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Der britische Premier Boris Johnson.
© AFP

Brexit-Showdown: Die Hoffnung liegt im „Tunnel“, die Lösung in London

Möglicherweise gibt es doch noch einen Brexit-Deal zwischen der EU und Großbritannien. Aber der größte Unsicherheitsfaktor bleibt Boris Johnson. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Albrecht Meier

Es gibt ein Hoffnungszeichen bei den endlosen Verhandlungen über den britischen Austritt aus der EU. Erstmals seit dem Amtsantritt des britischen Premierministers Boris Johnson im Juli haben sich die Teams des EU-Chefverhandlers Michel Barnier und des Londoner Brexit-Minister Stephen Barclay getroffen.

Das Format für diese Gespräche heißt im Brüsseler Jargon „Tunnel“. Nichts soll aus dem „Tunnel“ nach außen dringen, bevor nicht eine tragfähige Lösung auf dem Tisch liegt. Es wäre im Interesse der EU und Großbritanniens, wenn ein neuer Deal den Durchbruch brächte. Endlich. Mehr als drei Jahre nach der Entscheidung der Briten, die EU zu verlassen.

Wie schon so oft in der Vergangenheit dreht sich auch bei den jüngsten Verhandlungen alles wieder um Nordirland. Unmittelbar vor seinem Einzug in seinen Amtssitz in der Downing Street hatte Johnson noch getönt, dass eine Lösung für das vertrackte Nordirland-Problem leicht zu finden sei. Schließlich, so argumentierte er in seiner bekannten unernsten Art, sei es den Menschen auch gelungen, auf dem Mond zu landen.

Inzwischen dürfte auch Johnson klar geworden sein, dass die Nordirland-Frage eine gewaltige diplomatische Herausforderung darstellt: Durch den Austritt Großbritanniens entsteht eine neue EU-Außengrenze. Allerdings sind Zollkontrollen an der Grenze zwischen der Republik Irland und der britischen Provinz Nordirland tabu, weil dies das Zusammenleben auf der grünen Insel gefährden würde. Eine sinnvolle Lösung könnte darin bestehen, Nordirland – anders als das übrige Gebiet des Vereinigten Königreichs – in der EU-Zollunion zu belassen. Denn dies würde bedeuten, dass die EU selbst weiterhin die alleinige Hoheit über die Zollkontrollen an ihren Außengrenzen innehat und nicht den Briten überlassen müsste.

Das Nordirland-Problem ist aber mehr als eine Denksport-Aufgabe, bei der es um den Verlauf einer Zollgrenze geht. In der Vergangenheit war der bestehende Austrittsvertrag mitsamt seiner Nordirland-Klausel vor allem aus politischen Gründen im britischen Parlament gescheitert. Die Brexit-Hardliner und die nordirische unionistische Partei DUP lehnten den vorliegenden Kompromiss mit der Begründung ab, dass damit einer Loslösung Nordirlands vom Vereinigten Königreich Tür und Tor geöffnet werde.

Dabei übersahen sie aber geflissentlich, dass London seit dem Friedensabkommen für Nordirland von 1998 ohnehin schon einen Teil seiner Souveränität an die einstige Bürgerkriegsprovinz abgegeben hat. So gesehen ist Nordirland bereits ein europäischer Sonderfall. Daran wird auch der Brexit nichts ändern.

Hardliner in London haben ihren Widerstand etwas abgeschwächt

Mittlerweile sind die Tory-Ultras im Parlament, das an diesem Montag nach einer Suspendierung und der Thronrede der Queen wieder seine Arbeit aufnimmt, etwas zahmer geworden. Sie haben ihren Widerstand gegen sämtliche Brexit-Lösungen, die den Sonderstatus Nordirlands zementieren, etwas abgeschwächt. Gerade weil die Fronten derzeit weniger verhärtet erscheinen als noch zu Beginn von Johnsons Amtszeit, sollte auch die EU einer möglichen Neufassung der Nordirland-Klausel nicht im Wege stehen.

Falls tatsächlich beide Seiten den so genannten Backstop für Nordirland noch einmal gründlich überarbeiten sollten, wäre dies bis zum 31. Oktober nicht zu schaffen. Zu diesem Zeitpunkt läuft die gegenwärtige Brexit-Frist ab. Beim EU-Gipfel am kommenden Donnerstag und Freitag könnten aber die Weichen für eine Verlängerung gestellt werden.

Der größte Unsicherheitsfaktor bei all diesen Überlegungen bleibt allerdings Johnson selbst. Wie sprunghaft der Premier agiert, wurde erst wieder in der vergangenen Woche offenbar: Erst deutete er einen Abbruch der Verhandlungen an und schob dafür Kanzlerin Angela Merkel die Schuld in die Schuhe. Dann traf er sich mit seinem irischen Amtskollegen Leo Varadkar und schwenkte auf den gegenwärtigen Verhandlungskurs ein. Johnson könnte seinem Land einen großen Dienst erweisen, wenn er bei dieser Linie bliebe.

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