Winfried Kretschmann: „Die Linke ist im Bund nicht regierungsfähig“
Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann über Rot-Rot-Grün, Steuererhöhungen und die Lage im Ländle. Lesen Sie hier das ganze "Tagesspiegel"-Interview.
Herr Kretschmann, Sie kennen sich gut mit Wutbürgern aus – Stichwort Stuttgart 21. Jetzt demonstrieren Tausende in Dresden und anderswo gegen eine angebliche Islamisierung des Abendlandes. Sind das Wut- oder eher Angstbürger?
Da kommen diffuse Ängste, Vorurteile und Unkenntnis zusammen. Es ist auffällig, dass die größte Demonstration in der Landeshauptstadt des Landes stattfindet, in dem nur 0,1 Prozent der Einwohner Muslime sind. In Stuttgart, wo wir einen der höchsten Anteile an Migranten und damit auch mehr Muslime haben, wurde nicht demonstriert.
Umfragen zeigen, dass die Angst vor dem Islam weit verbreitet ist. Woran liegt das?
Die arabische Welt und damit das Kulturland des Islam befindet sich in einer tiefen Krise. Vor diesem Hintergrund haben sich fundamentalistische Strömungen ausgebreitet, die an ihren Rändern in Gewalt und Terror ausfransen. Medial vielfach verbreitet entstehen dadurch leicht Vorurteile und Ängste gegenüber dem Islam. Eine Aufgabe aller Religionen ist es, sich immer wieder selbst zu reinigen von von menschenrechtsfeindlichen Strömungen. Das gilt auch für den Islam. Wir haben in Tübingen das erste Zentrum für Islamische Theologie und weiten das Modellprojekt für Islamischen Religionsunterricht aus. Nur so können wir sicher erreichen, dass Kinder und Jugendliche den Islam nicht von Extremisten „beigebracht“ bekommen, die ihn als Ideologie missbrauchen.
Hart verurteilen oder das Gespräch suchen – wie mit „Pegida“ umgehen?
Ängste und Vorurteile von Menschen kann man nicht verurteilen. Wir müssen mit ihnen reden und sie von etwas Besserem überzeugen. Es gibt nur ein Mittel: Aufklärung, miteinander reden, statt übereinander. Das gilt aber nicht für die Drahtzieher, die die Vorurteile der Menschen für ihre niederen politischen Zwecke missbrauchen.
Wie kann Politik den Bürgern Ängste nehmen – etwa vor der wachsenden Zahl von Flüchtlingen?
Man darf nicht warten, bis einem die Probleme auf die Füße fallen. Die Bürger müssen in jedem Fall einbezogen werden. Sonst haben Demagogen freie Bahn. Wenn wir in unserem Land eine Flüchtlingsunterkunft einrichten, dann bemühen wir uns darum, die Menschen in der Region zu informieren. Wir halten einen engen Draht zu den Kommunalpolitikern. Vertreter des Ministerium für Integration sind bei öffentlichen Gemeinderatssitzungen vor Ort. Zudem halten wir öffentliche Bürgerversammlungen ab, in der die Bürgerinnen und Bürger ihre Bedenken und Ängste vortragen können, die sie dann offen mit der Integrationsministerin Bilkay Öney debattieren. Das Ergebnis ist in der Regel außerordentlich erfreulich, wie wir in Meßstetten oder Ellwangen gesehen haben. Empathie und Hilfsbereitschaft sind die vorherrschende Stimmung in unserem Land.
Sie regieren eines der Bundesländer mit der größten Wirtschaftskraft in Deutschland. Was kann der Rest der Republik von Baden-Württemberg lernen?
Wie man bei Investitionen die richtigen Prioritäten setzt. Wir sind das Land mit den höchsten Investitionen in Forschung und Entwicklung! 5,1 Prozent des Bruttoinlandsprodukts steckt Baden-Württemberg in diesen Bereich, mehr als jedes andere Land und jede andere Region in Europa. Bundesweit liegt der Schnitt bei knapp drei Prozent.
Was bringt das?
In der Wissensgesellschaft ist ökonomischer Fortschritt immer stärker von einem schnellen Transfer von Wissen abhängig. Das gilt auch für die mittelständischen Betriebe bei uns. Es geht darum, unsere Position an der Spitze der wirtschaftlichen Prosperität in einem harten globalen Wettbewerb zu sichern. Deshalb legen wir auch einen Schwerpunkt auf die Gestaltung der Digitalen Revolution. Bei uns müssen die intelligentesten Fabriken stehen, damit unsere Wirtschaft auch im Zeitalter des Internets der Dinge und des Internets der Dienste führend bleibt. Wir haben den Ehrgeiz, dass Baden-Württemberg bei der Digitalisierung ganz vorne mit dabei ist.
Hat der ökologische Umbau der Wirtschaft nicht mehr oberste Priorität?
Doch. Man kann von Baden-Württemberg auch lernen, dass Ökologie ein Geschäftsmodell ist. Sinnhafte, strenge ökologische Vorgaben sind ein Innovationsmotor, sie sichern unsere Konkurrenzfähigkeit und unsere guten Arbeitsplätze. Denn hohe Abgasnormen sind zum Beispiel nur mit absolutem High tech zu erfüllen. Und ein Land wie China kann seine Umweltprobleme nur in den Griff bekommen, wenn es auf moderne, schadstoffarme Technologien setzt. Die müssen von uns kommen.
Nach dieser Logik müssten die Schadstoff-Auflagen für die Automobilindustrie noch härter werden…
Die Schadstoffauflagen müssen passen. Ökologische Ziele müssen ambitioniert, aber auch erreichbar sein: Also stimulieren und nicht strangulieren.
Das hätte jetzt auch der Verband der Deutschen Automobilindustrie sagen können...
Was hätten wir davon, wenn die Autos von denen gebaut würden, die weniger strenge Vorschriften haben? Erst einmal müssen wir es schaffen, dass der Flottendurchschnitt der Neuwagen bis zum Jahr 2021 im Schnitt nur noch 95 Gramm CO2/km emittiert – so wie es EU-weit beschlossen ist. Die Unternehmen haben Planungssicherheit und wissen, was sie erreichen müssen. Das gilt es jetzt erst einmal umzusetzen.
Müssen die Grünen grundsätzlich rücksichtsvoller mit der Wirtschaft umgehen?
Wenn man den richtigen ordnungspolitischen Rahmen hat, braucht man den Unternehmen nicht jeden Tag Vorschriften zu machen. Viele Unternehmen haben in den 30 Jahren unserer Existenz schon mitbekommen, was nachhaltig und grün ist - und verstanden, dass man über Ressourceneffizienz wirtschaftlich erfolgreicher sein kann.
Im Bundestagswahlkampf haben die Grünen mit dem Kurs der Steuererhöhung die Mittelschicht verprellt. Wie stellen Sie sich ein grünes Steuerkonzept vor?
Die Partei wird mit Sicherheit nicht den gleichen Fehler zwei Mal machen. Wir sollten nicht immer neue Steuererhöhungsdebatten führen, erst recht nicht in einer Zeit sprudelnder Steuereinnahmen. Anstatt den Leuten mit höheren Steuern zu drohen, müssen wir erst einmal Steuerhinterziehung bekämpfen, Steuerschlupflöcher in Europa dichtmachen und das Steuerdumping einzelner EU-Mitglieder beenden. Wenn man die höheren Steuern nur von denen holt, an die man gut herankommt und die ehrlich ihren Beitrag leisten, werden die zu Recht irgendwann sauer.
Bei den Bundes-Grünen setzen manche immer noch auf Rot-Rot-Grün nach 2017. Kann man mit den Linken eine Wirtschaftsnation wie Deutschland regieren?
Die Linke ist bundespolitisch derzeit mit Sicherheit nicht regierungsfähig. Sie tut so, als lebten wir noch in einer Nationalökonomie. Wir leben aber in einer globalisierten Welt. Ich halte eine rot-rot-grüne Koalition nach der Bundestagswahl 2017 derzeit für vollkommen ausgeschlossen, auch und vor allem wegen der Außenpolitik. Die Linke hat sich doch mit ihrer prorussischen Position in der Ukraine-Krise in einem Ausmaß desavouiert, das ich nicht für möglich gehalten hätte.
Verbindet Sie nichts mit einem Pragmatiker wie Bodo Ramelow, der als erster linker Ministerpräsident Thüringen regiert?
Die Grünen vertreten eine eigenständige, neue Idee in der Politik, das ist die Nachhaltigkeit. Die Linke ist nur eine radikalisierte Form der Sozialdemokratie, an ihr ist nichts originell, aber auch gar nichts. Der Kollege Ramelow scheint mir eher ein biederer Sozialdemokrat zu sein. Im Kreise der Ministerpräsidenten werden wir sicher vernünftig zusammenarbeiten. Da geht es darum, die Landesbelange zu formulieren und sich im Bund Gehör zu verschaffen.
Baden-Württemberg wählt im Frühjahr 2016. Der Ausgang der Landtagswahl gilt als wichtige Weichenstellung für die Bundestagswahl eineinhalb Jahre später. Was erwarten Sie von Ihrer Bundespartei?
Wir sind das einzige Land, in dem die Grünen den Ministerpräsidenten stellen. Es wird sehr genau geschaut werden, wie wir abschneiden, das wird sehr wichtig für die Bundestagswahl. Ich habe eine hohe Unterstützung im Land, aber die Menschen können mich nicht direkt wählen. Also müssen die Grünen als Partei attraktiv sein, damit wir die hohen Zustimmungswerte auch bei der Wahl wieder erreichen. Das müssen wir natürlich im Land hinkriegen, da liegt aber auch eine Aufgabe für die Bundes–Grünen. Ich bin aber sicher, dass die Bundespartei uns jede Unterstützung zukommen lassen wird, um dieses Ziel zu erreichen. Der letzte Parteitag hat mir Mut gemacht.
Können die Wähler sicher sein, dass Sie die ganze Legislaturperiode im Amt bleiben, wenn Sie gewählt werden?
Ich bemühe mich, vernünftig zu essen, ein bisschen Sport zu machen und wenig zu trinken. Aber die Gesundheit hängt nun nicht mal nur von einem selbst ab, das Leben liegt in Gottes Hand. Ich kann den Wählern aber sagen, ich trete natürlich an für die ganze Legislaturperiode. Was wir in den ersten fünf Jahren angefangen haben, wollen wir in den nächsten fünf Jahren vertiefen und festigen.
Das Gespräch führten Hans Monath und Stephan Haselberger.
Hans Monath, Stephan Haselberger