Streit über deutsche Klimapolitik: „Die Kohle wird 2040 keine Rolle mehr spielen“
UBA-Chefin Maria Krautzberger hätte sich das Klimaaktionsprogramm etwas ehrgeiziger vorstellen können. Die kostenlosen CO2-Zertifikate für die Industrie findet sie "historisch überholt".
Am 3. Dezember will das Bundeskabinett sein Klimaaktionsprogramm beschließen, das Deutschland in die Lage versetzen soll, sein Klimaziel bis 2020 einzuhalten, also 40 Prozent weniger Treibhausgase auszustoßen als 1990. Kann Umweltministerin Barbara Hendricks (SPD) mit diesem Programm in der Tasche beruhigt zum Klimagipfel in Lima fahren?
Sie kann zumindest nach Lima fahren mit einem Aktionsprogramm, das konkrete Einsparpotenziale für Kohlendioxid (CO2) benennt. Ohne das müsste sie mit leeren Händen fahren. Das wäre die misslichste Situation, die man sich vorstellen kann. Auch wenn man sich das Aktionsprogramm hätte ambitionierter vorstellen können, ist es doch sehr wichtig für die internationalen Verhandlungen.
Sind Sie mit einem Minderungsbeitrag von 22 Millionen Tonnen CO2 für die Kohlekraftwerke zufrieden?
Wichtig ist, dass die Kohle als eine Größe im Klimaaktionsprogramm erscheint. Hätte sich die Regierung nicht auf einen Minderungsbeitrag der Kraftwerke einigen können, würde ein entscheidendes Signal fehlen. Es ist klar, dass die Kohle bis 2040 oder 2050 keine große Rolle mehr spielen wird. Das ist ja unbestritten. Die Aufgabe besteht nun darin, den Weg dahin zu gestalten. Diese Aufgabe im Rahmen der Energiewende ist eine der schwierigsten, weil hier Interessen hart aufeinanderprallen. Das hat auch eine soziale und eine politische Dimension. Die Energiewende braucht einen langen politischen Atem und muss von großer gesellschaftlicher Akzeptanz getragen werden. Es geht natürlich auch um Arbeitsplätze und um Perspektiven für diejenigen, die Stellen verlieren werden.
Einige der Probleme wären leichter zu bewältigen, wenn der europäische Emissionshandel nicht mit so vielen Überschuss-Zertifikaten ausgestattet wäre und eine klimapolitische Wirkung erzielen könnte, oder?
Der Emissionshandel muss reformiert werden. Es reicht nicht, ein schönes marktwirtschaftliches Instrument zu haben. Er muss durch anspruchsvolle Zielsetzungen im Sinne des Klimaschutzes wirksam werden. Dieser politische Verhandlungsauftrag in der Europäischen Union fordert nicht nur die Umweltministerin. Das ist eine außenpolitische Aufgabe für die ganze Regierung, und auch für die Kanzlerin.
Gibt es Alternativen?
Der Emissionshandel ist das zielgenauere und elegantere Instrument als eine CO2-Steuer oder Ordnungsrecht wie beispielsweise Grenzwerte für CO2. Aber wenn der Emissionshandel keine Klimawirkung erzielen kann, weil sich die Europäische Union nicht auf anspruchsvolle Ziele verständigt, muss man über andere Instrumente nachdenken. Das kann allerdings auch nicht im Interesse der Wirtschaft sein.
Sehen Sie noch Klimaschutzpotenziale in der Industrie? Die argumentiert, sie habe alles schon ausgereizt, vor allem die energieintensive Industrie.
Ich halte die praktizierte, kostenlose Zuteilung von Emissionszertifikaten an die Industrie in der jetzigen Dimension für historisch überholt. Die technischen Vergleichsgrößen stimmen nicht mehr. In der Handelsperiode von 2020 an müssen sie unbedingt an den technischen Fortschritt angepasst werden. Das schafft Anreize, ungenutzte Effizienzpotenziale in der Industrie zu aktivieren. Die Salzgitter AG beispielsweise erzeugt Flachstahl um ein Vielfaches effizienter durch ein neues Produktionsverfahren. Wenn man diese Einsparung auf die ganze Branche nur in Deutschland hochrechnet, wären das rund 2,3 Millionen Tonnen CO2 im Jahr weniger. Das ist eine ganze Menge, wenn man bedenkt, dass rund 500 Kohlekraftwerke zwischen 2016 und 2020 jährlich insgesamt 4,4 Millionen Tonnen weniger emittieren sollen. Das zeigt: Da gibt es noch viele Möglichkeiten zur Effizienzsteigerung.
Wo hätte das Programm sonst noch ehrgeiziger ausfallen können?
Im Bereich Verkehr hätte ich mir ambitioniertere Pläne vorstellen können. Es ist allerdings fraglich, ob sie schnell, also bis 2020 schon wirken. Viele Ansätze des Aktionsprogramms sind ein wichtiger Schritt nach vorne, aber wir wissen nicht, ob sie bis 2020 in vollem Umfang wirksam werden. Trotzdem ist es bedeutsam, dass es sie gibt, und dass damit eine Richtung für die weitere Treibhausgasminderung in Deutschland vorgegeben wird. Aber, wenn die Bundesregierung Ernst machen will mit einer bedeutsamen Emissionsminderung aus dem Verkehr, dann muss man sich auch den Bundesverkehrswegeplan vornehmen. Der Bundesverkehrswegeplan ist derzeit lediglich eine Auflistung von Wünschen, die in den Ländern für notwendig gehalten werden. Es fehlt ein Zielhorizont, der in Richtung Umweltentlastung oder weniger CO2-Ausstoß geht. Das wäre endlich ein Schritt nach vorne. Dann könnte man die Infrastrukturmaßnahmen nämlich auch unter diesen Gesichtspunkten bewerten. Die anderen Vorschläge im Klimaaktionsprogramm sind hilfreich. Die Aufwertung des öffentlichen Nahverkehrs ist ja kein neues Thema sondern eine Frage der Finanzierung. Aber wichtig auf nationaler Ebene wäre vor allem eine integrierte Verkehrsplanung, die über den Bundesverkehrswegeplan hinausginge. Die Schweiz beispielsweise hat so etwas gemacht.
Was halten sie von dem Plan, in der Landwirtschaft bis 2020 rund drei Millionen Tonnen Treibhausgasemissionen einzusparen?
Da ist die Düngeverordnung genannt, das ist ein wichtiger Punkt. Aber abgesehen davon haben wir noch nicht im Detail analysiert, wie diese Zahl zustande kommt. Es fragt sich, ob man bei der intensiven Tierhaltung noch ein paar klimapolitische Akzente setzen könnte. Dieser Aspekt fehlt in dem Plan.
Wobei die Düngeverordnung einen Zusammenhang mit der Tierhaltung hat.
Das stimmt für die Gebiete mit einer hohen Tierdichte beispielsweise in Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen. Und ich freue mich auch darüber, dass Landwirtschaftsminister Christian Schmidt (CSU) mehrfach gesagt hat, dass er den Klimaschutz für eine der wichtigsten Aufgaben hält.
Bei der Umsetzung der europäischen Agrarreform bin ich mir nicht sicher, ob diese Erkenntnis da zum Tragen gekommen ist.
Das stimmt. Aber da war der Minister ja auch noch nicht im Amt. Er kann sich dann ja bei der Halbzeitüberprüfung der EU-Agrarreform die entsprechenden Akzente setzen.
Überzeugt Sie der Nationale Effizienzplan, der ja auch den Gebäudesektor umfasst?
Das Problem ist auch hier, welche Instrumente eingesetzt werden können. Das ist keine neue Erkenntnis. Es gibt Förderprogramme der bundeseigenen KfW-Bank, die gut sind und wirkungsvoll. Aber ihr Klimanutzen hängt vom Umfang der investierten Mittel ab. Eine leichte Aufstockung des Geldes um 200.000 Euro auf zwei Milliarden Euro im Jahr ist in dem Pogramm enthalten. Was dabei immer ins Gespräch gebracht wird, politisch aber offenbar schwer umzusetzen ist, ist die steuerliche Förderung der energetischen Sanierung. Da gibt es bislang keinen Konsens. Die Sanierung ist auch deshalb ein schwieriges Thema, weil man zu Recht vermeiden will, dass Mieter aus ihren Wohnungen "heraussaniert" werden. Ich teile die Auffassung, dass eine soziale Abfederung wichtig ist. Allein durch die sinkenden Nebenkosten lässt sich die Sanierung jedenfalls selten erwirtschaften.
Vor allem wenn der Ölpreis wie jetzt gerade sinkt und die Nebenkosten zur Abwechslung mal nicht steigen dürften.
Ich würde mir wünschen, dass man sich im Gebäudebereich noch mal anschaut, was man konkret mehr tun kann. Die Stichworte sind ja genannt, wie beispielsweise eine verstärkte Abwärmenutzung. Aber es ist noch nicht konkret genug.
Sehen Sie im Klimaaktionsprogramm schon Ansätze für eine Wärmeinfrastruktur der Zukunft? Es kann ja nicht bei vielen Einzelölheizungen bleiben oder bei der großen kohlebasierten Fernwärme, oder?
Gemeinsam mit den Kommunen müsste darüber diskutiert werden, wie lokale Wärmeversorgungskonzepte gestaltet werden können. Es gibt unterschiedliche Stadtstrukturen. Wie kann eine treibhausgasmindernde Wärmeversorgung in unterschiedlichen Siedlungsstrukturen aussehen? Man kann nicht auf Dauer Kohlekraftwerke wie hier in Berlin etwa Klingenberg nur deshalb am Netz halten, weil sie Fernwärme produzieren. Eine Lösung könnten Nahwärmeinseln , die Umstellung auf Erdgas oder Energiesparpartnerschaften sein, die sich aber noch nicht in breitem Umfang durchgesetzt haben.
Das Erneuerbare-Energien-Wärmegesetz könnte da ja auch Chancen bieten.
Das stimmt. Auch der Ersatz alter Heizkessel ist in dem Programm genannt. Hier ist offenbar die Kennzeichnung geplant. Es gibt übrigens Untersuchungen darüber, dass Verhaltensänderungen aus solchen appellativen Informationen erwachsen. Der Ansatz ist also im Prinzip richtig. Die Alternative wären wiederum neue Förderinstrumente. Es wird auf jeden Fall zusätzliche Marktanreize geben müssen.