Grenzschutz, die nicht öffentlich sind. Sie sollen aber erfahren, was wir uns als russische Reaktion vorstellen können."

Für Finnland stelle der Nato-Beitritt „eine große historische Entscheidung“ dar. Wenn sie einmal getroffen sei, gäbe es kein Zurück mehr. „Wir sind nicht neutral, wir sind nicht bündnisfrei“, sagte Niinstö. Finnland, das seit 1995 EU-Mitglied ist, sei lediglich „militärisch bündnisfrei“.

„Nicht nur Finnland, wir alle sind im Falle einer Eskalation in Gefahr“

Eines Risikos in der womöglich mehrmonatigen Frist zwischen Antrag und einer endgültigen Aufnahme ins Verteidigungsbündnis zeigte sich Niinistö durchaus bewusst. Die Nato werde deshalb schnell entscheiden, zeigte sich der finnische Präsident überzeugt und betonte zugleich: „Nicht nur Finnland, wir alle sind im Falle einer Eskalation in Gefahr.“

In Finnland leben derzeit zahlreiche Russen. Niinistö nannte 70.000 russisch sprechende Bürger:innen im Lande. Genaue Angaben über die Zahl der Geflüchteten aus der Ukraine konnte er keine machen, verwies jedoch auf regelmäßig einreisende Saisonarbeiter in den vergangenen Jahren und familiäre Bindungen. Einreisende Ukrainer müssen sich erst nach einer dreimonatigen Frist registrieren lassen. Bereits 11.000 Anträge liegen vor. Das Innenministerium rechnet mit 40.000 bis 80.000 Geflüchteten insgesamt in diesem Jahr.

Das Gespräch mit dem deutschen Bundespräsidenten gewinnt an Dringlichkeit

Die letzten offiziellen Gespräche mit russischen Vertretern liegen für Finnland einen Monat zurück. Gleichwohl hält das Land die Kanäle offen und hat nach wie seinen Botschafter in Moskau wie auch der russische Botschafter weiterhin in Helsinki residiert.

Wenn Präsident Steinmeier am heutigen Freitag Sauli Niinistö in Helsinki trifft, wird der russische Angriffskrieg ihr wichtigstes Gesprächsthema sein. Nur kurz nach dem Zusammentreffen der beiden Staatsoberhäupter fügt sich noch ein drittes hinzu, wenn auch nur digital: Wolodymyr Selenskij spricht mittags per Übertragung vor dem finnischen Parlament. Seine Rede dürfte der Begegnung von Niinistö und Steinmeier nochmals Dringlichkeit verleihen.

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