Angela Merkel zieht eine erste Bilanz: Die Kanzlerin, ihre Krisen und das Klima
Die Sommer-Pressekonferenz der Regierungschefin wird zu einem Rückblick auf die Amtszeit. Nicht ohne Selbstkritik - und mit einer Freudschen Fehlleistung.
Als Angela Merkel am Donnerstag in der Bundespressekonferenz gefragt wird, was sie denn am meisten vermissen werde, wenn sie demnächst nicht mehr Kanzlerin sei, kam die flotte Antwort: „Was man vermisst, merkt man meist dann, wenn man es nicht mehr hat.“ Ihr Erfahrungssatz lässt sich auf Merkel selber biegen: Wird sie vermisst werden, wenn sie nicht mehr im Amt ist? Wird, wer immer ihr nachfolgt, in ihrem Schatten stehen? Oder wird sie schnell vergessen sein?
Margaret Thatcher hat ihrem Nachfolger John Major, ein britischer Armin Laschet, das Leben im Amt nicht leicht gemacht. Der Weltökonom Helmut Schmidt spielte nach seinem Ende als Kanzler den „elder statesman“ auch deshalb gern, um Helmut Kohl als den Mann aus der Provinz erscheinen zu lassen, der es nicht kann. Ist das bei Merkel vorstellbar? Ihre Abschiedsrunde in der Bundespressekonferenz – Auftritt Nummer 29 dort seit Amtsantritt – nutzt sie jedenfalls zu einem Selbstrückblick, der recht ehrlich ausfällt. Kurz resümiert: Merkel sieht sich als Krisenkanzlerin wider Willen, die lieber als Klimakanzlerin in die Geschichte eingegangen wäre.
Wobei Klimapolitik auch permanente Krisenpolitik ist, seit sie 1994 als Umweltministerin hier erstmals verantwortlich gestalten konnte. Ihre anderen Krisen als Kanzlerin hat sie teils abgehakt, teils noch in Arbeit: Finanzkrise nach 2008, die folgende Euro-Krise, dann die Flüchtlinge, seit gut einem Jahr die Pandemie, jetzt zum Schluss noch die zweite Flutkatastrophe nach 2013. In all den Fällen billigt sie sich zu, wenn auch in charakteristisch unterbetonter Weise, die Herausforderung gemeistert zu haben. Aber beim Klima blickt sie selbstkritisch zurück.
Zu lange Kyoto, zu spät Paris
Viel Kraft habe sie für den Klimaschutz aufgewendet, sagt sie. Ihr größter Fehler sei wohl gewesen, zu lange an der Umsetzung des Kyoto-Protokoll festgehalten zu haben. In der Vereinbarung im Rahmen der Klimaschutzziele der Vereinten Nationen wurden 1997 von den Industriestaaten verpflichtende Maßnahmen gegen den Treibhausgas-Ausstoß festgelegt, die ab 2005 einzuhalten waren. Letztlich war der Weg erfolglos, das Ergebnis war die Pariser Konvention von 2015 – sie setzt stärker auf Selbstverpflichtung und Freiwilligkeit. Sie habe „sehr, sehr viel Kraft“ dafür aufgebracht, dass nun zumindest dieser Weg beschritten sei. Aber es reiche nicht, das Tempo in der Klimapolitik sei nicht hoch genug, um den Temperaturanstieg zu dämpfen.
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Als ganz erfolglos empfindet sie ihr Tun nicht – man müsse „nicht so tun, als ob nichts passiert sei“. Aber dass „die Jugend“ jetzt Druck mache, hält Merkel für richtig. Was nun nötig sei, und da spricht die Ältere, sei aber auch ein „tiefgreifender Transformationsprozess“, bei dem man möglichst viele Menschen mitnehmen müsse. Etwa die ländliche Bevölkerung, die mit sehr viel mehr Windkraftanlagen werde leben müssen. Von „disruptiver Veränderung“ spricht Merkel und betont, dass wissenschaftliche Erkenntnis allein hier ihre Leitschnur sei. Klar sei zwar: "Wir alleine werden das Weltklima nicht verändern können." Aber die Art und Weise, wie Deutschland es mache, könne Beispiel sein für andere, dem zu folgen.
Atomausstieg: Die Würfel sind gefallen
Ob der Atomausstieg – Ergebnis der Fukushima-Krise – zu rasch erfolgt sei, wird Merkel gefragt. „Für Deutschland sind die Würfel gefallen“, betont sie. „Ich sehe nicht, dass eine künftige Regierung das ändern wird.“ Immerhin gilt Kernenergie manchen Klimaschützern als akzeptabel, weil sauberer. Merkel sieht sie nicht als Zukunftstechnologie, nicht für Deutschland jedenfalls. Aber man brauche für den Übergang nun eben vor allem Erdgas, bis der Ausbau der erneuerbaren Energien die Versorgung sichere. Andere Länder mit Atomkraft hätten es so einfacher, gesteht sie zu. Aber der Punkt ist für Merkel gesetzt.
Das Ostdeutsche in ihrer Biographie hat Merkel nie sonderlich herausgestellt. 34 Jahre in der DDR hätten sie schon geprägt, sagt sie. Aber sie sei „sehr im Reinen“ mit ihrem Leben. Für Leute unter 35 spiele ostdeutsche Biographie ohnehin keine Rolle mehr. Und ihr Feminismus? Wird auch nicht sonderlich betont. Sie habe da einiges auf den Weg gebracht. Das Elterngeld etwa. Es sei doch „wunderschön“, wie sich die Dinge veränderten in den jungen Familien. Bei Frauen gebe es eine gewisse Sehnsucht nach Effizienz, fällt ihr zu dem Thema noch ein. Werden Frauen die vermissen, wenn demnächst ein Mann im Kanzleramt sitzt?
"Ein doppeltes Bekenntnis"
Wo sie am Abend der Bundestagswahl am 26. September um 18 Uhr sein werde, lautet eine Frage. Die Antwort ist die kleine Freudsche Fehlleistung des Tages. Sie habe sich noch keine Gedanken gemacht, sagt Merkel. Aber sie werde sicher „in Verbindung stehen zu der Partei, die mir nahe…, äh, deren Mitglied ich bin“. Nahestehen und Mitglied sein - "ein doppeltes Bekenntnis", so kriegt Merkel schmunzelnd die Kurve.
Wie nahe die CDU Merkel künftig stehen wird (und umgekehrt), ist jedoch eine durchaus offene Frage. Sie hat die Partei seit 2005 in der Regierung halten können. Unter ihr ist die CDU aber auch tief unter die 30-Prozent-Marke gefallen. Ebenfalls eine Art Krise. Aber die kam nicht vor am Donnerstag. Merkel schaut ganz auf ihre Regierungsbilanz. Sie sitzt ja vor den Journalisten auch als Kanzlerin. Ihr großer Erfolg nach all den Jahren? Bei ihrem Amtsantritt habe es in Deutschland fünf Millionen Arbeitslose gegeben, jetzt seien es trotz der Corona-Pandemie nur drei Millionen.
„Ein Leben ohne Krisen ist einfach“, lautet ein Fazit Merkels. „Aber wenn sie da sind, müssen sie bewältigt werden.“