Türkei: Die Kurden hoffen auf ein besseres Leben
Die PKK hat offiziell den Waffenstillstand verkündet. Im Südosten der Türkei wünscht man sich nach 30 Jahren Krieg nun neben Frieden auch etwas Wohlstand.
Die Provinz Hakkari im Dreiländereck zwischen der Türkei, dem Iran und dem Irak, liegt nicht nur geografisch in der hintersten Ecke der Türkei. Die Gegend mit der gleichnamigen Hauptstadt gehört zu den ärmstem des Landes und war bisher ein Hauptkriegsschauplatz des Kurdenkonflikts. Nun, nachdem die PKK dem Appell des kurdischen Rebellenchefs Abdullah Öcalan gefolgt ist und am Wochenende offiziell den Waffenstillstand mit der Türkei verkündet hat, schöpfen die Menschen dort neue Hoffnung. Nach 30 Jahren Krieg sehnen sie Fabriken, Investitionen, Arbeitsplätze und langfristig auch Touristen herbei.
Sait Caglayan wurde in Hakkari geboren und hat sein ganzes Leben in der Gegend verbracht. Der 50-Jährige ist Sekretär des Türkischen Menschenrechtsvereins IHD in der Provinz, und er hat im Laufe der Jahre häufig am eigenen Leib zu spüren bekommen, wie sehr der Kurdenkonflikt die Gegend und die Menschen geprägt hat. Erst im vergangenen Jahr wurde Caglayan wegen des Verdachts auf Unterstützung der kurdischen Rebellengruppe PKK einige Tage lang eingesperrt; auf Anordnung eines Gerichts kam er damals wieder frei.
„Von meinen 50 Jahren habe ich 30 im Krieg verbracht“, sagte Caglayan am Telefon. „Es waren nicht nur die Kämpfe, es war auch der psychische Druck.“ Alltag bedeutete Kriegsalltag in Hakkari. Schwer bewaffnete Einheiten der türkischen Armee fuhren durch die Straßen der Städte, Kampfflugzeuge überflogen die Gegend, PKK-Trupps sickerten über die nahe Grenze aus dem nahen Nordirak ein und verübten Anschläge.
Auch einer der berüchtigsten Sabotageakte türkischer Sicherheitskräfte spielte sich in der Provinz Hakkari ab: Im Jahr 2005 zündeten Mitglieder eines Militärgeheimdienstes eine Bombe in einem Buchladen in der Stadt Semdinli und töteten einen Menschen. Die Behörden stellten die Gewalttat zunächst als PKK-Anschlag hin, mussten dann aber zugeben: Es war das Werk von Sicherheitskräften, die in der Gegend kurdisch-türkische Spannungen anfachen wollten. Die Provinz kam nicht zur Ruhe. 2012 sollen bei schweren Gefechten im Raum Sendinli 115 PKK-Kämpfer getötet worden sein.
Der lange Krieg hat Hakkari vom Wirtschaftsboom im Rest der Türkei abgeschnitten. Das jährliche Einkommen eines Bürgers in der Provinz liegt bei umgerechnet etwa 3400 Euro – weit unter dem türkischen Gesamtdurchschnitt von knapp 12 000 Euro. „Es gibt keine Fabriken hier, keine Arbeitsplätze“, sagte Caglayan. Was es an Wirtschaftsleistungen gibt, ist häufig illegal. Erst in den vergangenen Tagen wurden 1,2 Millionen Packungen geschmuggelte Zigaretten in der Provinz beschlagnahmt.
Dabei hat die wildromantische Gegend Potenzial. Die Nähe zum Irak und zum Iran könnte die Provinz zu einem Umschlagsort des Handels machen. Derzeit sind viele Grenzübergänge wegen des PKK-Konflikts geschlossen. Caglayan hofft, dass sich das bald ändern wird. Der erste Flughafen in der Provinz soll noch in diesem Jahr eröffnet werden, nachdem auch dieses Projekt unter dem Kurdenkonflikt zu leiden hatte: 2012 entführte die PKK vorübergehend mehrere Arbeiter der Flughafenbaustelle. „Wenn wir erst den Flughafen haben und die Iraner über die Grenze zu uns kommen, dann werden sie von Hakkari aus in die ganze Welt fliegen können“, sagte Caglayan. Das werde der Provinz einen bitter benötigten wirtschaftlichen Aufschwung bescheren.
Möglich erscheint das alles durch die Verhandlungen zwischen Öcalan und dem türkischen Staat, die zum Friedensappell des PKK-Chefs am 21. März führten. „Sehr positiv“ sei das, sagte Caglayan. Nun komme es darauf an, dass beide Seiten ihre Verpflichtungen erfüllten. Die PKK soll nach Öcalans Worten ihre Kampfverbände aus der Türkei zurückziehen – die Rede ist von etwa 1500 Rebellen, die bis August das Land Richtung Nordirak verlassen haben sollen. Gleichzeitig soll der türkische Staat die politischen und sozialen Rechte der Kurden in der geplanten neuen Verfassung garantieren. „Das gibt uns eine neue Atmosphäre, neuen Sauerstoff“, sagte Caglayan.
Nicht nur in der Provinz Hakkari lebt diese Hoffnung auf. Die Menschen im ganzen Kurdengebiet hätten in den langen Kriegsjahren gelernt, jeden Tag so zu leben, als ob es ihr letzter sei, sagte Selahattin Demirtas, Vorsitzender der legalen Kurdenpartei BDP, der Tageszeitung „Hürriyet“ am Wochenende . Das werde sich nun ändern. „Endlich gibt es auch für uns ein Morgen.“
Thomas Seibert
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