EU-Bericht von Lobbycontrol: Die Macht der Konzerne ist zu groß
Die Organisation Lobbycontrol will mehr Transparenz bei Kontakten von Politikern und Interessenvertretern in Brüssel - doch es gibt nicht nur Kritik.
Zu viel Macht, zu wenig Transparenz, zu unausgewogen - das ist der Kern des am Montag vorgestellten EU-Reports der Nichtregierungsorganisation Lobbycontrol. Die Organisation konstatiert darin einen zu großen Einfluss von Wirtschaftsunternehmen auf EU-Ebene. Und mit Blick auf die Europawahl Ende Mai bekommt dieser Bericht auch für die Verfasser eine besondere Bedeutung. "Die Macht der Konzerne in Europa ist eindeutig zu groß", sagte die politische Geschäftsführerin von Lobbycontrol, Imke Dierßen. "Teilweise können Konzerne Gesetze und politische Prozesse regelrecht kapern." Europa lasse es außerdem zu, dass Unternehmen massiv Steuern sparten, wodurch den EU-Ländern "jedes Jahr 50 bis 70 Milliarden Euro an Steuereinnahmen" entgingen – "das ist das fünf- bis sechsfache dessen, was die EU insgesamt pro Jahr für Forschung und Bildung ausgibt", sagte Dierßen. Diese Politik sei nicht gemeinwohlorientiert.
Ein großer Faktor für den Einfluss der Konzerne sei ihre "immense Lobbypower". 25.000 Lobbyisten mit einem Budget von 1,5 Milliarden Euro arbeiteten in Brüssel, "zwei Drittel davon vertreten Unternehmensinteressen", sagte Dierßen. "Sie sind zivilgesellschaftlichen Akteuren unter anderem wegen der erheblichen finanziellen und personellen Mittel, die sie aufbringen können, weit überlegen." 454 Nichtregierungsorganisationen stehen laut Bericht 948 Unternehmens- und Branchenverbände, 645 Unternehmen und Unternehmensgruppen sowie 444 Lobbyagenturen und Lobbykanzleien gegenüber – größter Lobbyakteur in Brüssel ist dabei der Verband der Europäischen chemischen Industrie mit 12 Millionen Euro Ausgaben im Jahr und 49 Lobbyisten. Zwar gebe es seit elf Jahren ein Lobbyregister, in dem EU-Parlament und Kommission ihre Kontakte mit Interessenvertretern aufführen - dies geschieht jedoch bislang freiwillig. Nach dem Willen von Lobbycontrol soll es ein gesetzlich verpflichtendes Transparenzregister geben.
Ein großes Problem sieht Lobbycontrol auch in der Rolle des Europäischen Rates. "Der Rat ist ein echtes Einfallstor für Unternehmerinteressen", sagte die Co-Autorin des Berichtes, Nina Katzemich. Die Mitgliedsstaaten setzten dabei über den Europäischen Rat die Interessen ihrer heimischen Industrien durch. Deutschland habe beispielsweise in der Vergangenheit "regelmäßig auf Wunsch der Automobilindustrie Auflagen und Grenzwerte für Autos zum Schutz von Umwelt und Gesundheit über den Rat verhindert oder verwässert", heißt es im Bericht. Die nationalen Regierungen würden somit zum "Lobbyvehikel", sagte Imke Dierßen. Deshalb müsse der Rat Teil des EU-Lobbyregisters werden, so die Forderung aus dem Bericht.
Weiterer Kritikpunkt: Die Unausgewogenheit der Treffen
Weiterhin entscheidend für den Einfluss der Konzerne sei die Unausgewogenheit der Treffen der politischen Akteure. "Wir können jetzt sehen, welche Lobbyisten die EU-Kommission trifft", sagte Katzemich. Dabei wurden in dem Bericht Treffen von 22 der 28 EU-Kommissare ausgewertet: Jeder Dritte habe sich demnach zu über 70 Prozent mit Wirtschaftsvertretern getroffen. Beispielsweise treffe das Klima- und Energieressort acht Mal Konzernvertreter, bevor es eine Umweltorganisation treffe, so Katzemich. Es sei deshalb nicht überraschend, dass der EU-Kommissar für Klimaschutz und Energie, Miguel Arias Canete, während seiner Amtszeit vor allem Gasinfrastrukturprojekte gefördert habe. Auch privilegierte Zugänge zu den politischen Akteuren kritisieren die Verfasser – so zum Beispiel das vom EU-Kommissar für Haushalt und Personal Günther Oettinger organisierte "Mini-Davos" - ein Treffen, zu dem er "handverlesene Gäste aus der Wirtschaft nach Lech am Arlberg lädt", so die Autoren im Bericht. Lobbycontrol fordert deshalb Ausgewogenheit bei den Treffen und Transparenz bei den Lobbykontakten von europäischen Spitzenpolitikern.
Bei aller Kritik: Die EU hat auch Fortschritte gemacht
Der Sprecher der Grünen im Europaparlament, Sven Giegold, sieht die EU-Institutionen beim Thema Lobbyismus jedoch gut aufgestellt, bescheinigte ihnen gar "die höchste Lobbytransparenz in Europa". "Brüssel hat ein Lobbyismusproblem, aber mittlerweile auch starke Transparenzregeln." Bundesregierung und Bundestag seien deutlich intransparenter, so Giegold am Montag. "Einseitiger und überbordender Lobbyismus ist eine regelrechte Geißel der europäischen Einigung, denn viele Menschen misstrauen den Entscheidungen aus Brüssel." Das Transparenzproblem liege heute jedoch eher bei den Mitgliedsstaaten als bei den EU-Institutionen, sagte Giegold.
Bei aller Kritik hielt auch Imke Dierßen fest, "dass die Europäische Union beim Umgang mit Lobbyismus durchaus auch Fortschritte gemacht hat". "In Sachen Lobbytransparenz ist Brüssel Berlin und auch anderen europäischen Hauptstädten inzwischen teilweise weit voraus – und das ist gut. Aber es reicht nicht."