Aufklärung von Kindesmissbrauch: Die Kirche sucht jetzt Rat bei Experten
Wie werden Opfer sexuellen Missbrauchs entschädigt und welchen Zugriff haben Forscher auf Archive der Bistümer? Ein Beauftragter der Bundesregierung hakt nach.
Johannes-Wilhelm Rörig hatte die katholische Kirche im Blick und wurde sehr deutlich: „Es gibt keine andere Institution, die eine so konservative Sexualmoral vertritt und gleichzeitig über Jahrzehnte den sexuellen Missbrauch in ihren Reihen geduldet, vertuscht und geleugnet hat“, erklärte der Unabhängige Beauftragte der Bundesregierung für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs. Das war im Februar 2019. Am Dienstag wird er mit Vertretern dieser Kirche Pläne über die umfassende Aufklärung und unabhängige Aufarbeitung dieser Missbrauchsfälle ausarbeiten. Es geht aber auch um einen Zeitplan, um diese Pläne umsetzen zu können.
Im Büro von Rörig trifft sich unter anderem der Trierer Bischof Stephan Ackermann, der Missbrauchsbeauftragte der Bischofskonferenz, mit der Arbeitsgruppe „Aufarbeitung Kirchen“. Die hatte Rörig im Dezember 2018 eingesetzt. Zu ihren Mitgliedern gehören Betroffene, aber auch der Psychologe Heiner Keupp, Mitglied der Unabhängigen Kommission zur Aufarbeitung sexuellen Kindermissbrauchs.
Neben der Frage, wie Betroffene insgesamt beteiligt werden können und unabhängige Aufarbeitungskommissionen in Bistümern und Landeskirchen eingerichtet werden und arbeiten, sind zwei Punkte von zentraler Bedeutung: Welchen Zugriff haben unabhängige Forscher und Wissenschaftler auf die Archive der Bistümer und welche finanzielle Entschädigung erhalten Opfer? „Insbesondere die Frage nach einer angemessenen Entschädigung ist für viele Betroffene nach wie vor eine offene Wunde“, hatte Rörig schon vor einiger Zeit erklärt.
„Mitschuld der Institution wird beiseitegewischt“
Derzeit zahlt die katholische Kirche Opfern in der Regel bis zu 5000 Euro als Entschädigung, wenn ein Opfer glaubhaft sein Schicksal schildere. Allerdings fließt das Geld nicht „in Anerkennung der Schuld“, sondern „des Leids“. Matthias Katsch, Sprecher der Opferinitiative „Eckiger Tisch“, empfindet diese Summe als Hohn. Zudem „wird dadurch die Schuld allein auf die Täter abgewälzt, aber die Mitschuld der Institution an der Tat und dem Umgang mit der Tat beiseitegewischt“. Katsch ist zudem Mitglied des Arbeitskreises „Aufarbeitung Kirchen“.
Auch der Zugriff auf die Kirchenarchive wird heftig diskutiert. In einer Studie über Missbrauch in der katholischen Kirche, in Auftrag gegeben von der Deutschen Bischofskonferenz, lautete das erschütternde Ergebnis: 3677 Kinder und Jugendliche waren Opfer, 1670 Kleriker tauchten als Beschuldigte in den Akten auf. Doch die Autoren der Studie durften nicht in die Archive, Kirchenmitarbeiter oder beauftragte Rechtsanwälte übergaben ihnen Akten. Zudem wurden die Orden für die Studie gar nicht einbezogen.
Opfer wie Astrid Mayer, die als Kind von einem Pfarrer missbraucht wurde, fordern, dass sich Mitarbeiter der Kirche aus den Erst-Anlaufstellen für Betroffene heraushalten, damit nicht der Institutionen-Schutz vor die Interessen der Opfer gestellt werde. Sie empfiehlt stattdessen, Opferberatungsstellen wie „Wildwasser“ einzubeziehen.
Papst Franziskus hat strengere Kirchenrechtsnormen erlassen
In Teilen der Kirche ist der Wille zur kritischen Aufarbeitung der eigenen Geschichte inzwischen durchaus vorhanden. Der Freiburger Erzbischof Stephan Burger „bekennt, dass die Institution Kirche in unserer Erzdiözese auf diese Weise Schuld auf sich geladen hat“. Verantwortliche wie Täter hätten versagt.
Vor dem Hintergrund der weltweiten Missbrauchsfälle hat Papst Franziskus strengere Kirchenrechtsnormen erlassen. Sie treten am 1. Juni in Kraft und legen eine weltweite Anzeigepflicht von mutmaßlichen Missbrauchsfällen fest. Erstmals gibt es zudem Regeln für die Untersuchung gegen Bischöfe, die Ermittlungen vertuscht oder verschleppt haben. Rörig begrüßte die Änderungen.
Da auch die evangelische Kirche von Tausenden Missbrauchsfällen betroffen ist, arbeitet auch sie mit Rörig. Sie hat ihren ersten Termin bereits hinter sich. Der Arbeitskreis „Aufarbeitung Kirchen“ und Vertreter der Evangelischen Kirche in Deutschland haben sich bereits im März getroffen.