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Eine Frage der Organisation. Arbeitnehmer müssen Zeitkompetenz mitbringen, um Familie und Beruf miteinander zu vereinbaren. Von den Arbeitgebern wird Flexibilität erwartet.
© Ute Grabowsky/photothek.net

Vereinbarkeit von Familie und Beruf: „Die Halbtagsstelle ist ein Auslaufmodell“

Noch immer gilt in vielen Unternehmen: Wer am längsten im Büro ist, macht Karriere. Frauen, die in Teilzeit erfolgreich sein wollen, müssen daher einiges beachten, erklärt die Professorin Jutta Rump im Interview.

Flexible Arbeitszeiten sind ein zentrales Element einer modernen Diversity-Strategie von Unternehmen – gleichzeitig gilt Teilzeit als klassischer Karrierekiller. Wie passt das aus Ihrer Sicht zusammen?
Das hat vor allem mit der in Deutschland immer noch vorherrschenden Präsenzkultur zu tun: Wer am längsten im Büro ist, der oder die macht Karriere. Bei dem Begriff ‚Teilzeit' denken viele immer noch an die klassische Halbtagsstelle, aber das ist eher ein Auslaufmodell. Wer Karriere machen will, arbeitet meist in einer vollzeitnahen Teilzeit.

Teilzeitarbeit gilt als Frauenthema, andererseits möchten Männer mehr Zeit für ihre Kinder haben. Ist Teilzeit bei Männern ein relevantes Thema?

Männer in Teilzeit? Das ist im Moment keine ernstzunehmende Tendenz. Es sind nur wenige Männer, die überhaupt in Teilzeit arbeiten, und diejenigen, die karriereorientiert sind, denken gar nicht daran. Zwar gibt es immer mehr Männer, die ihre zwei Monate Elternzeit nehmen, aber die meisten kehren danach in Vollzeit zurück.

Viele Frauen arbeiten nach der Elternzeit verkürzt. Wie können sie verhindern, dass sie in die ‚Teilzeitfalle' tappen?

Sie können ihre Chancen verbessern, wenn sie sich über drei Dinge im Klaren sind: Erstens, sie sollten einen genauen Plan von ihrer beruflichen Zukunft haben und davon, wie sie das mit der Vereinbarkeit regeln wollen. Ganz konkret kann man zum Beispiel mit Chef oder Chefin besprechen, wann man wieder in Vollzeit arbeiten möchte. Zweitens spielt das Selbstmarketing jetzt eine größere Rolle als vorher. Berufsrückkehrerinnen sollten ihren Wert als Mitarbeiterin deutlich herausstellen: Warum kann mein Unternehmen auf keinen Fall auf mich verzichten? Und drittens: Was kann ich wirklich leisten in meiner momentanen Situation und wo sind meine Grenzen?

Das klingt, als ob das Gelingen vor allem von der individuellen Kompetenz und dem Selbstmarketing der Mitarbeiterin abhängt. Welche Rolle spielen die Rahmenbedingungen, die das Unternehmen bietet?

Flexibilität muss von beiden Seiten mitgebracht werden, aber zuerst muss der Arbeitgeber überzeugt werden, dass der Aufwand sich lohnt. Die zurückkehrenden Frauen, die Karriere machen wollen, sollten zeigen, dass sie auch mit Kindern flexibel sind, auch mal abends einen wichtigen Termin wahrnehmen können. Wenn diese Termine allerdings immer spät stattfinden, dann kann die Mitarbeiterin bitten, diese Termine eher in die Mittagszeit zu legen. Unterschiedliche Zeitsysteme müssen in Einklang gebracht werden, und das erfordert auf der Seite der Mütter oder Väter eine ausgeprägte ‚Zeitkompetenz', also die Fähigkeit, Arbeitszeit sehr effektiv zu nutzen. Auf der anderen Seite muss der Arbeitgeber Spielräume geben, etwa durch Vertrauensarbeitszeit oder achtsame Terminierung von Sitzungen. Gute Arbeitgeber beachten alle drei Dimensionen: Zeitkompetenz, Zeitsouveränität und Zeitsynchronisation und dann passen auch Karriere und Familie zusammen.

Wie weit verbreitet ist denn diese Art von offener und flexibler Zeitkultur in Unternehmen?
Das hängt vor allem von ökonomischen Rahmenbedingungen ab. Der Fachkräfteengpass in technischen und naturwissenschaftlichen Berufen ist ein starker Treiber. Solche Ereignisse führen meiner Meinung nach eher zu nachhaltigen Veränderungen als innere Überzeugungen.

Welche Rolle spielen die Führungskräfte für die Umsetzung von Diversity?

Ohne die Führungskräfte geht gar nichts. Und Sensibilisierung reicht nicht, der ökonomische Mehrwert und der persönliche Nutzen für die Führungskraft müssen deutlich werden. Denn erst einmal entsteht mehr Arbeit durch Teilzeitkräfte, Home-Office oder Gleitzeit. Was hat also die Führungskraft davon? Sie kann hochqualifizierte Mitarbeiter halten und im entscheidenden Moment auf sie zugreifen, das ist ein wichtiger Mehrwert und eine Entlastung. Entscheidend ist, ob der Balanceakt gelingt: Teilzeitarbeitende, die die Vereinbarkeit gut hinbekommen, sind in der Regel sehr motiviert und sehr produktiv! Sie schaffen auch mehr Arbeit und das entlastet wiederum die Führungskräfte.

Kürzere Arbeitszeiten in bestimmten Phasen des Lebens wünschen sich heute viele, manche wollen dann später wieder aufstocken – sind wir auf dem Weg zu einer lebensphasenbezogenen Arbeitszeitpolitik?

Wir erleben definitiv einen Paradigmenwechsel, wir sind mitten drin! Die jungen Einsteiger sind symptomatisch, sie gehen bereits mit einer veränderten Grundeinstellung ins Berufsleben. Es sind aber auch Veränderungen der Arbeitswelt, die zu noch flexibleren Arbeitszeitmodellen führen werden. Die starke Verdichtung von Arbeit, die noch zunehmen wird, die Ausweitung der Lebensarbeitszeit, die digitale Transformation, die uns lebenslanges Lernen abverlangt – in dieser neuen Arbeitswelt wird eine vernünftige Balance immer wichtiger und wir werden erleben, dass Auszeiten für ganz verschiedene Zwecke immer normaler sein werden.

Jutta Rump ist Professorin und Direktorin des Instituts für Beschäftigung und Employability in Ludwigshafen (IBE) und Themenbotschafterin der Initiative Neue Qualität der Arbeit INQUA. Dieser Text erschien in der Beilage zur Diversity-Konferenz 2015 des Tagesspiegels. Mehr zum Thema Diversity lesen Sie hier.

Martina Battistini

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