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Angela Merkel nach ihrem wohl letzten EU-Gipfel vor der Presse
© Reuters/Aris Oikonomou/Pool

Angela Merkels Abschied von Brüssel: Die Krisenkanzlerin

Ihr erster EU-Gipfel war der vom Dezember 2005. Ihr 107. ist nun wohl der letzte für Merkel gewesen. Eine Bilanz zu 16 Jahren Europapolitik mit der Kanzlerin.

Es war ihr 107. EU-Gipfel, den Angela Merkel am Donnerstag und Freitag in Brüssel absolviert hat. Ob noch ein weiteres Treffen der Kanzlerin im Kreis der europäischen Staats- und Regierungschefs hinzukommt, hängt vom Tempo der Regierungsbildung in Berlin ab. So oder so endet aber demnächst mit Merkels Abschied eine europapolitische Ära.

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Knapp 16 Jahre liegen zwischen Merkels erstem EU-Gipfel im Dezember 2005 und dem jüngsten Treffen. Sie hat als Kanzlerin mit vier französischen Präsidenten, fünf britischen Premierministern und sechs polnischen Ministerpräsidenten zusammengearbeitet. Die mit Abstand dienstälteste Regierungschefin in der EU war immer wieder gefragt, wenn europäische Bewährungsproben anstanden – vom Scheitern der EU-Verfassung im Jahr 2005 über den Austritt Großbritanniens bis zur Pandemie.

Europa-Experte: Merkel vermied es, als Visionärin aufzutreten

Möglicherweise steht der letzte Gipfel symbolhaft für die ganze Europapolitik der Kanzlerin. Im Streit mit Polen und in der Diskussion über die hohen Energiepreise gab es kaum nennenswerte Fortschritte, aber auch kein Zerwürfnis unter den EU-Staaten. „Merkel hat immer darauf Wert gelegt, Schritt für Schritt voranzugehen. Sie hat es stets vermieden, als Visionärin aufzutreten“, bilanziert Nicolai von Ondarza von der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP).

„Doppelschock von Brexit und Trump“

Vor allem nach dem „Doppelschock von Brexit und Trump“ habe Merkels wesentliches Ziel ab 2016 darin bestanden, die EU zusammenzuhalten, sagt von Ondarza. Deshalb habe sie auch keine Initiativen unterstützt, welche die EU hätten spalten können. Das Nachsehen hatte dabei lange Zeit Frankreichs Präsident Emmanuel Macron, der im September 2017 in seiner Rede an der Sorbonne-Universität einen neuen Aufbruch für die EU forderte.

Macron regte damals unter anderem einen eigenen Haushalt für die Euro-Zone an, aus dem zusätzliche Investitionen und Gelder zur Stabilisierung angeschlagener Mitgliedstaaten der Währungsunion fließen sollten. Merkel blieb lange Zeit eine Antwort auf den Vorstoß aus Paris schuldig. Erst unter dem Druck der Corona-Krise erklärte sie sich bereit, dem Corona-Wiederaufbaufonds und der gemeinsamen Aufnahme von Schulden zuzustimmen.

Merkel und der damalige griechische Premier Alexis Tsipras im Jahr 2015.
Merkel und der damalige griechische Premier Alexis Tsipras im Jahr 2015.
© Tobias Schwarz/AFP

Dabei gab es in der 16-jährigen Amtszeit durchaus auch Momente, in denen ihre tiefer gehenden europapolitischen Vorstellungen aufblitzten. So plädierte sie bei einer Rede im belgischen Leuven 2017 dafür, dass sich die Brüsseler Kommission vor allem auf jene Belange konzentrieren solle, die besser auf EU-Ebene statt nationalstaatlich gelöst werden könnten. Dazu zählte sie die Sicherheitspolitik, die Wirtschaftspolitik gegenüber Partnern wie China und auch den Umgang mit Flüchtlingen. Die Tatsache, dass die EU sich bis heute nicht zu einer Reform des Asylsystems hat durchringen können, hat Merkel zuletzt wiederholt beklagt.

Schröder sprach noch von „verbratenen“ deutschen Steuergeldern

Anders als etwa ihr Vorgänger Gerhard Schröder (SPD) musste die Kanzlerin im Grundsatz auch nie vom Sinn und Zweck des Brüsseler Räderwerks überzeugt werden. Schröder hatte gleich zu Beginn seiner Amtszeit gezürnt, dass in Brüssel deutsche Steuergelder „verbraten“ würden. Ganz anders Merkel: Sie war bei ihrem ersten EU-Gipfel 2005 erst wenige Wochen im Amt, als es in Brüssel auch gleich um die künftige Verteilung von EU-Milliarden ging. Sie vermittelte im Streit zwischen dem damaligen Ratschef Tony Blair und dem französischen Präsidenten Jacques Chirac. Die Kanzlerin erwarb sich dadurch sehr schnell ihren Nimbus als effiziente Kompromisseschmiedin.

Dabei profitierte sie schon zu Beginn ihrer Amtszeit davon, dass sie den EU-Betrieb bereits aus ihrer Zeit als Oppositionsführerin kannte. Aus den politischen Familientreffen der konservativen Europäischen Volkspartei (EVP) wusste sie, wie beispielsweise schillernde Zeitgenossen wie der damalige italienische Ministerpräsident Silvio Berlusconi ticken.

Dem Ruf der Krisenmanagerin blieb sie auch in den folgenden Jahren treu. Egal ob es unter deutscher Ratspräsidentschaft 2007 um einen neuen Vertrag für die Europäische Union nach der Osterweiterung, 2010 um die Schaffung eines Euro-Rettungsfonds oder 2015 um die Abwendung eines Austritts Griechenlands aus der Euro-Zone ging – stets trat Merkel gleichermaßen zäh und detailsicher auf.

Laudatio auf die Kanzlerin

Die zahlreichen Verhandlungsnächte haben der Kanzlerin zu einem großen Erfahrungsschatz in der Europapolitik verholfen. Wenn die Kanzlerin bei Gipfeln das Wort ergriff, wurde es meist still im Saal. Zu ihrem Abschied am Freitag griff EU-Ratschef Charles Michel gar zu dem Vergleich, dass ein Gipfel ohne Merkel „wie Rom ohne den Vatikan oder Paris ohne den Eiffelturm“ sei.

Andererseits hat Merkels Kurs, der in den letzten Jahren von Vorsicht geprägt war, nach Ansicht des Europa-Experten von Ondarza dazu geführt, dass einige politischen Chancen verpasst wurden. Merkel müsse sich vorwerfen lassen, dass Deutschland zuletzt nichts unternommen habe, um die Euro-Zone und den Schengen-Raum krisenfester zu machen.

Am Ende ihres mutmaßlich letzten Gipfels wurde Merkel auch gefragt, was sie tun würde, falls sie in einem Jahr einen Anruf aus Brüssel mit der Bitte erhalten würde, wegen eines drohenden Auseinanderbrechens der EU zu vermitteln. Die Kanzlerin antwortete als Berufsoptimistin. Sie gehe davon aus, sagte sie, dass die EU gar nicht an einen solchen Punkt gelange.

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