Zusammenarbeit oder Eigenständigkeit: Die Linkspartei muss sich entscheiden
Ohne grundlegend veränderte Ansprache der Wähler ist die Linkspartei gefährdet. Und sie muss in der Oppositionsfrage Farbe bekennen. Ein Kommentar.
Die Gesichter sprachen Bände, das Entsetzen war groß. Die Wahlparty in Brandenburg – Stille beim Ergebnis. Die Spitzen nervös, betroffen – so geht es der Linkspartei immer noch, am Tag danach. Und sie weiß, dass es so auf Dauer nicht weitergeht. Gerade im Osten der Republik, wo sie sich zu Hause wähnte, ist die Partei abgestraft worden. Oder wie will man anders nennen, was da geschehen ist? In zwei Ländern haben die Menschen der Linken Stimmen versagt, in einem Umfang, dass denen im Bund angst und bange werden kann.
Die Linkspartei im Osten auf Westniveau: Wer sich das vor Augen führt, der weiß um die Aufgabe. Dietmar Bartsch weiß es bestimmt. Er ist der große Kühle. Doch eben weil er kühl ist, will der Fraktionschef eine genaue Analyse, bevor es losgeht mit Veränderungen. Dass die nötig sind, kann im Ernst niemand mehr bestreiten.
Verändert werden muss, man möchte fast sagen, das ganze Programm. Die Ansprache der Wähler gelingt nicht mehr. Die Zeiten, da die Linkspartei quasi automatisch als Stimme des Protests wahrgenommen und sie dafür die Stimmen erhielt, sind vorbei. Sogar endgültig, wie es scheint.
Wenn sich Extreme berühren: Es gibt auch eine Abwanderung von Unzufriedenen, bisher links-affinen, zur rechten AfD. Die auch deshalb gewählt wird – nach allem, was man hören kann, wenn die Menschen offen reden, weil sie den Protest in unmissverständliche Forderungen umsetzt. Noch dazu in einer Sprache, die eher nichts Papiernes an sich hat, will sagen: wenig Substantive, kein altbekannter Funktionärssprech.
Wie bündnisfähig ist die Partei?
Nun ist ja Sprache das Gewand der Gedanken, und deshalb liegt eine weitere Herausforderung darin, dass die Linkspartei sich über ihre zukünftigen Ziele in einer Weise verständigen muss, die nicht bloß Zerrissenheit bemäntelt. Ist also, um nach vorne zu schauen, Bodo Ramelow als ihr erster Ministerpräsident für die Linkspartei stilbildend, sie bestimmend, oder nicht? Wie weit reicht der Wunsch nach der Rolle als Opposition noch in die Partei hinein? Gibt es da zwischen dem Westen, dem alten WASG-Klientel, und dem Osten Gräben? Und wenn doch weiter Opposition, dann wie? Andererseits: Wie bündniswillig und -fähig ist die Linke und will sie sein?
Zumal noch zu berücksichtigen ist, dass die Linkspartei und die SPD im linken Spektrum nicht wechselseitig hinzugewinnen, sondern sich inzwischen sogar als Anti-AfD-Funktionspartei Konkurrenz machen. So geschehen in Brandenburg, woraus sich zumindest zum Teil die Halbierung im Wahlergebnis erklären könnte.
Überhaupt: das linke Spektrum. Eine Mehrheit links der Mitte aus mehreren Parteien, eine Zeitlang Wirklichkeit, schmilzt dahin. Wie die einzelnen Parteien. Was daraus noch werden soll? Jedenfalls kommt mit jeder Wahl auch die Entscheidung in der Grundsatzfrage näher, in welchem Maß Zusammenarbeit und Eigenständigkeit zueinander stehen. Kein Wunder, dass Bartsch mehr Zeit haben will – erst recht nach den Erfahrungen mit Kommunistischer Plattform und „Aufstehen“.
Aber so viel Zeit ist nicht, alles über das gegenwärtige Innenleben zu erfahren. Dietmar Bartsch peilt den Oktober an. Das ist spät – und kann die Partei gefährden. Dann nämlich, wenn Bodo Ramelow in Thüringen auch noch verliert.