Ursula von der Leyen: Die Krisenministerin
Eine marode Hubschrauberflotte, massive Materialprobleme und ein dubioses Ampel-System: Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen kann zwar nichts für die Pannen bei der Bundeswehr - trotzdem trägt sie Verantwortung.
Immerhin, diese eine Transall fliegt. Am Donnerstagmittag landet einer der olivgrünen Uralt-Transporter der Bundeswehr auf dem Flughafen von Erbil im Nordirak. An Bord ist die Bundesministerin der Verteidigung. Ursula von der Leyen (CDU) besucht die Hauptstadt der Kurdenregion, in der deutsche Waffen und deutsche Ausbilder den Kampf gegen die Terrortruppen des „Islamischen Staats“ unterstützen sollen. Ein symbolisch wichtiger Besuch; nur fällt das Symbol ein wenig anders aus als geplant.
Die Chefin ist schon mal da – Waffen und Ausbilder lassen auf sich warten. Seit Tagen sitzt das erste Ausbilderteam in Bulgarien fest. Ihre erste Transall war erst nicht startklar und fiel dann ganz aus, aus der zweiten tropfte Kerosin, jetzt hoffen alle auf die dritte. Doch das ist mehr als eine ärgerliche Panne. Der Serien-Ausfall beschreibt anschaulich den Zustand vieler Großgeräte der Bundeswehr. Die Misere ist seit Mittwoch amtlich. Der Verteidigungsausschuss des Bundestags hatte Leyens Haus vor Wochen aufgefordert, dem Parlament eine Übersicht über die Materiallage zu geben. Die Abgeordneten waren es leid, immer nur aus der Zeitung zu erfahren, dass dieses Fahrzeug und jener Hubschrauber wegen schwerer Mängel gerade nicht einsetzbar ist.
Die Hubschrauberflotte steht praktisch komplett am Boden
Der Ärger ging quer durch die Fraktionen, weil die Koalitionäre ebenso im Dunkeln tappten wie die Opposition. Vom Totalausfall der „Sea Lynx“-Bordhubschrauber hörten sie Anfang der Woche schon wieder aus den Medien. Nach dem Auftritt von Generalinspekteur Volker Wieker und den drei Inspekteuren von Heer, Marine und Luftwaffe ist der Ärger allerdings noch größer als zuvor. Was die Generäle zu berichten hatten, löste allseits Kopfschütteln aus. Und die Art, wie sie es berichteten, sorgte gleich noch mal für Ärger. „Wir sind doch keine Klippschüler!“, empörte sich ein Koalitionsmann hinterher.
Die Militärs hatten sich ein Ampel-System ausgedacht, um den Zustand von Flugzeug-, Schiffs- und Panzerflotten Typ für Typ zu beschreiben: Grün für okay, Gelb für nicht okay, Rot für kritisch. Doch nicht genug, dass die Ampelei Durchschnittswerte für überdies ganz unterschiedliche Zeiträume lieferte – jeder Inspekteur hatte auch seine eigene Idee davon, was die drei Farben heißen sollten. Der Verdacht der Schönfärberei entstand spätestens, als Marineinspekteur Axel Schimpf zugeben musste, dass seine „gelb-rot“ markierte Hubschrauberflotte praktisch komplett am Boden steht. Die Kampfjets Tornado und Eurofighter waren grün, doch die Interpretation lieferte Inspekteur Karl Müllner erst nach: Das Fluggerät reicht genau für die jetzigen Aufträge, an neue Einsätze ist nicht zu denken.
Der Ausschuss war sich danach einig: So geht das nicht. Einmütig fiel der Beschluss, dass die Militärs künftig jährlich Bericht erstatten, ohne Ampel, dafür mit präzisen Zahlen für präzise Zeiträume. An der Lage ändert das nichts – Wieker gab zu, dass sich vor allem beim fliegenden Gerät Überalterung einerseits und Mangel an Ersatzteilen andererseits noch über Jahre hinweg auswirken werden. Aber wenigstens, sagt ein SPD-Parlamentarier, wolle man nicht weiter „von denen für dumm verkauft werden“.
Neue Maschinen werden ausgeschlachtet, um andere zu flicken
Leyen war übrigens nicht im Ausschuss. Sie hatte andere Termine, zur Mittagszeit zum Beispiel den Besuch des Kollegen aus Rumänien. Trotzdem konnten die Abgeordneten die Sicht der Oberkommandierenden erfahren, und zwar aus der Zeitung. „Bei allen Waffensystemen ist es normal, dass immer ein Anteil in der Wartung und Instandsetzung ist“, belehrte Leyen die „Bild“-Leserschaft. Das stimmt. Nur ist der Anteil bei praktisch der gesamten Hubschrauberflotte, bei U-Booten oder dem Transportpanzer „Boxer“ eben alarmierend hoch.
Einer, der das schon lange beklagt, ist Hellmut Königshaus. Der Wehrbeauftragte steht am Mittwochabend beim alljährlichen Parlamentarischen Abend des Reservistenverbands und erinnert daran, dass in seinem letzten Bericht viel zu lesen war über die extreme Belastung von Mensch und Material. Beides hängt zusammen: In den Eurofighter-Luftwerften, sagt ein Abgeordneter, der sich da auskennt, „kloppen die Leute eine Überstunde nach der anderen, damit die überhaupt in der Luft bleiben können“.
Ist bei der Transall – Erstflug 1963 – das Alter das Problem, ist es bei Eurofighter oder Tiger-Kampfhubschrauber die Jugend. In der Finanzkrise 2010, erläuterten die Militärs im Ausschuss, sei die Ersatzteilbeschaffung auf Eis gelegt worden. Aber auch die Firmen bauen die teuren Teile erst, wenn der Kunde ordert. Dazwischen ist Kreativität gefragt. Tiger-Mechaniker etwa behelfen sich mit elf Vorserienmodellen – fast neue Maschinen werden ausgeschlachtet, um andere zu flicken.
Von den 56 Transall sind nur 24 einsatzbereit
Für Leyen ist der Mängelbericht mehr als bloß ärgerlich. Sie kann nichts für Versäumnisse der Vergangenheit. Die Verantwortung und die Folgen hängen trotzdem an ihr. Der frohgemute Aufruf aus ihren ersten Amtstagen für mehr deutsches Engagement in der Welt passt mit der tristen Realität schlecht zusammen. Lufttransport etwa steht auf der Wunschliste für Kriseneinsätze stets weit vorn – doch von den 56 Transall sind nur 24 als einsatzbereit gelistet. Da droht dann rasch der harte Aufschlag auf dem Boden schlechter Tatsachen. Selbst Leyens erfolgreicher Aufruf an die Bundeswehr zum freiwilligen Ebola-Einsatz in Westafrika hat, wie ein Abgeordneter vermutet, eine weniger heroische Kehrseite: Die etwa 500 Männer und Frauen, die die Ministerin braucht, bekomme sie mit den regulär verfügbaren Sanitäts- und Logistikeinheiten wohl gar nicht zusammen.
Um so wichtiger ist für die ehrgeizige Christdemokratin, dass die Aufräumaktion in ihrem Rüstungsressort bald Wirkung zeigt. Anfang Oktober soll der Bericht der Unternehmensberatung KPMG vorliegen, die im Ministerium neue Wege durch den Beschaffungsdschungel sucht. Von den 15 zentralen Rüstungsprojekten, die Leyen nicht ungeprüft abnicken wollte, sind nur neun geblieben; für den Rest reichten Zeit und Geld nicht. Und danach muss dann die neue Staatssekretärin Katrin Suder durchsetzen, dass dem Gutachten Taten folgen und den Taten Erfolge. Für Leyen, sagt einer, der sich im Haus auskennt, sei die frühere McKinsey-Managerin jetzt geradezu überlebenswichtig: „Sie kann nur hoffen, dass die Suder einen Bombenjob macht.“